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Archiv-Artikel

Asphaltierte Rollbahnen

RADWEGE Urlaub mit dem Fahrrad ist längst ein Wirtschaftsfaktor geworden. Kein Wunder, dass auch der Ruf nach Qualitätsnormen für Radwege laut wird

Wer mit vielen Sternen werben will, muss die Asphaltmaschine auffahren lassen

VON GERHARD FITZTHUM

Mit den Wanderwegen fing Mitte der Neunzigerjahre alles an. Marktstudien hatten ergeben, dass die Traditionsrouten der Wandervereine nicht mehr zeitgemäß waren. Der moderne Freizeitgeher wollte nicht länger auf breiten Hartschotterpisten der Forstwirtschaft hinterherlatschen, und schon gar nicht auf Asphalt. Er suchte das, was es kaum noch gab: Verschlungene, schmale und erdige Pfade, auf denen man der Natur wirklich nahe kam. Um die Routen unterscheiden zu können, entwarf „Wanderpapst“ Rainer Brämer daraufhin ein Verfahren der Qualitätskontrolle, aus dem zwei miteinander konkurrierende Gütesiegel hervorgingen: das Premiumweg-Zertifikat seines Deutschen Wanderinstituts und eine Lightversion, die vom Deutschen Wanderverband propagiert wird. Wen wunderts, dass inzwischen auch die Radwege an der Reihe sind?

Hier bietet der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) seine Dienste an. Sein Zertifizierungsverfahren besteht darin, die wesentlichen Qualitätselemente von Radfernwegen zu quantifizieren. Die Gesamtpunktzahl berechnet sich durch die Addition der Punkte, die für Befahrbarkeit, Oberfläche, Wegweisung, Routenführung, Sicherheit, Infrastruktur, öffentlichen Nahverkehr und Marketing erreicht werden.

Inzwischen wurde das kostenpflichtige Verfahren auf eine Handvoll überregionale Radfernwege angewandt, unter anderem den Ems-Radweg und den Maintalradweg, der mit fünf Sternen die Höchstnote erhielt. Ausschlaggebend dafür waren das professionelle Marketing, die einheitliche Beschilderung, die gastronomische Vielfalt am Wegrand, die komfortable Breite des Weges und ihr minimaler Rollwiderstand – mehr als neunzig Prozent der Route bestehen aus homogenen Teerdecken. Alle anderen Oberflächen führen beim ADFC zu Punktabzügen: Während „glatter Asphalt“ pro Kilometer Strecke zwei Punkte bekommt, erhält eine „wassergebundene Decke“ in „tadellosem“ Zustand nur 1,5 Punkte, weist sie Wellen und Unebenheiten auf, so gibt es nur einen Punkt.

Dem Radler wird damit garantiert, dass die Strecke auch bei Regen gut befahrbar bleibt und er sich sein Rad nicht schmutzig macht. Allerdings hat die Sache auch einen Haken: Naturnah ausgebaute Wege werden abqualifiziert – wer mit vielen Sternen werben will, muss die Asphaltmaschine auffahren lassen. Naturschützer sind darüber natürlich sauer, besonders, wenn dies in renaturierungsfähigen Auen geschieht. Es ist aber nicht mal sicher, ob sich Radler überhaupt endlose Teerbahnen wünschen. Die neue „Grundlagenstudie Fahrradtourismus“ des Deutschen Tourismusverbands (DTV) fand nur heraus, dass dem Reiseradler verkehrsarme Strecken und eindeutige Beschilderungen am wichtigsten sind.

Gleichauf mit dem „Abwechslungsreichtum“ der Routen folgt der Zustand der Wege. Bei der Frage nach der Oberflächenbeschaffenheit optierten zwar 64 Prozent der Befragten für „Asphalt“, die Antwort muss aber als wenig aussagekräftig betrachtet werden. Alternativ zu Asphalt konnten ja nur „Schotter/Kiesweg“, „Wald-/Feldweg“, „Kopfsteinpflaster“ oder „Betonplatten“ angekreuzt werden.

Dass Langstreckenradler gut befahrbare Wege bevorzugen, liegt auf der Hand. Dass es unbedingt und überall Asphalt sein muss, hingegen nicht. Das gilt offenbar auch für ADFC-Mitglieder. Einer internen Befragung zufolge empfindet nur jeder Zehnte „glatte asphaltierte Oberflächen“ als „sehr wichtig“.

Wer viel fährt, weiß auch, welche große Rolle der Abwechslungsreichtum für die Erlebnisintensität spielt. Steht dieses Kriterium bei der Wanderwegzertifizierung im Zentrum des Interesses, so spielt es beim ADFC praktisch keine Rolle. Aufhorchen lässt auch ein Einzelergebnis der Studie: Auf die Qualität der regionalen Angebote befragt, urteilten die Radfahrer weit kritischer als die Normaltouristen und bemängelten vor allem das Kultur- und Unterhaltungsangebot und den öffentlichen Personennahverkehr. Mit den Radwegen erklärten sie sich hingegen sehr zufrieden.

Am zufriedensten sind sie mit dem Elberadweg, der seit Jahren die Beliebtheitsskala der Radfernwege anführt, ohne je zertifiziert worden zu sein.

In den östlichen Bundesländern befürchtet man mit Recht, die übertriebenen Hardware-Standards der Radlerlobby nicht erfüllen zu können. Um Höchstpunktzahlen in den Bereichen „Befahrbarkeit“ und „Oberfläche“ zu erhalten, braucht man schließlich eine drei Meter breite asphaltierte Rollbahn ohne jede Unebenheit – eine uniforme Schneise durch die Landschaft, kurz: eine Zweiradautobahn.