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Archiv-Artikel

Zehn Millionen St. Pauli-Fans

Warum der Aufstieg wichtiger als der Pokal ist, wie ein Stadionneubau den Geist vom Millerntor atmet, was Spekulanten im Viertel machen – FC St. Pauli-Präsident Corny Littmann im taz-Interview

Interview: Oke Göttlich

taz: Pokalerfolg oder Aufstieg. Was ist dem Präsidenten des FC St. Pauli lieber?

Corny Littmann: Der Aufstieg hatte immer Priorität. Er ist kurz- und mittelfristig auch erheblich wichtiger für den Verein. Der Erfolg im DFB-Pokal ist die Sahnehaube, ein Segen. Aber keiner auf den man dauerhaft bauen kann.

Wobei die Sponsorensuche und in der Folge auch die finanzielle Zukunft sich dadurch einfacher und sicherer gestalten dürfte …

Für einen Drittligisten, der in der Regel raus aus dem Fokus der nationalen Berichterstattung ist, hat dieser Erfolg natürlich eine besondere Bedeutung. Vor allem für die Vermarktung des Vereins ist dies von außerordentlicher Wichtigkeit. Der Pokal und nun das Halbfinale gegen die Bayern macht deutlich, wie viel Aufmerksamkeit der FC St. Pauli in Fußballdeutschland noch hat. Wir kennen die statistischen Werte durchaus, die von 10 Millionen Sympathisanten sprechen. Doch die sind jetzt ganz anders erlebbar geworden.

Das heißt doch, dass es nun einfacher für den Verein geworden ist, Partner zu finden, obwohl der Aufstieg durch die letzten Ergebnisse in weitere Ferne gerückt ist?

Es ist jetzt einfacher, möglichen Sponsoren zu erläutern, was für eine Potenz der Verein besitzt, wenn wir in der 2. Liga spielen. Mit dem Erfolg, dass sich der Partner denkt: „Ich weiß, dass es wichtig ist, dass dieser Verein in der 2. Liga spielt. Deshalb gebe ich etwas mehr, trage zu einer leistungsfähigeren Mannschaft bei, weil ich dann davon profitieren kann.“ Und was den in die Ferne gerückten Aufstieg in dieser Saison angeht, nur soviel: Solange der Aufstieg möglich ist, wird um den Aufstieg gespielt.

Die höhere Ligazugehörigkeit scheint ja auch wichtig, um infrastrukturelle Planungen wie ein neues Stadion voranzutreiben.

Seit drei Jahren spielen wir in Sachen Zuschauerdurchschnitt konstant auf oberstem Zweitliganiveau. Dennoch gab es vor nicht allzu langer Zeit immer noch Bedenken, ob in Hamburg überhaupt noch ein zweites Fußballstadion notwendig ist. Das warf indirekt die existenzielle Frage auf, ob Hamburg überhaupt ein zweites Profi-Fußballteam braucht. Die Voraussetzung war deshalb immer, dass ein Stadion nur mit der und nicht gegen die Stadt gebaut werden kann. Und inzwischen habe ich den Eindruck, dass vielen klar ist, dass ein neues Stadion nur noch eine Frage der Zeit ist.

Die Planungen dazu scheinen ja auch schon weit fortgeschritten zu sein …

Die Vereinsführung wird sich nicht konkret dazu äußern, bevor die Finanzierung steht. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass wir uns nicht darum kümmern. Viel wichtiger ist aber, dass wir den Verein nicht mit finanziellen Risiken belasten, die nicht wägbar sind. Aber es gibt ja verschiedene Erfahrungen mit Mischfinanzierungsmodellen beim Stadionbau in Deutschland, die uns weiterhelfen können.

Gibt es da schon genauere Planungen?

Wir halten uns mit vagen Ankündigungen zurück. Das heikelste nicht nur für die Fans, sondern auch für mich ist den Spagat hinzubekommen, den Charakter des Millerntors erhalten zu können und nicht irgendeine Arena zu bauen, die nichts mit dem Millerntor zu tun hat.

Ist das bei der heterogenen Interessenlage im Verein nicht extrem schwierig?

Natürlich, aber ich stand mit dem Schmidt-Theater auch schon mal vor einem ähnlichen Problem. Wie erhält man das Unmittelbare ohne einen Neubau auszuschließen? Am Millerntor wird es wichtig sein, dass die Stehplätze erhalten bleiben. Am besten in der existierenden Form. Also auch am gleichen Platz. Auf der anderen Seite darf ein Stadion nicht ein reiner Selbstzweck sein. Es muss den Spielbetrieb – auch finanziell – befördern können. Die Frage: „Was nützt die schönste Wohnung, wenn ich kein Geld habe, mir Möbel zu kaufen“ steht da ein wenig Pate.

Infrastrukturelle Veränderungen sind derzeit auch zentrales Thema beim Wandel des gesamten Stadtteils. Wie beurteilt der St. Paulianer Corny Littmann die Entwicklung?

St. Pauli hat schon immer von zwei wesentlichen Elementen gelebt: Vielfalt und Bewegung. Jetzt bewegt sich gerade eine ganze Menge. Die Bewegung kann erst mal ein Gewinn sein. Wer denkt, dieses Viertel in eine bestimmte Richtung bewegen zu können, hat sich geschnitten. Wer auch immer das sein mag. Denn die Gefahr in der Bewegung liegt darin, dass dieses Viertel für Immobilienspekulanten ein so hohes Interesse weckt, dass die Preise ins Astronomische wachsen. Dann findet Selektion über den Preis statt. Das ist eine Entwicklung, die ich auch aktuell schon für sehr gefährlich halte. Man sollte sich häufiger fragen, wem eigentlich was auf dem Kiez gehört und was daraus gemacht wird. Sonst werden viele Varietés demnächst Penny-Märkte sein.