Schon Ikonisches

AUSSTELLUNG Bilder vom heiligen Hopfen und ein Spiel mit Satyrn. In der Galerie Neurotitan sucht man nach neuen Ikonen: „My Icon“

VON JENS UTHOFF

Stell dir vor, du bist Ikonenmalerin und nicht gläubig. Also zumindest nicht orthodox. Olga Volchkova wäre so ein Fall: Volchkova hat an einer russisch-orthodoxen Schule in der Nähe von Moskau traditionelle Ikonenmalerei gelernt. Sie hat Christus- und Marienfiguren, Heilige und Apostel in Öl auf Holz gezeichnet. Nun stellt die mittlerweile in Oregon lebende Künstlerin gänzlich andere Ikonen in Berlin aus.

„In Russland käme sie dafür wahrscheinlich in den Knast“, sagt Danielle de Picciotto, Kuratorin der Ausstellung „My Icon“ in der Galerie Neurotitan. „Das ist ja blasphemisch, was sie da malt.“ In der Tat: In ihren Ikonenbildern betet Volchkova mit bisweilen sarkastischem Unterton meist die Flora, manchmal auch die Fauna an. Darunter: St. Hops, der heilige Hopfen. Man sieht eine jesusähnliche Gestalt aus einem Bierkelch trinken. Die implizite Message: „Du sollst den Hopfen ehren!“

Ikonen, die eigentlich in den byzantinisch geprägten Religionen als Heiligenbilder eine bedeutende Rolle spielen, finden wir heute auch in der Unterhaltungskultur – dann als Pop-Ikone. Danielle de Picciotto fragt nun in ihrer Schau: Was verstehen wir heute unter einer Ikone? Kann es Ikonen nach traditionellem Verständnis noch geben?

De Picciotto ist als Mitbegründerin der Loveparade und als Beteiligte an zahlreichen Berliner Kunstprojekten selbst so etwas wie eine Szene-Ikone. Die 48-Jährige hat einiges an (Sub-)Kulturprominenz geladen, um der Beantwortung der Frage näher zu kommen. Unter den 13 internationalen KünstlerInnen, die sich dem Thema in Fotografien, Zeichnungen, Objekten und Videos nähern, finden sich viele bekannte Berliner Namen, etwa Berghain-Türsteher und Fotograf Sven Marquardt, Neubauten-Perkussionist N. U. Unruh oder der Berliner Filmemacher Uli Schueppel.

Klärung der Verhältnisse

„Alle haben bei dem Thema spontan zugesagt“, berichtet De Picciotto, „im Laufe des Projekts hatten wir aber auch alle unsere Probleme damit – wir haben gemerkt, dass man sich sehr bewusst darüber werden muss, welches Verhältnis man zu Ikonen hat und welche Bedeutung sie für einen haben.“

Zu Volchkova etwa, die sie seit Jahren kennt, habe sie schon lange vor der Ausstellung gesagt: „Mal doch mal deine eigenen Ikonen!“ – „Das geht nicht, das ist verboten“, habe diese geantwortet. In der traditionell-religiösen Ikonenmalerei ihres Heimatlandes, ja. „Du lebst jetzt in Oregon“, habe De Picciotto ihr entgegnet. Und so ging es los, der Gedanke an eine Schau in Berlin reifte.

„Meine Arbeiten wollen zeigen, wie viel wir im täglichen Leben aus der Natur nehmen“, erklärt Volchkova, 43, nun zu ihren Bildern. Sie schreibt ihren Gemälden klug und gewitzt eine kleine Kulturgeschichte der Nutzung von Pflanzen mit ein. In einem Bild weist sie darauf hin, wie die Verfahren der analogen Fotografie beim Lamellenverschluss der Natur nachgebildet wurden.

Volchkova zählt in detailreichen, deutlich am klassischen Ikonenstil angelehnten Acrylgemälden weitere Heilige auf: St. Cactus, St. Passion Flower, St. Lemon, St. Tea. Im Laufe des Rundgangs wird es dann immer lustiger, es findet sich auch mal eine Reihe Totenköpfe unter der Ikone, und die Geranie wird als konservative Blume geoutet; entsprechend bieder fällt das Bild aus. Man schreitet die pflanzliche Ikonografie entlang – bis man bei St. Hops endet.

Griff zur Mythologie

Bei Sven Marquardt geht es düsterer zu: Er zeigt ein aus drei großen Satyrn bestehendes Triptychon. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, bei denen drei Darsteller die dionysischen Mischwesen aus der griechischen Mythologie mimen, wirken fast klaustrophobisch. „I taste like the dreams of mad children“, hat Marquardt auf die Wand daneben gepinselt.

Kontrastreicher sind seine kleinformatigen Fotografien von halb nackten Frauen aus der DDR-Zeit, die den raumhohen Satyrbildern gegenübergestellt werden. „Ich wollte Ikonen von damals und heute gegenüberstellen“, sagt Marquardt, „und die DDR-Frauen sind so etwas wie meine Ikonen.“

Welche Eigenschaften muss ein Mensch mitbringen, um an eine Ikone zu glauben oder selbst zu einer zu werden? Die großformatigen Tuschezeichnungen De Picciottos beantworten diese Frage im hinteren Teil der Schau. Die Laster und die Trägheit überwinden, wäre eine Antwort. „Bei Ikonen geht es darum, die Verbindung zu irgendetwas Größerem oder Höherem herzustellen“, sagt sie. Pop-Ikonen wie David Bowie oder heute Beyoncé gelinge das – weil sie sich einer langen, harten Auseinandersetzung mit ihrer Kunst und ihrer Wirkung gestellt hätten. Picciotto übersetzt diese Prozesse in Bilder: Eine Figur gießt sich selbst wie eine Pflanze, und der Typ ein paar Bilder weiter zündet sich den einen Fuß an, während er den anderen löscht. Und so geht es immer weiter.

„My Icon“ leistet mit seinen verschiedenen Perspektiven auf den Begriff „Ikone“ genau das, was eine Gruppenausstellung zu leisten vermag. Vielleicht sind es ein paar Künstler zu viel, vielleicht hätte man einige Videoinstallationen statt auf kleinen Bildschirmen lieber auf Leinwänden gesehen. Darüber hinaus aber bietet die Schau Anlass, sich über den Prozess der Säkularisierung genauso Gedanken zu machen wie über politische oder mediale Ikonen der heutigen Zeit.

■ „My Icon“: Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Str. 39, bis 21. September