: Dankeschön oder Korruption?
BESTECHUNG Wie viel Trinkgeld dürfen Bedienstete des Staates und Angestellte öffentlicher Unternehmen annehmen? Nicht viel, nur geringwertige Aufmerksamkeiten sind erlaubt
■ Berlin verfügt über ein ausgefeiltes Konzept, um Korruption zu erschweren. Dazu gehören die von Oberstaatsanwalt Rüdiger Reiff geleitete Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung und die Institution des Vertrauensanwaltes. Im Auftrag des Landes nimmt Rechtsanwalt Christoph Partsch anonyme Hinweise von Bürgern entgegen, die Angst haben, sich erkennen zu geben. Solche Whistleblower, also Tippgeber, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, melden sich häufig nur unter besonderem Schutz. Seit Ende 2011 sind 84 Anfragen bei Partsch eingegangen – 77 von ihnen haben sich allerdings als gegenstandslos erwiesen. Die übrigen Fälle sind noch nicht abgeschlossen. Bürger, die mit offenem Visier Bestechlichkeit anzeigen wollen, können zur Polizei, Staatsanwaltschaft oder Revisionsabteilung der jeweiligen Behörde gehen. Anonym geht es auf Partschs Internetseite www.vertrauensanwalt.com (hk)
VON HANNES KOCH
Ein alltägliches Vorkommnis: Der Müllcontainer im Hof des Wohnhauses wurde länger nicht geleert, denn die Ausfahrt vor dem Gebäude ist durch eine Baustelle blockiert, und den Müllmännern ist der Umweg zur freien Stelle vor dem Nachbarhaus zu lästig. Mit einem kleinen Geldgeschenk von 30 Euro kann der Eigentümer sie schließlich überzeugen, ihren Dienst doch zu verrichten. Ist das schon Korruption?
Derartige Beispiele gibt es viele: In weiten Teilen Deutschlands ist es üblich, den Männern der Müllabfuhr zu Weihnachten oder Silvester mit ein paar Banknoten im Umschlag für die Dienste des vergangenen Jahres zu danken. Oder die Wasserbetriebe schicken am Sonntag einen Bautrupp vorbei, um das gebrochene Wasserrohr unter dem Bürgersteig zu flicken. Auch in diesem Fall möchte sich mancher nachher erkenntlich zeigen. Die Arbeiter reagieren dann mitunter so: „Eigentlich dürfen wir das nicht annehmen …“ Und stecken die Gabe trotzdem ein.
Wo beginnt Bestechung und Bestechlichkeit, die nicht nur Beschäftigten von Wirtschaftsunternehmen, sondern auch den Beamten und Angestellten des Staates sowie öffentlicher Firmen untersagt ist? Wer will, kann ein motivierendes Trinkgeld für die Arbeiter des kommunalen Entsorgungsbetriebs schon als Angebot zur illegalen Annahme eines Vorteils verstehen. Schließlich könnten sich die Müllmänner dadurch angespornt fühlen, den Geldgeber künftig bevorzugt zu behandeln und andere, nicht so großzügige Hausbesitzer zu benachteiligen.
Grundsätzlich ist Deutschland kein Land, in dem Korruption das Leben seiner Bürger bestimmt und ihre Sicherheit untergräbt. Einfacher Beleg: Fast niemand versucht hierzulande, Polizisten zu bestechen. Man muss einfach davon ausgehen, dass das nicht funktioniert. Wer es dennoch ausprobiert, kassiert sehr schnell eine Anzeige wegen versuchter Bestechung. Diese weitgehende Sicherheit drückt sich in der Platzierung Deutschlands auf der Liste der Antikorruptionsorganisation Transparency International aus. Im sogenannten Wahrnehmungsindex für Korruption 2012 stehen wir weit oben, auf Platz 13 von 174 untersuchten Staaten. Vor Deutschland rangieren Länder wie Dänemark, Schweden und Neuseeland, hinter ihm unter anderem die USA, Österreich und Frankreich.
Trotzdem gibt es auch in Deutschland immer wieder große und kleine Fälle von Kriminalität im Bereich der Korruption. Unternehmen und Staat versuchen sich mit detaillierten Gesetzen, Verordnungen und Verhaltensvorschriften davor zu schützen. Wie ist die Rechtslage, was Trinkgelder, Blumensträuße und Freikarten für Bundesligaspiele betrifft? Beispiel Hessen: In der „Vorschrift zur Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung“ heißt es, dass „Beschäftigte des Landes keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen“ dürfen. Total tabu sind Geld, die Überlassung von Fahrzeugen, die Annahme von Freikarten oder günstigen Krediten. Aber es gibt kleine Ausnahmen: Beamte, Angestellte und Arbeiter des Landes dürfen „geringwertige Aufmerksamkeiten“ akzeptieren, wenn diese einen Wert von zehn Euro nicht übersteigen. Beispielsweise Kugelschreiber, Kalender oder Blumen sind erlaubt, die Einladungen zu einem Kaffee oder Imbiss ebenso. Möchte eine Beamtin im Finanzamt aber den offenbar teuren Blumenstrauß eines dankbaren, über die schnelle Bearbeitung und niedrige Nachzahlung erfreuten Steuerzahlers annehmen, muss sie die Amtsleitung fragen. Die kann genehmigen oder ablehnen.
Solche und ähnliche Regeln haben die anderen Bundesländer und der Bund ebenfalls erlassen. Spezielle Vorschriften existieren dabei meistens für die öffentlichen Unternehmen, die dem Staat gehören oder von ihm übertragene Aufgaben wahrnehmen – unter anderem die Versorgung mit Wasser, Strom und Nahverkehr.
So dürfen die Arbeiter der Berliner Stadtreinigung „pro Kopf und Fall Trinkgeld von maximal fünf Euro annehmen“, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler. Gestattet sind außerdem Sachgeschenke bis zu zehn Euro, Erfrischungsgetränke, belegte Brötchen und Ähnliches. Wie also sieht es aus, wenn eine Hausgemeinschaft zusammenlegt und der Müllwagenbesatzung 30 Euro zu Neujahr überreicht? Sitzen drei Leute auf dem Wagen, übersteigt der Betrag die zulässige Grenze. Die Müllmänner müssten die Annahme eigentlich verweigern und die großzügigen Geber machen sich eines potenziellen Bestechungsversuchs schuldig. Konsequenzen hat diese Regelüberschreitung jedoch fast nie, denn Geber und Nehmer vereinbaren stillschweigend Stillschweigen. Und die Nachbarn machen es genauso.
Wahrscheinlich gehört diese Art der Alltagskorruption zu den unausrottbaren Übeln, die viele Bürger nicht als solche betrachten – selbst, wenn die BSR und andere Entsorger ihre Beschäftigten mit speziellen Merkblättern darauf hinweisen, dass sie für derartige Handsalbungen keinesfalls Vorteile gewähren dürfen. Immerhin von fünf Beschäftigten habe sich die BSR seit 2009 „im Zusammenhang mit Korruption, Bestechung und Vorteilsnahme“ verabschiedet, sagt Sprecherin Thümler.