Bildung wird behindert

Das neue Urheberrecht wird viele Zugeständnisse an die Rechteverwerter machen, also Verlage, Musiklabels und Filmfirmen. Damit schränkt es die Informationsfreiheit ein

Wir alle sind von der Digitalisierung der Medien betroffen – und damit vom neuen Urheberrecht

Der Streit um das künftige Urheberrecht ist heftig. Heute geht er in die nächste Runde, wenn der Bundesrat Stellung nimmt zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Falls er sich dabei an die Empfehlungen seiner Fachausschüsse hält, heißt das für den Regierungsentwurf: durchgefallen. Ob der Bundesrat sich zu dieser Ohrfeige durchringen wird, ist nicht sicher. Tut er es nicht, wäre das bedauerlich. Denn sicher ist, dass die Fachausschüsse mit ihrer umfassenden Kritik Recht haben.

Drei Ausschüsse – für Recht, Wirtschaft und Kultur – haben sich für den Bundesrat mit der zweiten Stufe der Urheberrechtsreform befasst. Sie empfehlen, dem Gesetzesentwurf nicht zuzustimmen. Denn er werde „den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien an Schulen und Hochschulen behindern“ und „den Zugang zu wissenschaftlichen Informationen verknappen und verteuern. Zudem werde die „Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen und Hochschulen“ erschwert. Das ist deutlich – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Novellierung nach den vollmundigen Worten von Justizministerin Brigitte Zypries gerade dazu gedacht ist, „das deutsche Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter“ zu machen.

Man könnte die Auseinandersetzung als undurchsichtigen Expertenstreit abtun. Doch es steht zu viel auf dem Spiel. Denn die Digitalisierung der Medien schreitet voran. Wir alle sind davon betroffen – und damit vom Urheberrecht, da es regelt, wie wir diese Medien nutzen dürfen.

Ein Beispiel: Seit Jahren versenden deutsche Bibliotheken im so genannten Subito-Dokumentenlieferdienst Kopien von wissenschaftlichen und anderen Artikeln aus ihren Beständen per Post, als Fax oder per E-Mail. Und seit Jahren kämpfen Verlage gegen dieses Angebot, das jährlich millionenfach genutzt wird von Schülern, Studenten, Wissenschaftlern und interessierten Bürgern in der so genannten Wissensgesellschaft. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in einem Urteil bereits 1999 entschieden, dass ein Dienst wie Subito mit dem Urheberrecht vereinbar ist. Der Kopiendirektversand ist demnach ohne Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte zulässig, wenn die Kopie privaten oder wissenschaftlichen Zwecken dient und nicht kommerziell genutzt wird.

Damit hatte der BGH im Rahmen des Gesetzes eine Entscheidung zugunsten des Gemeinwohls getroffen. Denn das Urheberrecht hat nicht, wie gerade heute der Eindruck entstehen kann, den absoluten Schutz der Urheber und Rechteinhaber zum Ziel. Vielmehr soll es für einen Ausgleich sorgen zwischen ihren Interessen und denen der Allgemeinheit. Die Rechte und berechtigten Ansprüche der Urheber sah der BGH beim Kopienversand unter anderem dadurch ausreichend geschützt, dass sie einen Anspruch auf eine Vergütung haben. Sie wird nicht pro Artikel gezahlt, sondern pauschal an die Verwertungsgesellschaft Wort, die das Geld nach einem bestimmten Schlüssel an die Rechteinhaber ausschüttet. Damit schien ein guter Kompromiss gefunden.

Die Verleger wollen ihn jedoch nicht akzeptieren. Daher reichten sie 2004 wieder Klage ein gegen Subito – dieses Mal mit dem Ziel, zu verhindern, dass die Kopien statt nur per Post oder Fax nun auch per E-Mail verschickt werden. Dabei ist der Versand per E-Mail ohnehin schon derart eingeschränkt, dass er im Jahr 2006 wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten erscheinen muss. Denn Kopien dürfen nur als grafische Dateien verschickt werden. Die Empfänger können also Zitate nicht elektronisch aus dem Dokument übernehmen, sondern müssen sie wie bei Papierkopien abtippen.

Als wäre das nicht bereits Zugeständnis genug, fordern die Verlage, dass Kopien grundsätzlich nur per Post und Fax versandt werden dürfen. In einem Teilurteil hat das Landgericht München I entschieden, auch der Versand per E-Mail sei durch das Urheberrecht gedeckt. Postwendend legten die Verlage Berufung ein, zu der ein Urteil noch aussteht.

Zusätzlich zum Rechtsweg beschreiten die Verleger einen anderen Weg, der mehr Erfolg verspricht: Lobbying bei der Bundesregierung. Denn wenn die Gerichte im Rahmen des geltenden Rechts „falsch“ entscheiden, muss man eben dafür sorgen, dass die Gesetze geändert werden. Im Justizministerium stießen sie auf offene Ohren. Im Gesetzesentwurf, der im März das Kabinett passiert hat, ist vorgesehen, dass Bibliotheken in Zukunft nur noch dann Artikel per E-Mail verschicken dürfen, wenn die Verlage die Artikel nicht selber zum elektronischen Abruf anbieten. Was wie ein fairer Kompromiss aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Farce. Denn der Preis, den ein Verlag für einen Text verlangt, spielt keine Rolle. Bei Subito kostet ein Artikel von bis zu 20 Seiten Länge derzeit fünf Euro für Studierende und Hochschulmitarbeiter, wenn er per E-Mail verschickt wird. Preise von 30 Euro pro Artikel sind bei Wissenschaftsverlagen dagegen keine Seltenheit.

Der Subito-Dienst, wie er jetzt existiert und 2005 mehr als 1,3 Millionen Mal genutzt wurde, würde der Vergangenheit angehören, wenn der Regierungsentwurf durchkäme. Zu Recht glauben auch die Bundesratsausschüsse: Es ist „zu befürchten, dass der schnelle und durch das Grundgesetz garantierte offene Zugang zu Informationen nicht mehr für jedermann zur Verfügung stehen wird“.

Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Was daran deutlich wird, ist die Linie der Bundesregierung. Zwar redet sie seit Jahren viel von der „Informations- und Wissensgesellschaft“. Was sie aber im konkreten Fall darunter versteht, sieht man an der Novellierung des Urheberrechts: Sie macht viele Zugeständnisse an die so genannten Rechteverwerter, also Verlage, Musiklabels und Filmfirmen. Und die sollte man nicht verwechseln mit den Urhebern selbst, denn – wie der Name schon sagt – die Verwerter schaffen keine Werke, sondern verwerten sie lediglich.

Der schnelle und offene Zugang zu Informationen wäre nicht mehr für jedermann möglich

Immer wieder beruft sich Justizministerin Zypries darauf, durch die EU-Richtlinie zum Urheberrecht seien ihr die Hände gebunden. Aber ihr Entwurf zeigt, wie wenig Gebrauch sie von den Freiheiten machen will, die die Vorgaben aus Brüssel lassen. Sie sollte die – erstaunliche, weil in dieser Deutlichkeit nicht erwartete – Mahnung der Bundesratsausschüsse nutzen, um ihre Linie zu korrigieren.

Dazu gehört, den elektronischen Kopienversand der Bibliotheken festzuschreiben. Schulen sollte es erlaubt sein, Unterrichtsmaterial nicht nur während der Unterrichtsstunde, sondern auch danach in schuleigenen Intranets zur Verfügung zu stellen und an elektronischen Leseplätzen anzubieten. Und Wissenschaftler, deren Forschung aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, müssen das Recht haben, ihre Forschungsergebnisse für Leser kostenlos online anzubieten, auch wenn Verlage das per Vertrag ausschließen möchten. Für all diese Änderungen lässt die EU-Richtlinie den nötigen Spielraum. Noch ist es nicht zu spät, ihn zu nutzen.

MATTHIAS SPIELKAMP