: Gleichheit für einen Tag
VON CLAUDIA PINL
„Stell dir einen Tag vor, an dem Mädchen wie du neue Handys entwickeln, Wale erforschen, Orchester dirigieren oder Webseiten gestalten“, wirbt die Arbeitsagentur Recklinghausen für den „Girls’ Day“ 2006. Heute ist es wieder so weit: Bundesweit können Schülerinnen der Klassen 5 bis 10, statt im Klassenzimmer zu sitzen, in Metallbetrieben Werkstücke fertigen, Experimente in Laboren durchführen oder in Tischlerwerkstätten Kleinmöbel bauen.
Der Girls’ Day, 2001 nach US-Vorbild eingeführt, soll den Jugendlichen die Qual der Wahl bei der Berufsorientierung erleichtern. Das Schwergewicht der rund 6.000 Veranstaltungen in Werkstätten, Laboren und Fabriken liegt dabei auf handwerklichen, technischen, naturwissenschaftlichen und IT-Berufen – solchen also, die die meisten Mädchen nicht im Visier haben, wenn sie ihre Zukunft planen.
Es fehlen Fachkräfte
Seit die heftig bezuschussten Programme „Mädchen in Männerberufe“ der 1980er-Jahre ausliefen, ist die Zahl von Frauen in den meisten gewerblich-technischen und IT-Berufen rückläufig. Ausnahmen bilden die Mediengestalter, bei denen der Frauenanteil unter den Auszubildenden auf über die Hälfte gestiegen ist. Dafür sackte er etwa bei Tischlern, Industriemechanikern oder Fachinformatikern gegenüber den 1990er-Jahren auf unter 10 Prozent ab. Anscheinend führt das knapper werdende Angebot an Ausbildungsplätzen zu einer „Retraditionalisierung“: Je heftiger die Konkurrenz, desto weniger trauen sich die Mädchen, Geschlechtergrenzen zu überschreiten. In vielen dieser Berufe werden aber in Zukunft Fachkräfte fehlen – oder sie fehlen schon jetzt.
Daher rufen Arbeitgeber, Unternehmerverbände, Gewerkschaften und die Bundesagentur für Arbeit anlässlich des Girls’ Day einträchtig junge Frauen auf, endlich den schmalen Sektor „weiblicher“ Berufe wie Arzthelferin oder Bürokauffrau zu verlassen. „Es liegt nun an den Schülerinnen, die Chance zu ergreifen und in Berufe zu schnuppern, die über sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten verfügen und bisher von Männern dominiert werden“, schreibt der „Arbeitskreis Girls’ Day“ im Märkischen Kreis.
Kritik an Arbeitsagenturen
Aber liegt es wirklich an den Schülerinnen? Erst kürzlich unterzog die Berliner Politologin Helga Ostendorf die Berufsberatung der Arbeitsagentur einer herben Kritik. Demnach tragen die BerufsberaterInnen wenig zum Abbau der Geschlechtertrennung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt bei. Im Gegenteil: Die Beratungspraxis in vielen Arbeitsagenturen vergrößert noch die Kluft zwischen „Männer-“ und „Frauenberufen“.
Zu viele Beratungsfachkräfte, kritisiert Ostendorf, missinterpretieren das Bedürfnis der Schülerinnen in der Pubertät, ihre Weiblichkeit darzustellen, als Wunsch nach einem „weiblichen“ Beruf. Wenn Frauen vermeintlich „vorrangig büroorientierte, pflegerische oder erzieherische Tätigkeiten suchen“, wie ein langjähriger Abteilungsleiter der Nürnberger Agenturzentrale formulierte, wäre es Aufgabe der Berufsberatung, sie auf die Tücken dieser Tätigkeiten – Sackgassenberufe, in denen frau kaum das Salz in der Suppe verdient – hinzuweisen und auf Alternativen aufmerksam zu machen. Großbetriebe, vor allem im Fahrzeugbau, beschäftigen inzwischen Frauen und Mädchen in atypischen Berufen. Ihre schulischen Voraussetzungen und fachlichen Leistungen sind oft besser als die der jungen Männer. Weil Frauen nicht nur Auto fahren, sondern auch Autos kaufen, sollten sie sie auch konstruieren und bauen, lautet die einschlägige Werbebotschaft von Ford Deutschland, die sich aber noch nicht bis zu allen BerufsberaterInnen herumgesprochen hat.
Verständlich, meint Helga Ostendorf, gibt doch die Arbeitsagentur ihren BerufsberaterInnen Untersuchungen aus den 70er- und 80er-Jahren zu lesen, wonach Frauen in gewerblich-technischen Berufen eher nicht erfolgreich sind. Die Wissenschaftlerin macht dafür die traditionell in der Arbeitsagentur herrschende Philosophie der Geschlechterdifferenz verantwortlich, wonach es essenzielle Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Dieses tradierte „Wissen“ der Berufsberatung führt dann dazu, dass auch Mädchen, die nicht pflegen, erziehen oder leitenden Herren zuarbeiten möchten, dennoch auf die Schiene „Frauenberufe“ gesetzt werden. Zumal, trotz Lehrstellenknappheit insgesamt, der Einzelhandel, Arzt- und Anwaltspraxen immer noch zahlreiche Ausbildungsplätze anbieten, und die Jugendlichen ja „versorgt“ werden müssen.
Auch in den von der Arbeitsagentur bereitgestellten Medien zur Berufsorientierung schimmern die alten Geschlechterklischees durch. Zum Beispiel beim interaktiven Computerprogramm „Mach’s Richtig“. Gibt man dort ein, dass man „mit Menschen“ arbeiten möchte, wird man in der Mehrzahl zu Berufsvorschlägen wie „Friseur/in“, „Arzthelfer/in“ oder „Modist/in“ geführt, selten zu Vorschlägen wie „Feldwebel bei der Bundeswehr“, und überhaupt nicht zu gewerblich-technischen Berufen. Die Wissenschaftlerin Ostendorf kritisiert: „Da wird das Bedürfnis insbesondere von Mädchen nach netten Kolleginnen und ‚mit Menschen zu tun haben wollen‘ als Wunsch interpretiert, Menschen zu erziehen, sie zu sozialisieren oder ihnen zum Beispiel in einem Pflegeberuf zu helfen.“
Aber auch junge Männer mögen oft keine isolierte Arbeit. Das entsprechende „männliche“ Suchkriterium im PC-Programm heißt „Beim Kunden“ – eine Qualifizierung, die zu Recht vielen (männerdominierten) Handwerksberufen zugeordnet ist. In der Konsequenz werden Mädchen, wenn sie sich mit ihren beruflichen Vorstellungen dem BIZ-Computer anvertrauen, häufig auf die „typisch weiblichen“ Berufe mit schlechten Aufstiegs- und Einkommenschancen verwiesen.
Karen Schober, in der Nürnberger Zentrale der Bundesagentur für die Koordinierung des „Girls’ Day“ verantwortlich, gibt zu bedenken, dass die Jugendlichen, die zur Berufsberatung kommen, bereits ein gerüttelt Maß an geschlechtsspezifischen Prägungen hinter sich haben: Ausschlaggebend für den „Genderfaktor“ bei der Berufswahl sei weniger die Berufsberatung oder die Schule, es seien vielmehr die Rollenmodelle, die die Eltern vorleben. Schober gibt jedoch zu, dass das Programm „Mach’s richtig“ nicht frei von Stereotypen ist. Allerdings nehme die Arbeitsagentur keinen direkten Einfluss auf die Gestaltung der darin vorgegebenen beruflichen Kriterien. Das sei Aufgabe eines Expertengremiums, in dem neben BerufsberaterInnen Praktiker aus Betrieben, Verbänden und Fachbuchverlagen sitzen. Sie verweist auf weitere Medien zur Berufsfindung wie die CD „JobLab“, die Mädchen kreativ und spielerisch mit unterschiedlichsten Berufen bekannt macht.
Die Jugendlichen können mit diesem vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft mit Unterstützung des Bundesbildungsministeriums und der Arbeitsagentur entwickelten Programm Berufs- und Lebensentwürfe ergebnisoffen simulieren und vergleichen. Schober: „Mädchen in so genannten Männerberufen scheitern nicht an Fachkenntnissen. Wenn sie scheitern, dann an ihrer Situation als Minderheit, die mit Vorurteilen oder Anmache zu kämpfen hat.“
Ist der „Girls’ Day“ nur eine Alibiveranstaltung ? Die Bekenntnisse von Arbeitsagentur und Arbeitgebern zu Frauen in „Männerberufen“ sind zahlreich. Die Praxis sieht jedoch oft anders aus. Nicht nur bei der Berufsberatung. Wenn sich in Köln oder Umgebung eine junge Frau zur Tischlerin ausbilden lassen möchte – ein bei Mädchen relativ beliebter Handwerksberuf –, bekommt sie den ersten Dämpfer, wenn sie im Internet die Website der Tischlerinnung aufruft. Hier werden insgesamt 29 Ausbildungsbetriebe genannt – geschlechtsspezifisch sortiert: Lediglich 10 Betriebe sind bereit, Frauen wie Männer auszubilden; ein Betrieb lässt die Geschlechterfrage offen. Die übrigen 18 sind mit einem „M“ markiert, soll heißen: Dieser Betrieb bildet männliche Auszubildende aus – ein eindeutiger Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot beim Zugang zu Arbeit und Ausbildung.
Überforderte Handwerksmeister
Auch der Tischlerbetrieb von Innungsobermeister Hans Krauß ist mit einem „M“ gekennzeichnet. Krauß selbst kann sich das nicht erklären; sein Betrieb habe „von Anfang an Damen beschäftigt“, Auszubildende, aber auch schon mal eine Gesellin und eine Meisterin. Er habe damit keine schlechten Erfahrungen gemacht. „Es gibt gute und weniger gute Auszubildende, Männer wie Frauen.“ Einige seiner Kollegen sähen das jedoch anders: Die „Lebenseinstellung“, nach der eine Tischlerwerkstatt ein frauenfreier Raum zu sein habe, könne man ihnen auch nicht mehr abgewöhnen.
Sich Frauen als gleichberechtigte Fachkräfte in ihrem Gewerbe vorzustellen überfordert anscheinend immer noch viele Handwerksmeister. Der Druck, traditionelle Einstellungen aufzugeben, ist angesichts zahlreicher BewerberInnen, die um wenige Ausbildungsplätze kämpfen, eher gering. Da hilft auch kein „Girls’ Day“.