: Ewige Attacke
Während Lothar Matthäus mal wieder über Jürgen Klinsmann schimpft, ist der Bundestrainer derzeit fein raus
FRANKFURT dpa ■ Es klingt fast wie ein Plädoyer für Jürgen Klinsmann. „Der Nationaltrainer ist oft die ärmste Sau, er kann ja keinen Brasilianer kaufen. Man sollte ihm jetzt die volle Unterstützung geben“, erklärte Lothar Matthäus in Frankfurt am Main. Der deutsche Rekord-Nationalspieler gefällt sich freilich seit Wochen in der Rolle des Chefkritikers. „Er macht sich angreifbar“, lautet sein jüngster Angriff auf Klinsmann.
Im Sommer 2004, als nach der verunglückten Europameisterschaft Teamchef Rudi Völler zurückgetreten war, war auch der Name Matthäus als möglicher Chef der Nationalmannschaft gehandelt worden. Sein größter Fürsprecher war damals Franz Beckenbauer. „Wenn er Weltmeister wird, wird er wahrscheinlich aufhören. Fliegt er im Achtelfinale raus, wie ich es befürchte, ist sein System gescheitert“, sagte Matthäus nun über Klinsmann.
Matthäus nutzte zuletzt fast jede Gelegenheit, seinen einstigen Mitspieler in der Nationalmannschaft und bei Bayern München zu attackieren. „Klinsmann ist jemand, der sehr viel speichert und nachtragend ist“, sagt der 150-malige Nationalspieler Matthäus über den 108-fachen Auswahlakteur Klinsmann. Auch für seine Ablösung als DFB-Kapitän sei vor der EM 1996 Klinsmann mitverantwortlich gewesen: „Er hat mich abgesägt.“
Der ehemalige ungarische Nationalcoach überraschte immerhin mit der Aussage, dass er sich auch mit den Niederungen des deutschen Fußballs zufrieden geben könnte. Er selbst wäre auch bereit,einen Zweitliga-Verein mit Perspektive zu übernehmen, sagte der Franke, der zuletzt nach nur sechs Wochen wegen angeblich eingehaltener Vertragsvereinbarungen beim brasilianischen Clubs Atletico Paranaense gekündigt hatte.
Der ehemalige Nationalspieler traut seinen Nachfolgern bei der WM im eigenen Land wenig zu, „obwohl ich mich natürlich gern täusche“. Die Mannschaft habe einfach nicht das Potenzial für die ersten zehn. „Sogar die Schweiz ist besser organisiert“, glaubt Matthäus. Und weiter: „Die Spieler sind heute nicht mehr frech genug. Man muss auch mal ein Drecksack sein“, sagte Matthäus. Weltklasseformat hätten lediglich die beiden Keeper, Ballack und auch noch Miroslav Klose.
Falls die WM-Mission mit Klinsmann scheitert, müsse sich der DFB ein neues Konzept überlegen, das dann über Jahre durchgezogen werden müsse. Während des WM-Turniers wird der 45-Jährige als Experte für einen Bezahlsender seine Urteile über Klinsmann fällen. Der ist derzeit bester Laune.
Gut sechs Wochen vor dem Anpfiff zur Fußball-WM kommt Klinsmann das Jens-Lehmann-Hoch gerade recht. Der Hype um den Champions-League-Helden des FC Arsenal bestätigt den Bundestrainer im Nachhinein in seiner heiß diskutierten Entscheidung, Jens Lehmann und nicht Oliver Kahn zum deutschen WM-Stammtorwart zu berufen.
Selbst Kahn gratulierte dem Rivalen und Arsenal fair zum Erfolg. „Man kann nur Glück wünschen, dass man dort den letzten Schritt tut. Ein Champions-League-Finale ist immer ein großes Ereignis. Es gibt kaum Größeres“, meinte der Bayern-Torhüter am Donnerstag in München auf einer Pressekonferenz vor dem DFB-Pokalfinale seines Clubs gegen Eintracht Frankfurt. Auf die Frage, ob er am Samstag mittels Cupsieg nachziehen wolle, sagte Kahn: „Diese Überlegungen sind mir fremd. Was sollte das eine mit dem anderen zu tun haben?“ Klinsmann verspricht sich vom Einzug des Lehmann-Clubs in das Champions-League-Endspiel gegen den FC Barcelona sogar einen zusätzlichen „Kick“ für sein ganzes Team. „Auf jeden Fall bringt Jens mit diesem Erfolg einen positiven Geist mit zur WM“, glaubt der Bundestrainer. Nach Lehmanns Elfmeter-Parade, die das 0:0 gegen den FC Villarreal und Arsenals Final-Teilnahme gesichert hatte, schickte Klinsmann sogleich eine Glückwunsch-SMS: „Wir freuen uns mit Jens.“ Der gefeierte Lehmann, den Klinsmann vor drei Wochen nach vielen Debatten zum WM-Stammkeeper vor Kahn erklärt hatte, hält seit Mittwochabend den Champions-League-Rekord mit 745 Minuten ohne Gegentor. Der 36-Jährige ist zum großen Rückhalt bei Arsenal geworden und auch im DFB-Team, in dem er eine ähnlich unerfahrene Abwehr dirigieren muss wie in London, in der Hierarchie „auf den Platz direkt hinter Michael Ballack“ aufgestiegen, wie Klinsmann erklärte.
Für Lehmann selbst kommt seine Glanzleistung in der Champions League nicht überraschend: „Seit etwa anderthalb Jahren spiele ich konstant auf einem Niveau.“ Und er ist überzeugt, dass er bei der WM auch vor heimischem Publikum das Vertrauen des DFB-Trainerstabs rechtfertigen und die bisherigen Kritiker überzeugen kann.