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Archiv-Artikel

Lohnt sich Rekommunalisierung?

KONTROVERSE Im Mittelpunkt der Debatte um die Netze für Strom, Gas und Fernwärme stehen zwei Argumente: Mit dem Rückkauf ließe sich die Energiewende auf Trab bringen. Und er wäre ein gutes Geschäft. Das eine ist eher unwahrscheinlich, das andere könnte stimmen. Ein Faktencheck

VON GERNOT KNÖDLER

Das Hassobjekt steht mitten im Hamburger Hafen: das Steinkohlekraftwerk Moorburg des Energiekonzerns Vattenfall. 2014 soll es ans Netz gehen. Für viele Unterstützer der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ kristallisiert sich in Moorburg heraus, was aus ihrer Sicht schlecht ist an Vattenfall: Der Konzern betreibe eine CO2-Schleuder, die Fische in der Elbe vergrätzt und dabei Gewinne erzielt, die nach Schweden überwiesen werden.

Die Volksinitiative will dem Konzern die Verteilnetze für Strom und Fernwärme und Eon das Gasnetz wegnehmen. Besser als die Firmen könne die Stadt mit den Netzen erneuerbare Energien fördern und eine günstige und zuverlässige Versorgung gewährleisten. Der Rückkauf sei ein gutes Geschäft und eine Gelegenheit, verlorenes „Tafelsilber“ wiederzubeschaffen.

Das Netz und die Energiewende

„Durch den Besitz der Netze kann die Stadt die Energiewende vorantreiben“, sagt Manfred Braasch, Sprecher der Volksinitiative und Landesvorsitzender des BUND. Zumindest beim Strom- und Gasnetz ist diese Behauptung fragwürdig. Der Eigentümer und Betreiber dieser Netze ist verpflichtet, Strom und Gas durchzuleiten – ganz gleich wer liefert. Der Netzbetreiber kann Strom nicht ablehnen, weil er etwa klimaschädlich erzeugt wurde. Andererseits muss er heute schon Strom aus erneuerbaren Quellen vorrangig einspeisen. „Wenn wir über die Umsetzung der Energiewende reden, ist das Thema Netze völlig irrelevant“, sagt Stephan Kohler, der Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena), die im Auftrag der Bundesregierung die Energiewende vorantreiben soll.

Braasch argumentiert, die öffentliche Hand würde das Stromnetz schneller an die Anforderungen der Energiewende anpassen als ein privater Eigentümer. Stromerzeugung und -verbrauch könnten besser koordiniert und erneuerbare Energien schneller integriert werden. Kohler widerspricht auch hier: „Der Stromhändler macht die intelligenten Angebote, der Netzbetreiber muss die Technik dafür bereitstellen.“

Auch der Betreiber eines Fernwärmenetzes muss die Wärme Dritter einspeisen, wie das Bundeskartellamt Anfang 2012 auf Antrag der Hamburger Verbraucherzentrale verfügt hat. Anders als bei Strom und Gas sind bei der Fernwärme das Netz und die Erzeugungsanlagen jedoch bisher eng verkoppelt – und gerade das ist es, was die Volksinitiative beim Erwerb des Fernwärmenetzes reizt: Sie setzt darauf, die Wärme statt in großen Kraftwerken wie zurzeit in Wedel in kleinen über die Stadt verteilten Anlagen zu erzeugen. Dabei könnte dann nicht nur Wärme aus Blockheizkraftwerken, sondern auch Sonnenwärme ins Netz fließen.

Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Stadt als Netzbetreiberin auch die Erzeugungsanlagen von Vattenfall übernehmen kann. Und mit dem Netz in der Hand, so die Idee, könnte sie steuern, welcher Anbieter ans Fernwärmenetz angeschlossen wird. Macht das Kartellamt jedoch Ernst mit dem diskriminierungsfreien Zugang zum Fernwärmenetz, muss sie damit rechnen, dass ihr einer ins Konzept pfuscht.

Die Initiative wirft Vattenfall heute vor, Anschlusswünsche unter Verweis auf technische Schwierigkeiten abzuwiegeln. Vattenfall wiederum hat versprochen, Hamburg im Rahmen der jetzigen Partnerschaft, bei der der Stadt 25,1 Prozent der Netze gehören, zu einer „Modellstadt“ der Energiewende zu machen. Wichtigster Baustein dieses Konzepts ist ein „Innovationskraftwerk“, das Fernwärme und Strom produzieren und überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien speichern soll. Zudem will Vattenfall kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu virtuellen Kraftwerken zusammenschalten. Bei dem Konzept gibt es aber einen Vorbehalt: „Das Innovationskraftwerk wird nur gebaut, wenn es sich rechnet“, sagt der Vattenfall-Manager Pieter Wasmuth.

Das Netz als Goldesel

Auch wie sehr sich der Erwerb der Netze rechnet, ist umstritten. Braasch bezeichnet den Rückkauf als „sicheres Geschäft“. Zumindest für das Strom- und Gasnetz müsste das gelten, denn beide Netze werden von der Bundesnetzagentur reguliert: Diese legt immer wieder neu fest, welche Durchleitungsgebühr die Netzbetreiber verlangen können. Dabei orientiert sie sich am günstigsten Anbieter. Wie viel Geld die Netzbetreiber verdienen, hängt davon ab, um wie viel billiger sie sind als die anderen.

Die Agentur gewährt den Netzbetreibern dabei eine Rendite von gut neun Prozent auf Neuinvestitionen und gut sieben Prozent auf Altanlagen. Ein kürzlich von der Hamburger Handelskammer vorgelegtes Gutachten errechnet daraus eine Durchschnittsrendite von gut sechs Prozent nach Steuern und landet nach einem Abschlag, der mit der Regulierung zu tun hat, bei einer Rendite von deutlich weniger als fünf Prozent.

Das sei zwar etwas mehr als die Garantiedividende von 4,2 Prozent, die der Senat mit Vattenfall ausgehandelt habe, stehe aber in keinem Verhältnis zum Mehr an Risiko, das die Stadt damit eingehe, kritisiert die Handelskammer – die Vergleichszahlen hinken allerdings, denn bei den 4,2 Prozent Garantiedividende, die der Senat bisher bekommt, sind die Steuern noch nicht abgezogen.

Die Bundesnetzagentur geht bei der Berechnung der Rendite von einem quasi risikofreien Basiszinssatz von 4,2 Prozent und einem Risikozuschlag von 3,6 Prozent aus. „Wir senden mit unserer Festlegung das Signal an Pensionskassen, Versicherungen und andere institutionelle Anleger, dass es sich lohnt, in Deutschland in die Strom- und Gasnetze zu investieren“, erläuterte der Präsident der Agentur, Matthias Kurth.

Im Gegensatz zu solchen Investoren und Vattenfall müsste die Stadt als Eigentümerin das nötige Geld für den Kauf der Netze allerdings am Kapitalmarkt aufnehmen und neben den Zinsen auch Tilgungsraten bezahlen. Weil Kredit, besonders für die öffentliche Hand derzeit günstig zu bekommen ist, geht die Volksinitiative davon aus, dass sich der Rückkauf selbst finanziert. Nach einem Vierteljahrhundert wären die Netze dann wieder im Besitz der Stadt. Das nötige „Eigenkapital“ soll von der städtischen Beteiligungsholding HGV kommen, die sich dafür zum Teil verschulden soll.

Größer ist das Risiko beim unregulierten Fernwärmenetz. Es bringt am meisten Geld ein, kostet aber auch am meisten. BUND-Geschäftsführer Braasch spricht von einer „unternehmerischen Beteiligung“. Bei der Fernwärme kann der Anbieter frei schalten und walten. Er muss sich aber gegen andere Heizungsanbieter durchsetzen – wenn der Volksentscheid durchkommt – und für eine „sozial gerechte“ Energieversorgung einstehen.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz warnt vor dem Risiko, das mit der schieren Größe der nötigen Investition verbunden ist: an die zwei Milliarden Euro für alle drei Netze. „Der Rückkauf wäre eine Spekulation, die schief gehen kann“, sagt er. Gehe sie ins Auge, werde es für die Stadt sehr teuer.