piwik no script img

Archiv-Artikel

Mär von der schönen neuen Reaktorwelt

Wie Atomtechniker mit visionären Atomreaktoren, die auch noch Wasserstoff generieren, Akzeptanz zu schaffen versuchen

FREIBURG taz ■ Es waren große Versprechungen, mit denen die Atomkraft vor 40 Jahren salonfähig gemacht wurde. Die Propagandisten ließen verbreiten, man werde künftig Energie im Überfluss haben; Stromzähler würden hinfällig. Das freilich entpuppte sich bald als Lobbyistenmär.

Heute kann man mit solch platten Verheißungen nicht mehr punkten. Da müssen schon Visionen anderen Kalibers her – und die aufzubauen, ist die Nuklearlobby derzeit bestrebt: Unter dem Namen „vierte Generation“ werden – etwa vom Atomkonzern Areva – Reaktoren angepriesen, die absolut sicher sein sollen. „Inhärent sicher“, wie Techniker gerne sagen. Und nicht nur das. Die neuen Meiler sollen auch keinen langlebigen Strahlenmüll mehr absondern. Sie sollen zudem nebenbei Wasserstoff generieren, um auch den Verkehrssektor endlich mit Atomenergie zu beglücken.

Schöne neue Reaktorwelt – fast so verlockend, wie damals der vermeintlich fast kostenlose Strom. Ins Leben gerufen wurde das Projekt „Generation IV“ im Jahr 2001 von den USA, neun weitere Staaten stießen bald hinzu. Da auch die EU mitmischt, sitzt letztendlich auch Deutschland über den Euratom-Vertrag mit im Boot.

Im Raum stehen nun sechs Reaktorkonzepte, von denen zwei oder drei in den nächsten 20 bis 30 Jahren so weit entwickelt werden sollen, dass sie als Prototypen gebaut werden können. Drei Versionen von Schnellen Brütern sind darunter, die wahlweise mit Natrium, Blei oder Helium gekühlt werden. Über die damit verbundene Plutoniumwirtschaft redet man allerdings nicht gerne.

Weitere Typen sind ein Höchsttemperaturreaktor (VHTR), ein Leichtwasserreaktor (SCWR) und ein Schmelzsalz-Reaktor (MSR). So nimmt die Forschung Anlauf, Technologien zu entwickeln, die in der Vergangenheit schon furios gescheitert sind – wie zum Beispiel der Schnelle Brüter in Kalkar.

Doch diesmal soll alles besser werden. Ein Erfolgsfaktor soll die kompakte Größe sein; Anlagen im Leistungsbereich von wenigen 100 Megawatt sollen entstehen. Die neuen Meiler würden derart konstruiert sein, dass selbst im Falle eines Super-GAUs keine Radioaktivität ins Freie gelangen kann. Außerdem sollen sie um ein kerntechnisches Verfahren ergänzt werden, das sich Transmutation nennt: Langlebige radioaktive Stoffe sollen durch Neutronenbeschuss in kurzlebige umgewandelt werden. „Maximal 300 Jahre“ solle der Müll dann noch strahlen.

Ob sich da nicht schon wieder jemand zu weit aus dem Fenster lehnt? Denn gerne verschweigt man, dass gerade die Leichtwasserreaktoren zur Transmutation nicht in der Lage sind. Das Deutsche Atomforum, die umtriebige PR-Plattform der Atomwirtschaft, gibt sich gleichwohl optimistisch. „Schon relativ konkret“ seien die Pläne, heißt es. Zugleich gesteht man dann aber ein, dass ein großflächiger Einsatz der neuen Konzepte erst zur Mitte des Jahrhunderts möglich sein werde.

Kritiker halten selbst das für fraglich. „Ob diese Reaktoren überhaupt möglich sind, ist noch strittig“, sagt Stephan Kurth vom Öko-Institut in Darmstadt. Denn die ganze Technik sei noch nicht einmal in der Theorie voll entwickelt. Die Visionen rund um die Transmutation hält Kurth für einen „Papiertiger“. Denn die Praxistauglichkeit des Verfahrens sei höchst strittig. Schon allein der Energiebedarf des Umwandlungsprozesses könnte so groß sein, dass er zum K.o.-Kriterium wird. Ohnehin sind die gesamten Kostenschätzungen zur „Generation IV“ schwierig. Aus diesem Grund hört man bislang auch von Seiten der Stromversorger so gut wie gar nichts von den neuen Reaktoren. Es sind vielmehr die Forschungslabors, die das Thema im Gespräch halten – der lukrativen Forschungsgelder wegen. BERNWARD JANZING