: Zwischen Ideal und Machtverhältnis
INTERNATIONALISMUS Mark Mazowers Geschichte der Idee einer internationalen Völkergemeinschaft
Verlangen der Weltfrieden, der sozioökonomische Fortschritt oder der Klimawandel nicht nach globalen Lösungen? Und wie könnten globale Institutionen aussehen? Weist die UNO den Weg zum Weltstaat, oder ist mehr Dezentralität gerade erstrebenswert?
Das neue Buch des amerikanischen Historikers Mark Mazower widmet sich vor aktuellen Hintergründen den Praktiken und Kontroversen rund um internationale Zusammenarbeit und Globalisierung bis hin zur Weltstaatsidee. Im Fokus stehen die letzten 200 Jahre, es gibt jedoch auch Rückgriffe etwa auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Im Wesentlichen wird die zunehmende Institutionalisierung europäischer und globaler Kooperation seit den Anfängen mit dem postnapoleonischen Wiener Kongress 1815 und seinen Friedenssicherungsversuchen durch Großmachtkooperation eingefangen.
Was global geht
Mazowers zentrale These ist ebenso trivial wie zutreffend: Die internationalen Beziehungen sind weder durch einen rein idealistischen Globalismus motiviert, noch sind sie ein bloßer Ausdruck der Machtpolitik von Großmächten. Beides trifft zu – und zwar für ganz unterschiedliche Akteure wie George W. Bush und Franklin D. Roosevelt. Dazu und zu den globalpolitischen Vorgängen der letzten zwei Jahrhunderte trägt er viel Material zusammen und bereitet es gut lesbar auf, ohne allerdings dem Kundigen viel Neues zu bieten.
Mazower liest sich passagenweise unterhaltsam, doch ist er in wichtigen Punkten nicht präzise. So äußert er sich detailliert zur EU und gibt dabei einige zentrale Aspekte des europäischen Institutionengefüges wie das Verhältnis von Mitgliedstaaten und EU nicht korrekt wieder.
Ähnlich in seinen philosophischen Exkursen: Kant war sehr wohl Demokrat, nur eben ein repräsentativer Demokrat und kein Anhänger von Plebisziten. Vielleicht sieht man solche Fehler nach. Doch bilden sie einen eigenartigen Kontrast zu den begeisterten Rezensenten-Zitaten auf dem Buchrücken, die ein wenig den (manchmal schlicht wegen des Sprachvorteils weltweit gelesenen) „berühmten amerikanischen Wissenschaftler“ herbeizuschreiben suchen.
Das eigentliche Problem ist jedoch, dass Mazower über bloße Grobschilderungen hinausgehende wirkliche Analysen, Argumente und Lösungsoptionen zu den globalen Fragen vermissen lässt: Was bewirkt der globale Freihandel ökonomisch und sozial, und zerstört er womöglich durch Sachzwänge die nationalstaatliche Demokratie? Welche globalen Institutionen sind nötig und möglich? Momentan sind beispielsweise nationalstaatliche Schranken für den Kapitalverkehr teilweise rechtlich nicht möglich.
Eine nationale Umwelt- und Sozialpolitik verbietet das Welthandelsrecht zwar nur manchmal. Doch es erzeugt einen immensen Druck, den Unternehmen keine Sozial- oder Umweltkosten aufzubürden, da freie Waren- und Kapitalmärkte den Unternehmen ein leichtes Abwandern ermöglichen. Bei Mazower liest man zu solchen Fragen nicht viel außer einem leichten Raunen, natürlich auch gegen die Alleingänge eines George W. Bush.
Das globale Problem par excellence, der Klimawandel, lässt Mazower gänzlich links liegen, einschließlich seiner potenziell gravierenden Wirkungen in Richtung von Grenzen des Wachstums und damit vielleicht auch des globalen Freihandels.
Hier hätte man das Paradebeispiel zur Erörterung der Frage, wie viel internationale Regulierung nötig und möglich ist, wie dies demokratisch gestaltet werden kann – und wo die Grenzen der Macht von Nationalstaaten liegen.
Als Debattengeschichte des Internationalismus bleibt das Mazower-Buch dennoch lesenswert. Allerdings eher als unterhaltsamer Einstieg und weniger als Vertiefung der brennenden Gegenwartsfragen. FELIX EKARDT
■ Mark Mazower: „Die Welt regieren: Eine Idee und ihre Geschichte von 1815 bis heute“. C.H. Beck, München 2013, 464 S., 27,95 Euro
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