: Hotspot am Checkpoint Charlie
SKULPTUR „Friede sei mit Dir“-Installation am taz-Haus: Touristenattraktion
Es war eine große Aufregung vor knapp vier Jahren, als die taz-Mitarbeitenden bei Arbeitsbeginn an der Fassade des taz-Hauses an der Rudi-Dutschke-Straße 23 eine ziemlich kolossal anmutende Skulptur sahen: Es war eine Arbeit des Künstlers Peter Lenk aus Baden-Württemberg. Durchaus gegenständlich-überrealistisch sah das Werk aus – also ohnehin schon ein Dementi auf das moderne Kunstverständnis, das sich an Abstrakt-Phantasmatischem reibt. Nein, was man hauptsächlich erkennen konnte, ja, musste, war ein Bild-Chefredakteur namens Kai Diekmann und dessen phantasiertes Gemächt.
Diese Kunst verstand sich als cooler, blickanimierender Kommentar zum sogenannten Penisprozess, den Diekmann wegen einer taz-Geschichte in deren Ressort „Wahrheit“ anstrengte – und schlussendlich höchstrichterlich verlor. Die Skulptur machte sich über die phallische Zucht und Ordnung der Männerwelten, die die Bild repräsentiert, ziemlich lustig.
Allerdings verstanden nicht sehr viele taz-KollegInnen diesen Spaß. Unter diesem Ding werde ich nicht mein Mittagsmahl einnehmen!, empörten sich die einen, die um ihre ästhetische Ruhe im taz-Café-Garten fürchteten. Andere mahnten, das Ding von Lenk sei tiefste Siebziger und als altmodisch zurückzuweisen. Jedenfalls: Die Installation hängt (!) da immer noch – und inzwischen hat sich eine allfällige Atmosphäre in der taz breit(!)gemacht, die ungefähr so klingt: Ach, hätten wir doch …
Ausgesprochen bedeutet dieser Satz: Hätte die taz von jedem und jeder, der als Tourist nach Berlin kommt und partout dieses Werk bestaunen, ja, fotografieren will, nur einen Euro genommen – ein Kunstobjektbestauneintrittsgeld quasi –, würde die taz nie mehr, und sei es theoretisch, über Finanzprobleme klagen müssen. Nach grober Zählung haben nämlich – einerlei ob Sommer, Winter, Frühling oder Herbst – bisher durchschnittlich knapp 400 Personen pro Tag das, sagen wir: Mahnmal fotografiert.
Feiner differenziert muss man obendrein sagen: Es sind etwa 71 Prozent Frauen, jüngere wie ältere, ohne Kopftuch, oft aber mit einem solchen bekleidet, die ihre fotografische Leidenschaft an diesem Kunststück ausleben. Die meisten von ihnen kichern und giggeln, nehmen sie es genauer in Augenschein. Männer gucken eher verstört, rätselnd – zücken aber auch ihre Smartphone und Digikameras, um zu dokumentieren, was in Berlin so alles möglich ist.
In der taz scheint man mit dem Wandschmuck Frieden geschlossen zu haben – und weint trotzdem ein wenig der mangelnden Chancenauswertung hinterher: Eine gute halbe Million Euro hätte es dem alternativen Medienhaus schon eintragen können. Aber öffentliche Kunst, so sagen andere, die den Fotografierenden aus den Rauchernischen im gläsernen Treppenhaus der taz zuschauen, muss eben gratis sein – sonst wäre das Gute, Wahre, Schöne auch nur noch eine Tatsache der ökonomisierten Welt.
In Radolfzell hat Peter Lenk jüngst ein neues Stück präsentiert, Titel: „Kampf um Europa“. Wie in südwestlichen Medien berichtet wird, gilt es als gelungen. Ist der Künstler endgültig im Mainstream? JAN FEDDERSEN