: Kinder sollten laufend lernen
Wie kommt das Kind aufs Fahrrad? Indem es ums große Bike erst mal einen Bogen macht – mit Hilfe eines Laufrads. Damit trainiert es schon sehr früh seinen Gleichgewichtssinn aus der gleichen Perspektive wie beim Kinderrad
Das Erlernen des Radfahrens hieß lange Zeit: Hier das Rad, dort der Zwerg, rauf mit ihm und ab dafür. Wer es nicht gleich kapierte, hatte womöglich noch lange damit zu kämpfen. Etwa so, wie es Patrick Süskind in „Die Geschichte von Herrn Sommer“ erzählt: „Ich weiß nur noch, dass ich’s mir selber beigebracht habe, mit einer Mischung aus Widerwillen und verbissenem Eifer, auf dem Fahrrad meiner Mutter, in einem leicht abschüssigen Hohlweg im Wald, wo mich keiner sehen konnte.“
Kein Wunder, dass solche Zustände Lehrer, Verkehrspädagogen und auch die Hersteller auf den Plan rief. Und so hat die Radfahrausbildung an den Grundschulen seit langem ihren festen Platz, zumeist in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei sowie der Deutschen Verkehrswacht (DVW) und ihren Unterverbänden. Nach Angaben der DVW legen gut 95 Prozent aller Viertklässler in Deutschland die Fahrradprüfung ab. Allerdings: Die psychomotorischen Voraussetzungen sollten dann längst vorhanden, die Neun- bis Elfjährigen mit dem selbstständigen Fahren auf dem Velo bereits vertraut sein. Die Eltern sind also schon vorher gefordert – und zudem seit einiger Zeit mit einer neuen Pädagogik konfrontiert. Keinesfalls dem Kind irgendein unpassendes Gefährt vor die Nase setzen, aber ihm auch keine Stützräder ans kleine Bike schrauben, so heißen die aktuellen Ratschläge. Vielmehr sollten die ersten rollenden Erfahrungen auf einem Vorläufer gemacht werden, entweder auf dem guten alten Tretroller oder einem Laufrad, dem derzeitigen Lieblingsgerät vieler Ergonomen und Mobilitätsexperten.
Birgit Jackel, Erziehungswissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Verkehrs- und Motopädagogik, hat die neue Hinwendung zum Laufrad mit zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen unterstützt. Für sie ist das winzige Ding ohne Tretkurbeln, auf dem bereits Zweijährige sitzen und sich mit den Füßen abstoßen können, ein hervorragendes Vehikel zur Herausbildung der Gleichgewichtsregulation. Ganz anderes als die Minivelos, die hinten gleich noch zwei weitere Räder haben, womit die Gleichgewichtsfähigkeit weder gefordert sei noch gefördert werde. Und noch sehr viel mehr ermögliche das Laufrad, betont Birgit Jackel: „Bei ihm erfährt das Kind aus der gleichen Perspektive wie später auf dem Kinderrädchen die sich verändernden Abstände im Raum und kann ein Gefühl entwickeln für Geschwindigkeit und Abstand zum nächsten Hindernis. Dabei festigt es seine Orientierungsfähigkeit.“
Der Laufradboom der letzten Jahre hat zahlreiche Modelle auf den Markt gespült. Wurde anfangs hauptsächlich aus Holz gefertigt, so greift selbst die Kokua Holzspielzeug GmbH, einer der Trendsetter, mittlerweile auch zu anderen Materialien. Kunststoffspeichenräder sind kein Tabu mehr, und die neuste Kokua-Kreation, der „LikeaBike jumper“, besteht komplett aus Aluminium inklusive einer gefederten Hinterradschwinge. Die Laufräder sind zumeist luftbereift, das hintere Schutzblech muss nicht fehlen, und auch mit Zubehör wie Rahmentasche, Seitenständer, Anhänger oder Diodenleuchten können die Absolute Beginners beglückt werden. Die Kokua-Modelle kosten – ohne Zubehör – etwa zwischen 150 und 173 Euro.
Tiefer liegen die Preise zum Beispiel bei der Firma Puky, die für ihre Laufräder ausschließlich Stahlrahmen und fast überall Luftreifen bevorzugt. Auch Puky hat die Botschaft vernommen und gibt sie gleich weiter: Die Bewegung auf dem Laufrad trainiere den Gleichgewichtssinn. Was indes das Traditionsunternehmen nicht davon abhält, weiterhin Dreiräder und neuerdings sogar ein vierrädriges Laufrad („Wutsch“) für die ganz Kleinen zu bauen. Das wiegt spärliche 2,5 Kilo, muss vom Kind zwar schon gelenkt, aber eben nicht stabilisiert werden. Und so dürfte das „Wutsch“ für die Befürworter des klassischen Laufrads eine nicht korrekte Abweichung darstellen. Für sie gilt: Zwei Räder, mehr nicht! Dazu sollte der Sattel oder Sitz immer so angebracht sein, dass das Kind bequem und ohne Verrenkungen die Füße auf den Boden setzen kann – zum Abstoßen, aber auch zum jederzeitigen Abstützen ohne Positionswechsel. „Das nimmt Kindern, die auf Roll- und Fahrgeräten noch unsicher sind, die Scheu“, so Birgit Jackel. Ansonsten gilt, was für alle Kinderfahrzeuge Bedingung ist: robuste Konstruktion, die was aushält und rundum sicher ist. Keine Stellen, wo Kinderhände eingeklemmt oder gequetscht werden könnten. Alle Komponenten abgestimmt auf die Proportionen eines leibhaftigen Kindes. HELMUT DACHALE