: „Ich setze auf das junge China“
Die Sängerin Yungchen Lhamo ist die erfolgreichste Stimme Tibets. Zum Dialog mit China sieht sie keine Alternative, und hofft weiter auf eine Autonomie für ihr Land. Doch nicht alle Tibeter im Exil glauben an eine gewaltfreie Lösung
taz: Frau Yungchen, Sie sind 1989 aus Tibet geflüchtet. Wie halten Sie sich über die Lage in Ihrer alten Heimat auf dem Laufenden?
Yungchen Lhamo: Heute kommen viele Pilger aus Tibet über Nepal nach Dharamsala in Indien, wo der Dalai Lama lebt. Man muss bei den Behörden eine Dienstreise angeben, aber dann kann man ausreisen. Und viele Westler, die nach Tibet reisen, bringen Bilder oder Nachrichten von dort mit. Der Austausch hat sich also gebessert.
Tibet muss sich sehr verändert haben, seit Sie das Land verlassen haben.
Ja, es gibt positive Veränderungen: Es wird eine Menge unternommen, um den Tourismus in Tibet zu fördern. Auf dem Land gibt es private Bauernhöfe, in der Vergangenheit gab es das nicht. Und dann gibt es jetzt überall Schulen. Ich wünschte nur, dass dort mehr Tibetisch gelehrt würde. Es gibt aber auch viel Zerstörung: Alte, historische Gebäude werden abgerissen und durch billige Neubauten ersetzt. Und durch die geplante Bahnlinie, die Tibet mit China verbinden soll, wird sich noch mehr ändern. Schon heute kommt ein Tibeter auf sechs Chinesen. Wenn dieser Zug kommt, wird dieses Ungleichgewicht weiter zunehmen.
Wie steht es mit der Religionsfreiheit?
Früher waren die Klöster geschlossen. Heute gibt es wieder Mönche, und man kann seine Religion praktizieren. Aber man darf keine Bilder des Dalai Lama besitzen oder über ein freies Tibet sprechen. Mir kommt das sehr kindisch vor. Denn ob man nun Bilder vom Dalai Lama besitzt oder nicht – für uns Tibeter ist und bleibt er unser geistiges und spirituelles Oberhaupt.
China hat kürzlich Bedingungen formuliert, unter denen es dem Dalai Lama die Einreise nach Tibet gestatten würde. Was halten Sie davon?
Ich wünsche mir, dass es bald zu einem Dialog kommt und der Dalai Lama nach Tibet reisen kann. Aber die Chinesen sind schon witzig. Sie sagen, der Dalai Lama kann nach Tibet kommen, aber er muss dafür erst fünf Vorbedingungen erfüllen: Zum Beispiel soll er anerkennen, dass Tibet ein Teil von China ist. Aber das ist unmöglich: Tibet ist Tibet, China ist China. Das heißt, sie wollen nicht, dass der Dalai Lama nach Tibet kommt.
Der Dalai Lama setzt sich für eine Autonomie ein. Gibt es dafür eine reale Aussicht?
Ich wünsche mir das natürlich. Aber an erster Stelle steht für mich die innere Freiheit des Menschen. Ich bin in viele Länder gereist, die zwar frei sind, aber in denen die Menschen wie in einem Gefängnis leben.
Ich glaube jedoch, dass sich die Dinge in Tibet zum Besseren wenden werden. Ich setze meine Hoffnung auf die junge Generation. Die alten Chinesen wissen doch gar nicht, was Freiheit heißt, deshalb können sie auch nicht über ein freies Tibet reden. Aber die jungen Chinesen sind gebildet, reisen um die Welt und informieren sich durch das Internet. Sie werden die Politik ihres Landes in Frage stellen.
Das Internet wird in China allerdings zensiert, oder?
Ja, das stimmt: Man kann nicht frei im Internet surfen. Ein Freund von mir war kürzlich in Tibet und hat mir erzählt, dass die Behörden sogar eines meiner Videos geblockt haben, „Happiness Is“. Das ist absurd!
China wird als Wirtschaftsmacht und Handelspartner vom Westen hofiert. Fällt Tibet dieser Entwicklung zum Opfer?
Es kommt mir manchmal so vor, als ob Amerika und Deutschland bereit seien, für das Geschäft mit China ihre Seele zu verkaufen. Ich sage nicht, dass man mit China keine Geschäfte machen sollte. Aber ich frage mich, warum man dabei nicht auch über Menschenrechte sprechen kann. Das bedrückt mich.
Kürzlich war der Jahrestag des tibetischen Volksaufstands vom 10. März 1959. Wie war die Resonanz?
Ich war an diesem Tag in New York, aber es war eigentlich alles ziemlich traurig. Früher sagten die Leute: Oh, wir lieben Tibet. Aber heute kommen die Leute nicht mehr. Ich verstehe das nicht: Man ist in einem freien Land und wird durch keine Gewehre gehindert: Warum also stehen die Leute nicht auf und tun etwas?
Könnte es sein, dass die Tibet-Solidarität aus der Mode gekommen ist?
Ich weiß nicht. Die Leute betrachten alle möglichen Dinge wie eine Mode.
Auch Tibet?
Ich glaube, es gibt durchaus ein ernsthaftes Interesse für Tibet: Die Leute sind auf der Suche, und viele lesen die Bücher des Dalai Lama. Vielleicht kann man von Tibet ja etwas lernen?
Seit dem Aufstand von 1959 hat es in Tibet keinen gewaltsamen Widerstand mehr gegeben. Warum nicht?
Es geht einfach nicht. Man landet doch schon im Gefängnis, wenn man nur von einem freien Tibet spricht! Aber es gibt viele junge Tibeter im Exil, die nach Tibet gehen und dort kämpfen wollen. Doch der Dalai Lama hält sie davon ab.
Ich werde oft gefragt: Warum hassen Sie die Chinesen nicht? Aber wir lernen, unsere Feinde zu lieben und ihnen zu vergeben. Es ist ja nicht so, dass wir Tibeter keine Wut oder Trauer verspüren würden. Aber ich bin davon überzeugt, das Gewalt nichts Gutes bringt.
Der gegenwärtige Dalai Lama ist 70 Jahre alt. Was, glauben Sie, wird nach ihm kommen?
Ich hoffe, dass wir weiter seinen Worten folgen werden, weil sie aus jahrzehntelanger buddhistischer Praxis schöpfen. Wir müssen weiter den Dialog mit China suchen.
Trägt man als tibetische Künstlerin viel Verantwortung?
Oh ja, schließlich bin ich die erste Sängerin, die so erfolgreich ist. Viele Leute rufen mich an, weil sie denken, dass ich ihnen helfen kann. Deswegen habe ich kürzlich eine eigene Stiftung gegründet. Jedes Jahr unterstützen wir damit ein anderes Projekt: Mal geht es um Schuhe für Kinder, mal um Prothesen.
In Dharamsala gibt es viele Jugendliche, die das College abgeschlossen haben und nun keinen Job finden, sie hängen praktisch in der Luft. Dort ein Ausbildungszentrum zu schaffen oder Stipendien, damit sie an der Universität studieren können, das wäre eine dringende Aufgabe.
Sie leben in New York. Wie gefällt es Ihnen dort?
Was mir an New York so gut gefällt ist die persönliche Freiheit: Ob ich nun diesen Song schreibe oder jene Kleidung trage, es interessiert niemanden.
Ihr neues Album haben Sie dort aufgenommen. Fühlen Sie sich in New York zu Hause?
Ich glaube, ich werde mich nie irgendwo zu Hause fühlen. Aber mittlerweile habe ich da meine Stiftung und verbringe die meiste Zeit dort, wenn ich nicht gerade auf Tournee oder in Dharamsala bin.
Auf einem Stück singen Sie ein Duett mit Annie Lennox. Wie ist das entstanden?
Ich habe Annie Lennox vor vielen Jahren auf einer Charity-Veranstaltung für Tibet kennen gelernt und wir sind in Kontakt geblieben. Sie hat eine einzigartige Stimme. Den Song habe ich in New York aufgenommen und übers Internet nach England geschickt. Die Technologie macht das ja möglich.
Wie haben Sie sich über den Song verständigt?
Ich musste ihr nicht sagen, was sie zu singen hat. Ich habe ihr einfach erzählt, wovon der Song handelt: Davon, wie freundlich und hilfsbereit viele Menschen zu mir waren, als ich in den Westen kam. INTERVIEW: DANIEL BAX