: Im Herz einer finsteren Debatte
Ein Bundeswehreinsatz im Kongo ist im europäischen Interesse. Nur so lässt sich der Export von Terrorismus, Kriminalität und Flüchtlingsströmen aus Afrika verhindern
Seit dem gescheiterten Somaliaeinsatz von 1992 heißt es in Deutschland zur Beteiligung an UN-peace-keeping-Missionen in Afrika: Raushalten! Oder aber: Leisetreten und die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich, Belgien machen lassen. Diese Einstellung zeigt sich auch jetzt wieder bei der Debatte um einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Kongo.
Die UN hatten die EU um eine zeitlich befristete Unterstützung ihrer Friedensmission Monuc gebeten, um die anstehenden Wahlen absichern zu können. Nach Jahren des Bürgerkriegs mit fast vier Millionen Toten können die Kongolesen im Juni erstmals in demokratischen Wahlen ihr Parlament und einen Präsidenten bestimmen. Eine erfolgreiche Wahl und ein Ergebnis, das von den bisherigen Bürgerkriegsparteien akzeptiert wird, wären ein Meilenstein im bisher fragilen Friedensprozess.
Die Bevölkerung hat bereits in einem beeindruckenden Verfassungsreferendum gezeigt, dass sie diesen Weg zur Demokratie weitergehen will – trotz aller Widrigkeiten durch marodierende Milizen. Von einer Stabilisierung des Kongo, dem bisher größten failing state des Kontinents, hängt eine friedlichere Zukunft der gesamten Region der Großen Seen ab – nach mehr als einem Jahrhundert Krieg und Ausbeutung, nicht zuletzt durch europäische Länder. Außerdem haben die Europäer und insbesondere die Deutschen stets betont, dass die Stärkung der UN zu den vorrangigen Zielen ihrer Außenpolitik zählt. Es geht also auch um die Glaubwürdigkeit der EU als ernst zu nehmende Friedensmacht und Partner der UN. Können wir da die Anfrage zur Unterstützung ihrer größten Friedensmission in einer entscheidenden Phase ablehnen?
Wohl kaum. Und dennoch schaffen es die EU-Staaten bisher nicht, eine verbindliche Zusage auch nur für etwa 1.500 Soldaten zu geben! Auch in Deutschland werden gegen einen Einsatz die seltsamsten Gründe ins Feld geführt. Die Bundeswehr im „Herzen der Finsternis“, wie Josef Conrad den Kongo einst beschrieb? So heißt es, die Soldaten hätten keine Französischkenntnisse, seien unzureichend geimpft und die Konfrontation mit Kindersoldaten sei ihnen nicht zuzumuten. Abgesehen davon, dass deutsche Soldaten auch am Hindukusch nicht unbedingt durch Paschtukenntnisse glänzen, ist Letzteres ein unrealistisches Szenario.
Doch unwegsames Dschungelland, heimtückische Krankheiten und marodierende Milizen sind nicht nur für deutsche Verteidigungspolitiker das Letzte, was man der Bundeswehr zumuten will. Eine solche mission impossible überlässt man generell lieber anderen. So stellen Indien und Pakistan von 16.000 UN-Soldaten im Kongo jeweils über 3.000, Bangladesch, Südafrika, Nepal und Uruguay über 1.000. Die EU-Staaten entsenden dagegen gerade mal 30 Militärbeobachter. Das ist die Realität vieler UN-Missionen: Schlecht ausgerüstete und ausgebildete Soldaten aus Drittweltländern riskieren ihr Leben, während europäische Staaten lieber Geld zahlen, als Truppen oder, wie von den UN immer wieder vergeblich angefragt, zumindest Führungspersonal zu entsenden.
Natürlich gibt es eine besondere Fürsorgepflicht der deutschen Politik gegenüber den Soldaten der Bundeswehr. Auch ist die Bundeswehr durch ihre Einsätze in Afghanistan und im Kosovo bereits stark beansprucht. Und nicht zuletzt gilt der Grundsatz, die Staaten der Afrikanischen Union dabei zu unterstützen, möglichst bald eigenständig peace keeping-Missionen auf ihrem Kontinent durchführen zu können.
Die gegenwärtige Diskussion macht jedoch zweierlei deutlich. Erstens, wie erschreckend wenig hierzulande das Menschenleben eines Afrikaners wert ist, wenn – wie im Kongo oder demnächst wohl auch in Darfur – Soldaten mit robustem UN-Mandat gefordert sind. Dabei hatte man sich nach dem Völkermord in Ruanda doch geschworen: Nie wieder!
Erst im April 2004, zehn Jahre nach dem UN-Desaster in Ruanda, zog Kofi Annan die Parallele zu Darfur. Inzwischen zählt man dort 300.000 Ermordete und fast zwei Millionen Vertriebene, die Vertreibungen und Massenvergewaltigungen dauern an. Was muss noch geschehen, damit man in Europas Hauptstädten begreift, dass die Lage in Darfur die Dimensionen der Kosovokrise längst überschritten hat und ein entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft – auch mit europäischen Soldaten – mehr als geboten ist? Oder zählt ein afrikanisches Leben am Ende doch weniger als ein europäisches?
Zweitens macht die gegenwärtige Diskussion deutlich, wie weit unten Afrika in der außen- und sicherheitspolitischen Wahrnehmung hierzulande rangiert. Der Kontinent wird vorwiegend als Almosenempfänger gesehen, dessen blutige Bürgerkriege zwar unschön sind, uns aber nicht weiter tangieren.
Dabei hat sich die EU mit ihrer gemeinsamen Afrikastrategie vom Dezember 2005 doch festgelegt: „Ohne Frieden“, so das Strategiepapier, „kann es keine nachhaltige Entwicklung geben.“ Die Kongomission hätte der erste Realitätstest sein können. Doch die hehren Vorsätze scheinen vergessen. Dabei wird doch das eigene „starke Interesse“ Europas an einem friedlichen und demokratischen Afrika erkannt – es geht also längst nicht mehr nur um eine rein moralische Verpflichtung.
Bereits mit der Aufstellung ihrer battlegroups Anfang 2004 hatte sich die EU für ein stärkeres, sicherheitspolitisches Engagement in Afrika entschieden. Die 1.500 Soldaten starken, mobilen Truppen sollen laut Beschluss gerade bei „zusammenbrechenden oder zusammengebrochenen Staaten“ in Afrika zum Einsatz kommen. Spätestens seit dem 11. September wissen wir, welche Rolle solche failing states als Basis für islamistische Terrornetzwerke spielen können – als Ausbildungsstätten, Rückzugsräume und Raum für finanzielle Transaktionen. Auf der Liste der failing states des Fund for Peace finden sich allein auf den ersten sieben Plätzen sechs Staaten aus Afrika.
Wenn wir also verhindern wollen, dass Afrika Terrorismus, organisierte Kriminalität und Flüchtlingsströme nach Europa exportiert, dann muss sich die EU an der Befriedung afrikanischer Krisen aktiv beteiligen – schon aus ureigenem Sicherheitsinteresse. Dazu braucht es eine langfristige und umfassende Strategie, die gemeinsam mit der Afrikanischen Union und Reforminitiativen wie der New Partnership for Africas Development umgesetzt werden muss.
Damit sich das gegenwärtige Trauerspiel um einen Einsatz der Bundeswehr im Kongo nicht demnächst etwa in Darfur wiederholt, darf es künftig nicht mehr heißen: Möglichst raushalten! Im Gegenteil: Bundeswehreinsätze auf dem afrikanischen Kontinent sind in Zukunft im Rahmen von UN-Mandaten nicht nur unvermeidlich und aus moralischen Gründen geboten. Sie sind auch im deutschen und europäischen Interesse, um langfristig gemeinsam mit den afrikanischen Partnern zu einer friedlichen Entwicklung auf dem Nachbarkontinent beizutragen.
KERSTIN MÜLLER
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