: Der aus Scheiße Gold macht
REVOLUTION Die Schwarzerde Terra Preta soll helfen, das Klima zu retten und den Hunger zu bekämpfen. Ein Besuch bei einem ihrer Wiederentdecker
VON UTE SCHEUB
Haiko Pieplow greift in einen seiner Pflanzkübel und lässt die fruchtbarste Erde der Welt durch die Finger krümeln. Der promovierte Bodenkundler wird dabei malerisch umrahmt von Narzissen und mediterranen Gewächsen, die aus dem Boden seines Wintergartens in einem Haus am Rande von Berlin wachsen.
Terra Preta (siehe Kasten) könne Abfälle in wertvolle Rohstoffe umwandeln und damit eine echte regionale Kreislaufwirtschaft initiieren, erklärt Agraringenieur Pieplow. Weltweit angewandt sei sie in der Lage, rund 20 Prozent des Kohlendioxids aus der Luft zu holen und damit Böden dauerhaft fruchtbar zu machen. Der Treibhausgasausstoß könne durch Terra Preta entscheidend verringert werden. Dank der überdurchschnittlichen Erträge, die dieser Boden hergibt, könne außerdem der Hunger in Entwicklungsländern bekämpft werden. Schwarzerde – hergestellt von Landwirten und KleinbäuerInnen, HobbygärtnerInnen und SlumbewohnerInnen – könne buchstäblich eine Graswurzelrevolution auslösen.
Terra Preta do Indio, so lautet der portugiesische Name für die Schwarzerde aus dem südamerikanischen Amazonasgebiet, die erstmals von früheren Indiokulturen angelegt wurde. Deutschen Wissenschaftlern, darunter Haiko Pieplow, gelang es in den vergangenen Jahren, ihren Herstellungsprozess experimentell wiederzuentdecken.
Alchemie, erster Eimer: Ach du heilige Scheiße
Im Frühjahr ist in Pieplows Garten und Wintergarten noch nicht viel davon zu sehen, was Terra Preta alles kann. Aber im Sommer, sagt er, sei hier alles zugewuchert. Hinter der südlichen Glaswand seines raffiniert gebauten und belüfteten Passivenergiehauses erntet Pieplow dann Tomaten, Weintrauben, Guaven, Feigen und Granatäpfel. Und im Garten gedeihen Obst und Gemüse aus unseren Breitengraden. Ein Hauch von Paradies durchzieht das ganze Grundstück. Wie Pieplow durch sein Haus führt und all die Behälter zeigt, in denen Abfälle wiederverwertet werden – Essensreste, Holzspäne, Abwasser, Kot, Urin –, da wirkt er wie ein moderner Alchemist, der das Geheimnis gelüftet hat, wie man aus Exkrementen Gold macht – schwarzes Gold.
Im holzverkleideten Badezimmer steht neben dem Wasserklosett für die Gäste ein weißer Behälter. Die luftdicht verschlossene Trockentrenntoilette. Dass sie nicht stinkt, nicht einmal ansatzweise müffelt, ist der Holzkohle zu verdanken, die das Ehepaar Pieplow nach jedem Toilettengang per Schäufelchen darüberstreut. „Wichtig ist, Kot und Urin zu trennen“, erklärt der Hausherr und zeigt zwei Pipi-Behälterchen, die der männlichen und weiblichen Anatomie angepasst sind. Urin enthält zwar sehr viel Stickstoff und wertvollen Phosphor, aber bei der Herstellung der Terra Preta würden sie sich eher negativ auswirken. Pieplow bewahrt trotzdem sein „Goldwasser“ auf, es dient ihm – zehnfach verdünnt – in der Vegetationszeit als „ausgezeichneter Dünger“.
Und die Scheiße? Es heißt doch überall, es sei gefährlich, menschliche Exkremente auf Äcker auszubringen? Kot sei ein Wertstoff, erklärt dagegen Haiko Pieplow. Aber um dazu zu werden, müsse er mindestens ein halbes Jahr richtig behandelt werden. Er zitiert den Künstler und Visionär Friedensreich Hundertwasser: „Natürlich ist es etwas Ungeheuerliches, wenn der Abfallkübel in den Mittelpunkt unserer Wohnung kommt und die Humustoilette auf dem schönsten Platz zum Ehrensitz wird. Das ist jedoch genau die Kehrtwendung, die unsere Gesellschaft, unsere Zivilisation jetzt nehmen muss, wenn sie überleben will.“
Wer Terra Preta selbst produzieren will, könne das auch ohne Kotverwertung tun, stellt Pieplow klar. Holzkohle, Küchen- und Gartenabfälle genügen völlig. Doch für die Bewohner von kanalisationslosen Slums in südlichen Ländern sei die neue Toilette perspektivisch ein Segen. „Jeder kann sprichwörtlich sein kleines Geschäft damit machen, Terra Preta herstellen und gleichzeitig teure Abwassergebühren sparen.“ Und er erzählt, dass schon die alten Römer Götter der Abfallverwertung angebetet haben: Stercutius, den Gott des Kotes, Crepitus, den Gott des Abwindes, und Cloacina, die Göttin der Abzugskanäle.
Alchemie, zweiter Eimer: Kohl und Kohle
Im Wirtschaftsraum steht ein roter Plastikeimer mit Küchenabfällen und Holzkohle, einige Lagen darunter auch das Kotgemisch. „Riechen Sie was?“, fragt Pieplow und hebt den Deckel an. Nein, genauso wenig wie auf dem Örtchen. Die Abfälle, erklärt er, müssten luftdicht abgeschlossen und gepresst werden, damit die Milchsäurevergärung beginne. Das Ganze nennt man Bokashi, ein japanisches Wort, das so viel wie Allerlei bedeutet. Die für das Bokashi nötigen Mikroorganismen könne man kaufen, aber im Prinzip seien sie auf Obst und Gemüse ausreichend vorhanden. Auch die – möglichst feine – Holzkohle könne man kaufen oder selbst produzieren. Er selbst stellt eine Dose mit Sägespänen über Nacht in seinen Kamin, am nächsten Morgen sind die Späne geröstet und die Biokohle fertig. „Man kommt von selbst auf die richtigen Ideen, wenn man den ersten Sack Grillkohle zerkleinert hat und schwarz wie ein Schornsteinfeger ist“, sagt er schmunzelnd.
Alchemie, dritter Eimer: Würmer satt
Haiko Pieplow führt in den Garten, dorthin, wo nach etwa einem halben Jahr auch das Bokashi-Gemisch landet: zu den Kompostbehältern. „Erst in den Mägen der Regenwürmer entsteht die Schwarzerde“, erklärt er. Ist Terra Preta also Regenwurm-Sklaverei? „Nein“, lächelt er. „Eher eine Symbiose. Wir füttern sie ja gut. In unserem Kompost gibt es ganze Wurmnester.“
„Holzkohleverwendung und Milchsäurevergärung sind weltweit bekannte uralte Verfahren, die niemand patentieren kann. Das Neue daran ist, dass man beides zusammenbringt“, erklärt der Agraringenieur. Bisher hätten nur die Indios dieses Geheimnis gekannt. Deshalb kann kein Großkonzern die Herstellung monopolisieren. Einige kleine Firmen, mit denen Haiko Pieplow zusammenarbeitet, bieten die Zutaten an, aber man kann genauso selbst experimentieren, um Terra Preta herzustellen. Er hofft deshalb auf die weltweite Kreativität von Kleinbauern und Hobbygärtnerinnen, um die Graswurzelrevolution zu starten.