piwik no script img

Archiv-Artikel

Start-up mit Andenblick und Pisco Sour

AUSWÄRTS Gründerprogramm lädt Kreative nach Chile ein, um Träume und Geschäftsideen zu verwirklichen. Die besten 100 Bewerber erhalten 30.000 Euro Startkapital und Arbeitsräume in der Hauptstadt Santiago de Chile

40 Jahre Neoliberalismus

■ Ausländischen Start-up-Gründern mag Chile wie ein El Dorado erscheinen, die meisten Chilenen plagen dagegen materielle Sorgen. Zum 40. Jahrestag des Militärputsches von 1973 hat der linke Theoretiker Carlos Pérez Soto in einer Debatte im taz Café vor Kurzem auf die soziale Katastrophe des vermeintlichen „Erfolgsmodells“ Chile nach 40 Jahren Neoliberalismus hingewiesen. Soto macht dafür vor allem die zivilen Regierungen nach dem Ende der Militärdiktatur verantwortlich: Von Koalitionen, die sich als „Mitte-links“ ausgeben, sei das neoliberale Projekt Schritt für Schritt vertieft worden – öffentliche Leistungen wurden privatisiert, während prekäre Arbeitsverhältnisse deutlich zugenommen haben. Laut Angaben der Steuerbehörde leben heute rund 80 Prozent der Chilenen von einem Durchschnittslohn von nur 338 Dollar. (os)

VON BIRGIT HEITFELD

Bruce Chatwin träumte, seit er ein Kind war, von Patagonien. Im Wohnzimmer seiner Großmutter in England befand sich eine Glasvitrine, darin war das vermeintlich echte Stück Fossil eines Brontosaurus, aus einem Gletscher in Patagonien. Chatwins gleichnamiges Reisebuch ist heute Kult und Bibel für die Backpacker und Outdoor-Freaks auf dem Weg in den Großen Süden.

Doch was Chile betrifft, zu dem ein Teil Patagoniens gehört, will sich das Land nicht mehr nur als Dorado für Naturliebhaber verstehen, sondern auch als Hotspot für Entrepreneure.

Daher wurde ein Gründerprogramm aufgelegt: „Start-up Chile“ belohnt die besten unternehmerischen Ideen mit 30.000 Euro Startkapital, Arbeitsräumen in der Hauptstadt Santiago de Chile, lokalen Kontakten und einem Visum für sechs Monate.

Lena Steinmeier ließ sich von der Idee inspirieren und änderte kurzerhand ihre Karrierepläne. Ursprünglich hatte die 26-jährige in Oldenburg auf Lehramt studiert. Vor dem Referendariat wollte sie erst mal reisen, entdeckte das südamerikanische Land für sich und jobbte für den Freiwilligendienst Kulturweit in Santiago. Fortgeschrittene Spanischkenntnisse hatte sie nicht. Sie kam während dieser Zeit mit Start-up Chile in Berührung und bewarb sich gemeinsam mit ihrem Freund aus Neuseeland, der im Bereich Webdesign und -entwicklung tätig ist. Das Projekt der beiden heißt „ContentForest“ und ist eine Webplattform, auf der sich Autoren und „Publisher“ jeder Art treffen können, um Themen und Geschichten anzubieten oder zu kaufen.

Eigenkapital brauchte Steinmeier nicht zu investieren. „Man kann seine Erfahrung zurückgeben, zum Beispiel in Workshops an Universitäten – oder durch Mentoring bei Projekten. Man benötigt eine bestimmte Zahl von Sozialpunkten.“ Die Idee dahinter: Die Start-up-Unternehmer sollen während ihres Aufenthalts Netzwerke mit Chilenen knüpfen und ihr Know-how teilen.

Auch Arik Meyer wollte etwas zurückgeben und veranstaltete einen Event für chilenische Studenten zum Umgang mit Risiko und Scheitern. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler war zuvor Gründer und Geschäftsführer bei Audible.de, einem Download-Portal für Hörbücher. Dann räumte er seinen Schreibtisch in Berlin und packte seinen Rucksack für ein zweijähriges Sabbatical durch Südostasien und Südamerika. „Ich wollte in jedem Land etwas Neues lernen, Dinge tun, die ich noch nie getan hatte“, sagt der 39-Jährige. Bei einem Abstecher nach Kalifornien entdeckte er sein Faible für Improvisationstheater – und seine neue berufliche Spur. Per Zufall erfuhr er von einem Vortrag über Start-up Chile.

1.300 Bewerbungen aus 68 Ländern gingen im September bei Start-up Chile ein

Meyer überlegte nicht lange. Eine Businessidee hatte sich schon während seiner Reise herauskristallisiert: Zum Frühstück sah er regelmäßig so genannte TED-Videos – Vorträge von Experten über Technology, Entertainment und Design (TED), die kostenlos im Netz abrufbar sind. „Ich habe das als Quelle entdeckt, um mich zu inspirieren und weiterzubilden. Da sind tolle Inhalte, aber wie find’ ich die guten?“ Meyer wollte eine Software entwickeln, um TED stärker auf den individuellen Nutzer zuzuschneiden. „Die Verknüpfungen fehlen.“ Er reüssierte mit seiner Projektidee bei den Juroren und machte sich gemeinsam mit seinen Exkollegen aus Berlin an die Arbeit. Im Laufe des Prozesses änderte das Team allerdings seine Geschäftsidee und arbeitet nun an einem „Shoponauten“, einer Art Assistent, der Online-Shopaholics das Leben erleichtern soll.

Rund 1.300 Bewerbungen aus 68 Ländern gingen allein bei der siebten Runde von Start-up Chile im September 2013 in Santiago ein, knapp ein Drittel davon aus Chile selbst. Die besten 100 Ideen gewinnen. Am Anfang, in 2010, waren es nur 22 Start-ups aus 14 Ländern. Ein mit Unternehmern, Akademikern und Venture Capitalists besetztes unabhängiges Expertenteam aus dem Silicon Valley entscheidet über die Kandidaturen. Hinter Start-up Chile steht die staatliche Agentur für Wirtschaftsförderung Corfo. Gründer des Programms ist Nicolás Shea, Stanford-Absolvent und multipler Unternehmer aus Santiago. Shea wollte ein bisschen Silicon Valley in seine Heimat Chile holen, mehr Unternehmergeist und internationalen Flair in seinem Land am Ende der Welt kultivieren.

Nach sechs Monaten in Chile, so die Logik des Konzepts, hat ein Entrepreneur mit seinen Kenntnissen, Netzwerken und Kontakten bereits einen bleibenden Eindruck im Eco-System des Landes hinterlassen. Jeder fünfte bleibt sogar länger als ein Jahr. Umgekehrt können Lena Steinmeier und Arik Meyer nach einem halben Jahr Chile ihre Onlinemedien von jedem beliebigen Ort der Welt aus weiterentwickeln. Bei den „Shoponaut“-Gründern um Arik Meyer ist der chilenische Programmierer des Teams sogar aus Santiago mit nach Berlin gekommen.

■ Bewerbungsfrist für die achte Runde ist im März 2014. Detaillierte Infos gibt es unter http://startupchile.org/about/apply