ISABEL LOTT WUTBÜRGER: Verachtete Kleinbuch-staben
Unsere Kinder lernen nicht mehr richtig lesen und schreiben, jault es durch die deutsche Medienlandschaft. Schuld daran soll eine bestimmte Methode sein, mit der die Schüler daran gehindert werden, diese Grundfertigkeiten zu lernen. Ein Nachrichtenmagazin forderte kürzlich, dass sich Eltern endlich dagegen wehren. Sonst sei dem Nachwuchs der soziale Abstieg so gut wie sicher.
Warum eigentlich? Wenn ganze Generationen in Unkenntnis irgendwelcher Rechtschreibregeln aufwachsen, werden sie sich später auch deshalb nicht sanktionieren. Und falls es doch mal wichtig sein sollte, gibt es dafür intelligente Programme.
Die Legastheniker-Mail einer 16-Jährigen lese ich jedenfalls sehr nachsichtig, ich bin ja informiert, sie ist Opfer des Schulsystems. Aber mich nerven diese Bildungsbürger, die sich über Lehrer, Bildung und den Niedergang der deutschen Sprachkultur erregen – und mir dann Mails schicken, die hingerotzt zu bezeichnen freundlich wäre.
An diese unleidige Praxis, alles in Kleinbuchstaben zu schreiben, habe ich mich bis heute nicht gewöhnt, und ich gebe zu, ich verachte sie. Ständig bekomme ich Mails voller Rechtschreib- und Grammatikfehler, statt Satzzeichen halbe Sätze. Viele sind scheinbar so beschäftigt, dass sie mir nur Buchstabenmüll schicken können. Ich darf meine Zeit damit verbringen herauszufinden, was die Person mir mitteilen wollte.
Die Zeit scheint bei vielen so knapp, dass auf die Anrede verzichtet und nur mit dem Anfangsbuchstaben des Vornamens unterzeichnet wird. Das machen auch Leute mit Vornamen, die aus vier Buchstaben bestehen. Oder sie wollen sich bei dir bedanken, weil du ihnen einen Gefallen getan hast. Dann kommt eine dieser peinlichen Abkürzungen wie Mglg. Diese ganz lieben Grüße kann die Person einfach stecken lassen, ich nehme das nicht ernst. Genauso wenig wie Leute, die mir eine fehlerhafte Mail schicken mit einer bescheuerten Abkürzung als Gruß – aber für den Smiley hat’s noch gereicht. All denen gönne ich einen Heiratsantrag, der lautet: wdmh? Wer da ja sagt, hat es nicht besser verdient.
■ Hier wüten abwechselnd Isabel Lott und Kai Schächtele
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