: Eine Schule kämpft um Eltern
SCHÜLERMISCHUNG Die Kreuzberger Lenauschule gehört zu den Grundschulen, die von deutschen Eltern bisher eher gemieden werden. In diesem Jahr will sie das ändern
VON ALKE WIERTH
So locker wie sonst oft bei Veranstaltungen dort ist die Stimmung in der Heiligkreuzkirche an diesem Montagabend nicht. Beinahe vorsichtig betreten die Gäste den großen Kirchenraum, in dem hohen Gewölbe hallt jeder Schritt. Und fast schüchtern werden sie von den GastgeberInnen begrüßt: Dies ist Kreuzberg, es geht um das Thema Schule im Kiez – da hat es bei früheren Veranstaltungen schon mächtig Ärger und Streit gegeben.
Das soll an diesem Abend nicht so sein: Die Lenauschule hat in die Kirche eingeladen. Die Grundschule in der Nostizstraße gehört zu den Schulen mit schlechten Ruf: Viele Kinder aus Einwanderer- und armen Familien in der Schülerschaft, dazu Gerüchte über Gewaltvorfälle, die in der Nachbarschaft die Runde machen. Vor allem deutsche Eltern meiden die Schule seit Jahren.
Die Lenauschule hat sich entschlossen, in diesem Jahr aktiv um eine andere Schülerschaft zu kämpfen. Die Chancen dafür stehen rein statistisch betrachtet gut: Die bei deutschen Eltern besonders beliebten Grundschulen in der Umgebung sind mittlerweile so überlaufen, dass sie viele BewerberInnen abweisen müssen. Ein Teil davon wurde der Lenauschule zugewiesen. Deren Eltern hat die Schule an diesem Abend eingeladen – und dazu noch weitere, die im Einzugsbereich der Schule wohnen, ihre Kinder aber an anderen Schulen angemeldet haben.
Um etwa 80 Eltern beziehungsweise Elternpaare handelt es sich dabei, die Mehrheit deutscher Herkunft. Etwa 15 davon sind der Einladung gefolgt. Nach einem kurzen Film über das Lesekulturprojekt, das seit Jahren an der Lenauschule läuft, wird zur Diskussion in der Stuhlkreisrunde gebeten – dass niemand von den Eltern geht, lockert die Spannung etwas auf.
Sie sei selbst Kreuzbergerin, sagt eine der Eltern, und hier auch zur Grundschule gegangen: „Multikulti war es hier immer, und das finden wir auch gut.“ Aber die Atmosphäre habe sich seitdem deutlich verändert, das Verhältnis zwischen den deutschen und den türkischen oder arabischen Kindern sei nicht stimmig, so die Mutter: „Ich mache mir Sorgen, dass mein Kind an der Schule ausgegrenzt wird.“ Er höre hier von seiner sozialen Verantwortung für den Kiez, sagt ein Vater, sehe dabei aber doch vor allem seine kleine Tochter vor sich.
Eine gesonderte Klasse?
Die Angebote, die die Schule den Eltern macht, gehen weit; sie verraten, unter welchem Erfolgsdruck die Schule steht: „Wenn Sie das möchten, können wir Ihre Kinder alle in eine Klasse stecken“, schlägt Karola Klawuhn, die Leiterin der Lenauschule, den Eltern beispielsweise vor. Auch könnte neben dem gebundenen Ganztagsbetrieb der Grundschule ein offener Zweig mit früherem Schulschluss eröffnet werden. Sie lädt die Eltern zu Hospitationen und weiteren Veranstaltungen ein – nur deren Frage nach den künftigen Lehrern ihrer Kinder kann sie nicht beantworten: „Wenn Sie mit Ihren Kindern zu uns kommen, bekommen wir neue Lehrer. Aber das weiß ich ja erst, wenn Sie sich entschieden haben.“
Noch eine gute halbe Stunde nach Ende der Debatte stehen viele Eltern draußen vor der Kirche. Das Angebot der Schule hat sie nachdenklich gemacht. Sie habe eigentlich vorgehabt, gegen die Zuweisung an die Lenauschule zu klagen, sagt eine Mutter: „Wir wollten doch, dass unser Kind mit seinen Kitafreunden an eine Schule kommt.“ Wenn andere mitzögen, sei die Lenauschule vielleicht eine Option: „Aber nachher springen doch wieder alle ab und gehen an andere Schulen.“ Es ist die berühmte Kreuzberger Zwickmühle: Wanderten die Eltern nicht ab, hätte die Lenauschule genau die Schülermischung, die die abwandernden Eltern gerne wollen.
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