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Archiv-Artikel

Die Kunst ist widerständig!

MUSEUMSNEUBAU „Wystawa“ handelt von der Magie des Schaufensters. Die Ausstellung kann nicht betreten werden, sie ist nur durchs Schaufenster, dafür rund um die Uhr zu sehen

Wenn Kunst, wie gern verlangt, tatsächlich bei irgendetwas helfen kann, dann beim Stolpern

VON PHILIPP GOLL

Musste das sein? Als die Ausstellung „Wystawa“ im Rahmen des deutsch-polnisch-indischen Kulturprojektes „The Promised City“ im April in Warschau eröffnet wurde, kamen die aus der deutschen Hauptstadt angereisten Kulturherren Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, und der Berliner Staatssekretär für Kultur, André Schmitz, nicht umhin, die üblichen diplomatischen Register zu ziehen. Die Kunst, so hieß es, helfe jetzt dabei, Schrecken und Trauer über den Tod der RepräsentantInnen Polens durch den Flugzeugabsturz bei Smolensk zu überwinden.

Die Werke scheren sich aber so wenig um diese Ereignisse wie die Kulturbotschafter darum, dass ihr Auftreten eher Staatsdienst als Dienst an der Sache selbst ist. Da drehte man sich zuversichtlich um und steuerte freudig die Exponate an, die plötzlich von einem widerständigen Schein umgeben waren.

Im Warschauer Museum für Moderne Kunst ist die von Susanne Pfeffer kuratierte Ausstellung „Wystawa“ zu Gast. Sie ist die Komplementärausstellung zu „Early Years“, die, unter anderem kuratiert von Sebastian Cichocki und Joanna Mytkowska vom Warschauer Museum für Moderne Kunst, in den Berliner Kunst-Werken gezeigt wird. Die Ausstellungen sind Eckpfeiler der Initiative „The Promised City“, die in Ausstellungen und Theaterfestivals, einer Vortragsreihe und Stadtforschungsprojekten die magische Anziehungskraft der Metropolen Berlin, Bukarest, Mumbai und Warschau erforscht.

Der Titel „Wystawa“ ist ein Wortspiel mit der polnischen Bezeichnung für „Ausstellung“, denn „Wystawa“ bedeutet zugleich auch „Schaufenster“. Er bezieht sich auf die aktuelle Situation des Museums, das seine Unterkunft in Zwischennutzung eines Möbelhauses in einer Passage unweit des Kulturpalastes findet, umringt von einer Gebäudeflucht aus Hotel- und Bürotürmen. Bis 2014 soll der Museumsbau auf dem Defilad-Platz vor dem Kulturpalast realisiert werden. Indes kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen wie etwa im letzten Jahr, als die KDT-Markthalle, die dem Museum weichen musste, geräumt wurde und die VerkäuferInnen aufbegehrten. Während die polnische Ausstellung in den Kunst-Werken eben diese „jungen Jahre“ des Museums reflektiert, geht es der Ausstellung „Wystawa“ grosso modo um die Magie des Schaufensters – sie ist nicht betretbar und nur durchs Schaufenster, dafür rund um die Uhr zu sehen.

Nur wenige Werke in den zehn Schaufenstern beziehen sich explizit auf den Museumsbau oder die Metropole Warschau. „Wystawa“ ist mehr Pflichtübung im globalen Museumsparkour, durch den Ausstellungen jetten, als dass sie radikale oder neue Perspektiven auf die Institution Museum und seinen städtischen Kontext bietet. Eines der interessanteren Werke ist Cyprien Gaillards „Mirror Replacement“. Er ersetzt ein Schaufenster durch Originalscheiben des Palastes der Republik. Die goldbronzenen Spiegelscheiben treten in einen Dialog mit der Passagenarchitektur des Möbelhauses, das ebenso wie der Warschauer Kulturpalast architektonisches Erbe des Sozialismus ist. Gaillards Arbeit ist somit auch ein Kommentar zu den strukturellen Ähnlichkeiten des Architekturstreits um das Museum, dass dem Warschauer Kulturpalast ein Zeichen der demokratischen Ordnung entgegensetzen soll und dem Abriss des Palastes der Republik, an dessen Stelle das Berliner Stadtschloss als historische Fassadenarchitektur wiedererrichtet wird.

Sarah Ortmeyer stellt in ihrer Installation „Dilemma“ Holztapeziertische in den Ausstellungsraum, die zum Schaufensterende hin angebrannt und an der Wandseite zu leeren Passepartouts aufgeklappt sind. Ortmeyer reflektiert hier ihre Mittäterschaft, mit der sie sich als Künstlerin in Bezug auf die Verdrängung der MarkthändlerInnen von ihrem Arbeitsplatz konfrontiert sieht. Ein herausragender Kommentar – auch im Wortsinne – ist Alicja Kwade mit „Hemmungsloser Widerstand“ gelungen. Sie ignoriert in ihrer Installation die Aufteilung von Kunst- und Stadtraum. Fünf Holzbalken, die im Schaufensterraum aufgestellt sind, evozieren in unterschiedlichen Neigungen eine fiktive Bildfolge, die einen zu Boden stürzenden Balken beschreibt. Schließlich wird das Fenster von den letzten Balken lautlos „durchschlagen“, um vor den Füßen des Betrachters zu landen und seinen Weg zu blockieren. Die Unterminierung der physikalischen Gewissheit – der Balken gleitet widerstandslos durch das Glas – wird zu einer künstlerischen Behauptung, die zutiefst verunsichert – und das Werk zum Idealfall von Kunst: Wenn sie, wie gern verlangt, tatsächlich bei irgendetwas helfen kann, dann beim Stolpern.

■ Bis 20. Juni. Museum für moderne Kunst, Warschau