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Archiv-Artikel

Fantasien über den Anfang

Wie viel Vergangenheit steckt im Neuen? Vor ein, zwei Jahren noch war das Klagen groß über den grassierenden Nostalgie-Wahn in der Popmusik oder die allgegenwärtige „Retromanie“, die zwanghaft vergangene Epochen wieder aufleben lassen will. Mittlerweile ist die Aufregung weitgehend wieder verklungen. Punk zum Beispiel war ja schließlich auch kein Bruch mit der Vergangenheit, sondern bloß eine – damals sehr erfrischende – Entschlackung und Beschleunigung als Reaktion auf die im Siebziger-Jahre-Rock entstandenen Altlasten.

Ein Produzentenveteran wie Luke Slater hätte theoretisch allen Anlass, nostalgisch zu werden. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Sachen Techno und House könnte er einfach mal wieder in alten Erinnerungen schwelgen und die Vorzüge von früher preisen. Macht er aber nicht. Das erste Album seines Projekts L.B. Dub Corp trägt den programmatischen Titel „Unknown Origin“, und da sind beide semantischen Bestandteile ernstzunehmen. Es geht Slater zwar um die musikalische Herkunft (wohlgemerkt: nicht „Wurzeln“), doch dass er diese Herkunft als unbekannt ausweist, bedeutet zugleich, dass er sie nicht exakt im Originalmaßstab rekonstruieren kann oder will.

Stattdessen baut Slater als L.B. Dub Corp eine Clubwelt, in der House-Bausteine der Anfangstage wie etwa die charakteristischen Piano-Figuren genauso Platz finden wie Dub-Elemente oder der gute alte Techno. Das alles rüttelt Slater so beherzt durcheinander, dass man das Wort „retro“ erst gar nicht in den Mund nehmen möchte. Und selbst da, wo er sich stimmliche Verstärkung hinzuholt, in diesem Fall der britische Dub Poet Benjamin Zephania, klingt das Ergebnis ziemlich gegenwärtig.

Im eigentlichen Sinne nostalgischer gibt sich das Duo Jonsson/Alter auf seinem zweiten gemeinsamen Album „2“. Die beiden Schweden Joel Alter und Henrik Jonsson, die in Berlin leben, bedienen sich wie Slater ebenfalls bei House und Dub. Das tun sie lediglich eine Spur verklärter. Ihr House ist traditionalistischer, in ihren Tracks zeigen sie jedoch ein Gespür für Reduktion, das in den Anfangstagen des Genres noch nicht sonderlich verbreitet war. Diese zurückgenommene Herangehensweise kombinieren Jonsson und Alter dann mit verträumten Klaviermelodien, die gerade noch lakonisch genug sind, um nicht kitschig zu wirken. Dafür eben nostalgisch.

TIM CASPAR BOEHME

■ L.B. Dub Corp: „Unknown Origin“ (Ostgut Ton/Kompakt), Record-Release-Party am 23. 11., Panorama Bar

■ Jonsson/Alter: „2“ (Kontra-Musik/Clone)