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Archiv-Artikel

Den Orkan im Auge

Bei der Seewetterwarte Hamburg herrschte gestern Hochbetrieb. Doch was tun die Meteorologen in dem ehrwürdigen Gebäude am Hafen, wenn es keinen Tornado gibt? Ein Besuch

Der Otto-Versand hat gerade für ein Fotoshooting die Wetterlage auf Mauritius bestellt

von Jan Freitag

Ein Tiefdruckgebiet hängt über der Nordsee, von Süden zieht ein Hoch heran, dazwischen herrschen winterliche Zustände – nein, das ist nicht der Tornado, der Montagabend über Hamburg fegte. Es ist das Wetter vom 16. Februar 1876. Gut 130 Jahre später zeigt Günter Delfs auf eine Kopie jener Karte, der ersten Wetterkarte überhaupt. Sie hängt im Hausflur des Seewetteramts gegenüber den Hamburger Landungsbrücken, und seit damals, erklärt Delfs feierlich, „gab es für Deutschland jeden Tag eine weitere“.

Das Seewetteramt ist die nördliche Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes, und Günter Delfs ist ihr Sprecher. Durch das ausladende Treppenhaus steigt er dem historischen Gebäude aufs Dach. „Traumhaft“, entfährt es dem gelernten Meteorologen. Unter ihm liegt der sonnendurchflutete Hafen. Im September wird das Seewetteramt, das so nicht mehr heißen soll, weil das Wort zu muffig klingt, aber von allen weiter so genannt wird, weil es eben Tradition ist, 100 Jahre alt. Seit die Behörde vor 59 Jahren hier eingezogen ist, hat sich einiges geändert in der alten Seewarte. Hightech, wohin man sieht, 300 Mitarbeiter zwischen Myriaden von Monitoren, ein Geflecht grundsanierter Gänge und Räume. Trotzdem weht noch ein Hauch von Klemmbrettern und Windjammern durch den Backsteinbau. Deshalb lieben ihn die Hamburger, glaubt Günter Delfs. Beim Tag der offenen Tür seien 3.500 Besucher gekommen. In der Zentrale des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach, bemerkt er süffisant, „waren es in einer Woche weniger“.

Dennoch sitzen die Hamburger Wettermänner mit der Offenbacher Zentrale in einem Boot – bei einem Kampf, der seit 15 Jahren tobt. Die Gegner sind auf staatlicher Seite der Deutsche Wetterdienst, auf privater Seite Jörg Kachelmanns Meteomedia AG. Seit der medienfreudige Wetterfrosch von der Schweiz aus das staubige Vorhersagewesen aufgemischt hat, scheppert es in der Branche.

„Keine Konkurrenzsituation? Dass ich nicht lache“, sagt Jörg Kachelmann und lacht doch so gehässig, wie er es zwischen Terminen in Zürich und Boston oft tut. Der Deutsche Wetterdienst versuche „systematisch, alle private Konkurrenz plattzumachen“, klagt deren VIP. Der Dienst sei trotz 160 Millionen Euro Förderung aus Steuermitteln weiter am Markt tätig, drücke dadurch die Preise, und das auch noch mit schlechten Produkten. Starker Tobak für einen Gegner, der in hoheitlichem Auftrag arbeitet und gesetzlich zur Erzielung von Einnahmen verpflichtet ist.

„Regulierter Markt? Vielleicht vor 25 Jahren“, sagt Hans-Gerd Nitz und lacht, wenngleich leiser. Der Vorstand des Deutschen Wetterdienstes beteuert, es gebe keinerlei Interessenkonflikte, da seine Behörde seit drei Jahren statt Vorhersagen nur noch Rohdaten an die Medien verkaufe – für einen mittleren sechsstelligen Betrag im Jahr auch an Meteomedia. Das Netz amtlicher Messstationen sei löchrig und schlecht? Jene von Kachelmanns Meteomedia AG, die „ich persönlich sah, würden bei der Meteorologischen Weltorganisation durchfallen“.

Der Deutsche Wetterdienst beansprucht ein Monopol auf die Unwettervorhersage – zum Schutz der Katastrophenstäbe vor widersprüchlichen Warnungen. Kachelmann dagegen fordert freien Wettbewerb. Beide werfen sich – etwa bei der Elbeflut 2002 – Inkompetenz vor. Ob zu Recht, klären derzeit die Gerichte.

Vergleiche haben eine besondere Bedeutung in diesem Streit. Meteomedia, das jährlich um bis zu 15 Prozent wächst, machte 2005 zehn Millionen Euro Umsatz. Der Deutsche Wetterdienst machte achtmal so viel. Dass auf jeden der 100 Meteomedia-Mitarbeiter 27 Staatsbedienstete kommen, deutet Kachelmann als „subventionierten Riesenwuchs“. Dass dessen AG jeden Monat medienwirksam zwei neue Stationen eröffnet, sich allerdings alle 450 Stationen von Kommunen oder lokalen Unternehmen sponsern lässt, wertet wiederum der Deutsche Wetterdienst als „PR-Zirkus“. Während Kachelmann fast ausschließlich automatische Einrichtungen unterhalte, haben „wir allein 139 bemannte Wetterwarten“, sagt Delfs, als er vom Dach der Hamburger Wetterwarte wieder in sein Büro zurückgekehrt ist.

Dass Messsystem des Deutschen Wetterdienstes sei weltumspannend, sagt Delfs. Neben den bemannten Wetterwarten gibt es eine ganze Reihe von Automaten, zahllose ehrenamtlich geführte Stationen, Radare, Treibbojen, Ballons, Flugzeuge – insgesamt mehr als 6.000 Messpunkte in allen Elementen. Am stolzesten, hier rollt das „R“ des Nordlichts besonders euphorisch, ist Delfs indes auf 800 Schiffe deutscher Reedereien, die permanent Daten aus aller Welt nach Deutschland funken. Klingt ein bisschen, als schlage in der Hafenstadt Hamburg das eigentliche Herz des Deutschen Wetterdienstes. Delfs grinst: „Die Erdoberfläche besteht ja zu 71 Prozent aus Wasser.“

Am Hamburger Elbufer werden Schiffsrouten geplant, Sturmflutwarnungen erstellt, Wetterentwicklungen registriert, norddeutsche Flughäfen überwacht, maritime Unfälle begutachtet und Vorhersagen für den Schiffsverkehr erstellt.

Mit dem meisten davon will Kachelmanns Meteomedia gar nichts zu tun haben. Ihr geht es besonders um die Wetterdokumentation – etwa für Energieunternehmen, Urlaubsregionen, Windparkbetreiber oder Bauträger. Die Auswertung langfristiger, standortgebundener Erfahrungen mit Sonne, Wind und Niederschlägen ist aus Kachelmanns Sicht das Geschäft der Zukunft.

Auch mit Wetterberichten ist dank der vielen Anbieter kaum noch Geld zu verdienen. Der NDR lässt sich zum Beispiel je nach Landesstudio mal von Meteomedia, mal vom Deutschen Wetterdienst oder von kleineren Anbietern wie Wetterwelt GmbH aus Kiel beliefern.

Doch letztlich müssen auch sie beim Deutschen Wetterdienst anklopfen, wegen der staatlichen Basisdaten. Und nicht nur sie. Der Otto-Versand habe gerade für ein Fotoshooting die Wetterlage auf Mauritius bestellt, erzählt Mitarbeiter Ralf Brauner, während um ihn herum 18 Bildschirme flimmern. „Und ein Mann aus Stade rief eben an, er wolle eine Stahlbetonplatte gießen und wissen, ‚ob dat Frost givt‘.“

Die Generation Internet klickt für derlei Informationen eher auf einen der vielen Online-Anbieter wie www.donnerwetter.de. Meteorologie ist eben längst eine Ware. Und wenn damit Schindluder getrieben wird, gerät sogar ein ruhiger Mann wie Delfs in Rage. „Völliger Schwachsinn“, motzt er – diesmal nicht über Kachelmann, sondern den RTL-Film „Die Sturmflut“. Drehbuchpatzer habe es da gegeben, die Zuständigkeiten bei der Sturmwarnung seien falsch dargestellt worden.

Den Tornado am Montag über Hamburg hatte der Wetterdienst als „Unwetter“ angekündigt, das immerhin. Im ARD-Morgenmagazin hatte Kachelmann „Schauerwetter, im Norden örtlich auch Gewitter“ vorhergesagt. Wer die Nase vorn hatte, darüber können beide Seiten jetzt wieder streiten.