: Wo weder Milch noch Honig fließen
NEULAND Sie wollen Tierleid konsequent verhindern. Veganer verzichten nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milch, Leder und Schafswolle. Wie geht ein Leben ganz ohne Tierprodukte? Zwei Wochen im Selbstversuch
■ Meike Laaff, 29, ist sonntaz-Redakteurin. Bevor sie zur Veganerin auf Probe wurde, war sie Pescetarierin – das heißt, sie isst Fisch, aber kein Fleisch. Seit über zehn Jahren ist das so. Foto: privat
VON MEIKE LAAFF (TEXT) UND YVONNE KUSCHEL (ILLUSTRATIONEN)
Tag 1. Ich habe ein Beruhigungscroissant gegessen. Einen Abschieds-Milchkaffee getrunken. Erst dann habe ich den Mehrzweckraum betreten. Hier, im Berliner Westen, soll ich auf meine kommenden zwei Wochen als Veganerin vorbereitet werden – von einer Gruppe überzeugter Tierschützer.
Mir sind Veganer ein bisschen unheimlich. Ich nehme mir fest vor, ihnen gegenüber offen zu sein – ich muss aber auch an die vielen aggressiven Veganer denken, die auf taz.de und anderswo im Netz Fleischesser wüst beschimpfen. Andererseits leben laut einer Studie des Verbraucherschutzministeriums 80.000 bis 160.000 Menschen in diesem Land vegan. 0,2 Prozent der Bevölkerung – unmöglich, dass das alles Esoteriker oder Militante sind.
Ich will einfach mal ausprobieren, wie es ist, vegan zu leben, schließlich esse ich seit Jahren kein Fleisch. Mich interessiert, ob das praktikabel ist oder ob sich das Leben nur noch um die Ernährung dreht. Ob die Wut, die manchen Veganern innezuwohnen scheint, vom ständigen kulinarischen Verkneifen herrührt. Ob man sich fitter, gesünder fühlt. Und ich frage mich: Wäre es denn zu viel verlangt, auf ein bisschen Milch zu verzichten, wenn ich damit einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten könnte?
Ich habe erwartet, mir am ersten Tag Vorträge anhören zu dürfen, die unter großen Plakaten mit ausgebluteten Rindern gehalten werden. Doch das einzige große Banner, das die Organisatoren der „Veganen Schnupperwochen“ aufgehängt haben, ist ein selbst gemaltes Transparent mit einer großen gelb-grünen Vegan-Blume, dem Logo der Bewegung. Statt moralisierenden Tierschutzinfomaterials gibt es eine üppige vegane Kuchentheke und Tische, auf denen alles aufgetürmt ist, was die vegane Produktpalette zu bieten hat. Kurz: Meine Sorgen waren unbegründet, alles scheint freundlich und entspannt.
Die Arme in die Hüften gestemmt, warte ich darauf, dass einer der Organisatoren die Nase über meine blaue Motorradlederjacke rümpft. Vergeblich. Graugesichtig und verhärmt sehen sie irgendwie auch nicht aus, auch nicht unfreundlich. Ich bin verwirrt. Ich habe zumindest ein paar aggressive Tierschützer erwartet.
Seit Jahren kein Fleisch – weil es nicht schmeckt
„Ich bin Puddingveganer“, sagt der kahlköpfige Carsten, der die Eröffnungsworte für die Schnupperwochen spricht. Er meint damit, dass er kein Superöko sei, sondern einer, der sich im Supermarkt gern mal mit veganen Chips eindeckt. „Vegan sein ist völlig normal, und wir hoffen, dass ihr das in zwei Wochen ähnlich sehen werdet“, sagt Carsten. Außer mir scheinen davon ohnehin alle der etwa 25 Teilnehmer überzeugt zu sein. Bei der Vorstellungsrunde fühle ich mich wie bei den Anonymen Alkoholikern, einer nach dem anderen bekennt: „Hallo, mein Name ist Patrick, ich bin seit sieben Monaten Veganer.“ Oder so ähnlich. Ich bekenne als eine der Ersten in der Runde, zwar seit über zehn Jahren kein Fleisch, dafür aber gerne Fisch und Milchprodukte zu essen.
Die Botschaft dieses Tages wird schnell klar: Wer vegan lebt, muss auf nichts verzichten. Statt auf Moralkeulen setzen die Organisatoren, die uns durch unsere zwei veganen Wochen leiten, auf Verständnis. „Man muss nicht alles sofort umsetzen, manches vielleicht sogar gar nicht“, beruhigt die dunkelhaarige Irina zu Beginn ihres Vortrags über vegane Produktkunde. Ich lerne von ihr, dass Wein, Balsamico-Essig und Säfte nicht immer vegan sind, sondern mit Gelatine geklärt sein können. Dass Analogkäse leider nicht vegan ist, dafür aber Hefe, denn Pilz ist eben nicht Tier. Weil ich in regelmäßigen Abständen mit veganer Schwarzwälderkirschtorte gefüttert werde, fällt mir gar nicht ein, beunruhigt zu sein. Als ich dann auch noch mit einem prall gefüllten Jutebeutel mit veganer Zahnpasta, Pralinen und Spüli ausgestattet werde, mache ich mich mit dem Gefühl auf den Heimweg, für die nächsten zwei Wochen gut gewappnet zu sein.
Nur eine Sorge treibt mich um. Mir fehlt, anders als den anderen Teilnehmern, die Motivation zum Veganismus. Ich esse kein Fleisch, weil es mir nicht sonderlich schmeckt. Die meisten meiner Mitschnupperveganer, egal ob die überraschend vielen jungen Männer oder die Frauen in den mittleren Jahren, entscheiden sich aus Tierschutzgründen für diese Art zu leben. Um Tierleid zu verhindern, wie sie sagen. „Wenn Fische schreien könnten“, sagt eine Frau zu mir, „dann würden wir sie auf der ganzen Welt hören.“ Für mich ist das stärkere Argument gegen Lachs- und Thunfischsteaks, dass wir aufpassen müssen, nicht ganze Arten gedankenlos aus dem Meer wegzuessen.
Das schlechte Gewissen meldet sich: Bin ich gefühlskalt, weil ich Tiere offenbar nicht lieb genug habe? Wenn ich ehrlich bin, bin ich nicht bereit, mein Leben zum Schutz von Milchkuh und Lamm grundlegend zu ändern.
Das Käseproblem ist eins und es bleibt eins
Tag 2. Am nächsten Mittag um zwölf steht Björn Moschinski in der Lehrküche der Technischen Universität Berlin und demonstriert in bester Fernsehkochmanier, dass man auch vegan gut kochen kann. Der Mann mit dem breiten Haarband und den halblangen Dreadlocks ist Küchenchef in Berlins einzigem veganen Gourmetrestaurant. Heute zeigt er den Schnupperveganern, wie man vegane Varianten von Frischkäse, Salami-Pizza und Donauwellen produziert. Ich mühe mich derweil, aus zerklüfteten trockenen Sojabrocken Schnetzel herzustellen, eine Art Fleischersatz. Irina, die eine Homepage für vegane Rezepte betreibt, hilft mir. Dann koche ich Tofu-Rührei. Und ich mische Knoblauch, Hefeflocken und Senf zu einer zähflüssigen Masse, mit der unsere vegane Lasagne überbacken wird. Gericht um Gericht wird produziert, probiert, geteilt. Nach sechs Stunden habe ich von zu vielen guten Argumenten gegen das Klischee, vegane Küche sei fad und linsenlastig, gekostet und bin satt.
Einzig Käse bleibt eines der wenigen Produkte, für das mir kein akzeptables Substitut präsentiert wurde. Die Hefe-Senf-Knoblauch-Pampe, die wir hergestellt haben, sah zwar aus wie leckere Käsekruste, schmeckte aber nicht annähernd so. Veganen Käse, lerne ich, gibt es zwar, er ist in den Geschäften aber schwer zu bekommen.
Tag 3. Am Montagmorgen startet der schwierige Teil meines Selbstversuchs: Ab jetzt will ich im Alltag auf alles Tierische verzichten. Die ersten Probleme tauchen schon im Badezimmer auf. Als ich die Inhaltstabellen Produkt für Produkt inspiziere, erfahre ich, dass mein Deo Lanolin, also Wollfett enthält. Mein Mascara Seidenextrakte. Einzig meine neue Zahnpasta, ein veganes Discounterprodukt, putzt, wie sie soll. Anders als die vegane Seife aus meinem Starterpaket, ein nicht schäumender Fettklumpen, der nach Zitrusklostein stinkt und trotz sorgfältigen Abspülens an den Händen klebt.
Brav ziehe ich Kunstlederschuhe an, denn in der Veganerwelt ist Plastik immer noch besser als Natürliches. Ich wähle Hemden und Jeans aus Baumwolle. Erst bei der Auswahl meiner Jacke komme ich ins Schleudern. Die aus Leder geht natürlich nicht. Ebenso wenig der Wollmantel mit Kaninchenfell. Bleibt die Filzjacke. Wegen der Wolle eigentlich auch verboten, aber wohl das kleinere Übel.
Alles geht gut bis zum Mittagessen. Natürlich habe ich keine Tupperdose mit Vorgekochtem in die Redaktion mitgebracht, und so stehe ich an der Theke des taz-Cafés und frage nach veganem Essen. Die Bedienung schaut sich suchend um. Die Getreideboulette vielleicht? Da ist aber wahrscheinlich Ei drin. Ich gehe in den Supermarkt nebenan, kaufe Trockenaprikosen und Sesamcracker. Ernte mitleidige Blicke von meinen Kollegen. Zum Trost fahre ich abends in eine Drogerie und decke mich mit Vegan-Kosmetika ein.
Tag 5. Als ich mich mit einer Freundin zum Kaffeetrinken treffe, stelle ich fest: „Sojamilchkaffee schmeckt wie aufgeschäumte Pappe“. Als ich das auch ausspreche, lächelt sie nur milde. Sie sagt nichts, aber ich kann sehen, was sie denkt: Wie kann man sich nur auf so etwas Bescheuertes einlassen! Auch andere Freunde reagieren mit belustigtem Unverständnis. Oder auch mit regem Interesse an mir als Versuchskaninchen: Sie fordern mich auf, nachzuprüfen, ob meine Kaffeebohnen nicht vielleicht doch mit Bienenwachs poliert wurden, ob Pommes mit Ketchup hundertprozentig vegan sind. Ich lasse mich nicht provozieren. Denn ich merke, dass ich mich als Veganerin ziemlich gut fühle. Das Essen ist bekömmlich, sich zu überfressen fällt schwer.
Ritter Sport Marzipan bis zum Abwinken
Eine andere Sache ist die Organisation des veganen Alltags. Alles ist gut, solange ich zu Hause essen kann und mir für jeden Supermarktbesuch mindestens eine halbe Stunde Zeit nehme, um die Inhaltsstoffe der Produkte zu inspizieren und im Zweifelsfall beim Personal nachzufragen. Ich beginne die Frage „Ist das vegan?“ zu hassen. Wo ich gehe und stehe, brauche ich eine Extrawurst. Bestelle mitten im dicksten Mittagspausenstress in der Kantine eine Suppe ohne darübergeriebenen Parmesan. Ich bitte um Salat ohne Käsewürfel – der Kuh ist ja nicht geholfen, wenn ihre Milchproduktbrocken weggeworfen werden. Ich nerve die Verkäuferin beim Bäcker. Ich esse sehr viele trockene Brötchen, Bananen und Äpfel und in rauen Mengen die vegane Ritter-Sport-Marzipanschokolade.
Tabu ist Honig. Das ist seltsam für mich, bislang habe ich gemeint, dass Honig, Wolle und andere Naturprodukte künstlichen Alternativen immer vorzuziehen seien. Aber Künstliches ist für Veganer nichts Schlimmes – solange dadurch Tiere geschützt werden. Nachhaltigkeit und Umweltschutz scheinen für viele von ihnen ein positiver Nebeneffekt zu sein, etwa dass weniger Kühe weniger Klimagase produzieren. Laut dem Vegetarierbund sparen Veganer durch ihre Ernährung so viel Kohlendioxid ein, dass sie anfangen könnten, Porsche zu fahren.
Tag 6. Ausgehen ist kein Problem. Von Veganer-Coach Irina habe ich gelernt, dass nach deutschem Reinheitsgebot gebrautes Bier ganz sicher vegan ist. Damit bringe ich mich über den Freitagabend, an dem ich bei einem fleischliebenden Freund zur Einweihungsparty eingeladen bin. Zum Glück gibt es kein richtiges Abendessen, sondern ein Buffet mit Chili con Carne, Quarkdips, Gemüse mit Frischkäsefüllung. Ich knabbere Brot mit etwas Guacamole, bin etwas zu schnell betrunken und gehe früh nach Hause.
Tag 7. Ich bin zur Landpartie nach Brandenburg eingeladen. Ich will veganen Wein mitnehmen und gehe in einen Biomarkt, von dem ich gehört habe, dass man dort fachkundig beraten würde. Veganer Wein? Die Verkäuferin schaut mich an, als hätte ich nach vegetarischen Bananen gefragt. Das Gleiche im nächsten Bioladen. Ich komme mir vor wie ein Freak.
Schlimmer wird es auf der Tour. Natürlich bekomme ich netterweise mal wieder meine Extrawurst, eine vegane Kartoffelsuppe, während die anderen Gulasch essen. Den Rest des Tages verzichte ich aber auf frisch gebackene Kuchen, aufwändige Käseplatten, lasse mich nur nachts um drei zu einem Glas Wein hinreißen, für dessen vegane Herstellung ich mich nicht verbürgen kann.
Ich merke: Der Verzicht ist gar nicht so unfassbar groß. Aber dieses ständige Nachfragen und Neinsagen macht mich mürbe. Die vegane Ernährung entwickelt sich zu einer Art kulinarischer Fußfessel. Ständig muss ich einplanen, wenigstens am Abend eine Stunde zum Kochen und Essen daheim vorbeizuschauen.
Tag 9. Jeden Tag tauscht meine Veganer-Community E-Mails aus. Ich werde zu gemeinsamen Shoppingtouren durch Supermärkte eingeladen, das Orgateam schickt Informationen zum Mangel an Vitamin B12, über die ökologischen Vorteile veganer Ernährung oder Einladungen zum gemeinsamen Essen herum. Heute aber klappt mir die Kinnlade runter, als ich die Mail öffne: Darin ruft uns eine der Organisatorinnen auf, für einen Verein zu spenden, der sich auf Haiti um Tiere kümmert, die durch das Erdbeben in Not geraten sind. Ist das ihr Ernst? Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Menschen noch auf Ärzte und Lebensmittel warten? Tierdiskriminierung hin oder her – ich spüre, dass hier die ideologische Grenze zwischen mir und den Tierschutz-Veganern verläuft. Meine Laune wird nicht besser, als mittags meine Kollegen gemeinsam Richtung Kantine abziehen und ich mich wieder aufmache, irgendwo etwas Veganes aufzutreiben und dann alleine hinunterzuschlingen. Das Angebot ist nicht üppig. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Veganer so missionarisch sind und manchmal auch so miesepetrig? Wenn es mehr von ihnen gäbe, wenn es sich also für Restaurants und Lebensmittelhersteller lohnen würde, Angebote für sie bereitzuhalten, würde das ihr Leben erheblich erleichtern.
■ Essen: Veganer haben eine große Auswahl. Obst und Gemüse, Kartoffeln, Reis und Nudeln gehören selbstverständlich zum Speiseplan. Ebenso Brot, wenn es ohne tierische Fette und Milch produziert wurde. Es gibt Sojaprodukte für alle, die auf den Fleischgeschmack nicht verzichten mögen – von veganer Chorizo bis hin zu Sojamedaillons. Als Ersatz für Sahne und Joghurt gibt es pflanzliche Erzeugnisse aus Hafer, Soja oder Reis. Außerdem eine breite Auswahl von Brotaufstrichen aus Paprika, Linsen, Kichererbsen oder anderem Gemüse. Für Kuchen und Torten gibt es im Reformhaus Ei-Ersatz zu kaufen.
■ Trinken: Bier, das nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut ist, ist vegan. Als Alternative zu Milch gibt es eine breite Produktpalette aus Reisdrinks, Hafertrunk und Sojamilch.
■ Kleiden: Baumwolle als rein pflanzliches Produkt wird von Veganern bedenkenlos getragen. Ebenso sämtliche Kunststoffe von Polyamid über Elastan bis zu Polyester und Polyethylen. Diverse Hersteller haben sich auf die Herstellung von veganen Schuhen und Gürteln spezialisiert, die aus Kunststoffen bestehen, optisch von Ledererzeugnissen aber kaum zu unterscheiden sind.
■ Pflegen: Von der Wimperntusche bis zur Creme gibt es viele Produkte, die Vegan-Siegel tragen, auch Spülmittel und Waschpulver.
Tag 10. Die Tierschutzfrage lässt mich nicht los. Bin ich kaltherzig? Zwei junge Mitveganer haben mir erzählt, dass ein Film sie überzeugt hat. Die Dokumentation heißt „Earthlings“ und zeigt die gesammelten Grausamkeiten, die Menschen Tieren antun. Ich schaue mir den Film mit seinen wirklich schrecklichen Bildern an. Einerseits bin ich schockiert, denke lange über den Begriff Spezizismus, also Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Art, nach und beschließe, auch nach den zwei Wochen nur noch Biomilch zu kaufen. Andererseits bleibe ich dabei: Mit artgerechter Nutztierhaltung habe ich kein Problem.
Die Tierschutzfrage – Bin ich kaltherzig?
Tag 11. Weil ich am Wochenende unterwegs war, habe ich die Schnupperwochen-Vorträge über das Gesundheitsrisiko Milch, das Übel der Eierproduktion und die Massentierhaltung leider verpasst. Als ich am Mittwoch endlich wieder zu meinen Mitveganern stoße, um einen Vortrag über Tierversuche zu hören, spüre ich, dass sich der Ton geändert hat.
In dem kleinen Charlottenburger Ladenlokal der Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg spricht die Vorsitzende Brigitte Jenner darüber, dass Tierversuche falsch und nutzlos seien, weil Tests an Tieren nicht geeignet seien, Auswirkungen bei Menschen vorherzusagen. Viele meiner Mitveganer streicheln ihre mitgebrachten Hunde, einige halten sich die Augen zu, als ein Bild von einem Affen mit geöffneter Schädeldecke an die Wand projiziert wird.
Ich weiß wenig über Alternativen zu Tierversuchen und lerne: Statt ein lebendes Tier leiden zu lassen, gibt es die Möglichkeit, Chemikalien und Medikamente an einzelnen Organen zu testen, die Schlachtvieh entnommen werden. Gute Idee, finde ich. Die Tierversuchsgegner sehen das anders, schließlich sterben auch dabei Tiere. Ich beiße mir auf die Zunge, als Frau Jenner es „Heuchelei“ nennt, dass Stammzellenforschung in Deutschland verboten sei, nicht aber Tierversuche an Affen und Hunden, die sich auf dem geistigen Entwicklungsstand von Dreijährigen befänden. Ich höre fassungslos, wie einige meiner Mitstreiter diskutieren, ob Tierversuche nicht zugunsten von Menschenversuchen abgeschafft werden könnten – die würden schließlich bewusst den Versuchen zustimmen. Und bin erleichtert, als andere davor warnen, das Hartz-IV-Empfänger oder Arme in der Dritten Welt sich zu solchen Tests gezwungen sehen könnten.
Nach dieser Diskussion sind wir zum gemeinschaftlichen Nudelessen geladen. Aber ich halte das nicht länger aus, flüchte in die Nacht, vorbei an den Pelzgeschäften des Kurfürstendamms.
Tag 12. Bei meiner Joggingrunde merke ich, dass ich vollkommen kraftlos bin. Sogar der Leichtathlet Carl Lewis habe sich vegan auf Wettkämpfe vorbereitet, hat mir einer meiner Mentoren erzählt. Wikipedia sagt, dass das stimmt. Bei mir funktioniert es aber irgendwie nicht. Zum ersten Mal seit Beginn meiner Veganerwochen fühle ich mich schlecht.
Essenseinladungen von Freunden lehne ich ab, ich will keine Umstände machen. Stattdessen koche ich für meinen Freund vegane Sojamedaillons, so wie ich es im Kochkurs gelernt habe. Er, ein überzeugter Fleischesser, konstatiert immerhin, dass die leicht labbrigen Dinger in der kulinarischen Hierarchie ungefähr auf einer Stufe mit Supermarkt-Fertigbuletten stehen, und isst brav auf.
Tag 14. „Es ist unhöflich, am Essen rumzunörgeln“, steht auf einem rosa Zettel an der Pinnwand. Heute ist die Abschlussveranstaltung, gemeinsam bereiten wir uns darauf vor, welche Argumente uns Fleischesser entgegensetzen und wie wir sie entkräften können. Am Ende dieser zwei Wochen kann ich mich mit dem Satz auf dem Zettel gut identifizieren, oft genug bin ich mir wie eine Essgestörte vorgekommen.
Eine meiner Mitstreiterinnen sieht das anders. „Es ist unhöflicher, Leichen zu servieren“, schreibt sie auf ihren grünen Zettel und pinnt ihn an.
Für viele die beste Entscheidung ihres Lebens
Ich merke, dass es mir widerstrebt, mich mit meinen Mitveganern zu streiten oder mich über ihr Weltbild, ihren Eifer lustig zu machen. Anders als bei ihnen hat das Wohl von Tieren für mich immer noch keine absolute Priorität. Aber vielen von ihnen ist es eine Herzensangelegenheit. Ihre Motivation ist stärker als meine, deshalb machen ihnen die Fallstricke des veganen Alltags weniger zu schaffen. Ihr manchmal radikales Auftreten scheint auf dieser Überzeugung zu basieren, nicht auf Ärger über den Verzicht. Mitunter mögen einige von ihnen übers Ziel hinausschießen, meinem Empfinden nach zum Beispiel bei den Tierschutzspenden für Haiti. Aber im Grunde engagieren sie sich nach Kräften für etwas, das sie als richtig und wichtig empfinden.
Veganerin bleiben mag ich trotzdem nicht, obwohl ich es trotz exzessiven Schokoladenkonsums geschafft habe, in zwei Wochen drei Pfund zu verlieren. Ich bin die Einzige aus der Schnupperwochen-Runde, die künftig wieder nichtvegan leben will. Viele andere schwärmen, dies sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen.
Ich bin jetzt raus. Erwartet hätte ich, dass ich nach zwei Wochen Abstinenz gierig die nächste Käse-Sahne-Soße verschlingen würde. Aber Fehlanzeige. Bis ich den ersten Biojoghurt im Supermarkt kaufe, dauert es drei Wochen. Von Fisch lasse ich immer noch die Finger. Und ich bin glücklich mit meinen Kosmetika ohne Tierprodukte. Aber ich genieße es, nicht jede Speise sorgfältig inspizieren zu müssen, bevor ich sie esse. Auch Milchkaffee gönne ich mir wieder. Aber vielleicht sollte ich mal beim Bauern vorbeifahren, um nachzuschauen, ob es den Kühen auch gut geht.