: Die kleinen Deals einer großen Dragqueen
TUNTENCHRONOLOGIE Auch in der Marktwirtschaft sorgt gelegentlich nur eine Perlenkette für die wirklich funkelnden Momente: Michal Witkowski hat mit „Queen Barbara“ einen campy Wenderoman geschrieben
Nach oberlippenbärtigen Werftarbeitern sucht man in Michal Witkowskis Roman „Queen Barbara“ vergebens. Auch treten keine oppositionellen Flugblattdruckerinnen aus dem Untergrund auf. Dennoch: „Queen Barbara“ ist der polnische Wenderoman.
Der Ort: ein heruntergewirtschaftetes Kohlerevier in Polen. Die Zeit: Polen im Umbruch vom Sozialismus in den Kapitalismus. Der Erzähler: Hubert, ein Unternehmer der ersten Stunde mit einer Schwäche für Hawaiihemd und Eau de Cologne, Schlaghosen und hochgekrempelten Jackettärmeln, damit die Golduhr Platz hat zum Blitzen. Pfandhaus, Schnellimbiss, und auch sonst lässt er in seinem neubürgerlichen Leben nichts aus, um an Geld zu kommen. Seine wahre Identität allerdings findet er in schriller Travestie als Adelstochter Barbara Radziwill aus dem 16. Jahrhundert, der Königin von Polen und Großfürstin von Litauen.
Mit „Queen Barbara“ schreibt Michal Witkowski (geb. 1975) seine „Tuntenchronologie“ fort, die er mit „Lubiewo“ (2007) begann, worin er ein Panorama der Schwulenszene im Kommunismus entwirft. Sein Spiel mit kulturellen Codes ist Camp in Urform, ganz nach der Strategie der schwulen Subkultur der 70er, ästhetische Normen zu brechen. Und das in einem Land, das nun gar nicht homophil ist.
Im Polen dieses Romans weist am Horizont schon das Mcdonald’s-gelbe M den Weg in die Zukunft. Wenn man nicht gerade der Transgression beiwohnt, in der Queen Barbara sich feierlich eine Perlenkette anlegt, um eine funkelnde Sekunde im tristen Alltag zu erhaschen, dann begleitet man Hubert bei kleinen Deals mit großen Hoffnungen und lernt die Artefakte kennen, die neben rundem Tisch und Berliner Mauer die alltäglichen Zeichen des Wandels waren: Plastikefeu, Firmenkugelschreiber, Gartenzwerge. Und im Radio „Coco Jambo“.
Witkowskis Hubert ist ein Gegenentwurf zu Andrzej Stasiuks chauvinistischen Kapitalbrutalos aus „Neun“ (2002), ein anderer potenzieller Wenderoman, der im Warschau der 90er spielt. Er ist die distinguierte Dragqueen, die ebenso gut über die Dichterfürsten Zbigniew Herbert und Czesław Milosz wie über die Shampoogiganten L’Oreal und Ultra Doux parliert.
Queen Barbara muss auch auf Pilgerfahrt mit ihrem Fiat Polski, muss Buße tun ob ihrer Sünde, die neuen Marktgesetze noch nicht verinnerlicht zu haben. Zack, fährt sie ein Rehkitz an: „Es hat zwei Knopfaugen. Und jetzt sinkt noch eine Schneeflocke majestätisch auf alles hernieder. Rotierend. Zitternd und sich drehend. Fällt diesem Reh aufs offene, gläserne Auge … bis sich würdig ein Vorhang aus Schnee auf die ganze Szenerie senkt.“
Die katholisch-kapitalistische Bigotterie zu enthüllen ist unterhaltsam, doch erst in Huberts Selbstinszenierung als Barbara Radziwill – einer Karikatur des polnischen Adelskults schlechthin – offenbart sich Witkowskis Geniestreich. So ist auch die Queen vernarrt in den Architekturstil „polnisch Klotz“, nach dessen Muster im kapitalistischen Frühling der 90er-Jahre an den Stadträndern Privatbauten im Adelslandhausstil aus dem Boden schossen.
In der letzten Episode ihrer Memoiren lässt Queen Barbara eine ihrer Hofdamen einen Pelzmantel über die nackte Haut streifen. Doch dann, der letzte Satz: „Obwohl, in Wirklichkeit, Sascha, hab ich mir dich nur ausgedacht. Der Pelz ist leer.“ Eine campy Allegorie auf die Seelenlosigkeit materieller Versprechen – und noch mehr als das. Hatte Camp doch durch Infragestellung identitärer Selbstverständnisse gesellschaftskritische Dimension. Witkowskis „Queen Barbara“ teilt diesen Impetus. Es ist der Wenderoman über den Traum vom Pelzmantel, der nach dem Aufwachen nicht mehr wärmt. PHILIPP GOLL
■ Michal Witkowski: „Queen Barbara“. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Suhrkamp, Berlin 2010, 252 Seiten, 18 Euro