: Exotik des Augenblicks
FRENCH OPEN Er heißt Julian Reister und er hat die ersten beiden Runden beim großen Sandplatzturnier von Paris überstanden. Jetzt trifft er allerdings auf die Nummer eins
Julian Reister, Nummer 165 der Weltrangliste
AUS PARIS DORIS HENKEL
Irgendwie musste es Julian Reister vorkommen, als drehe sich die Welt ein paar spannende Stunden lang nur um ihn. Auf seinem Mobiltelefon landete eine Kurznachricht nach der anderen, Freunde wählten seine Nummer, die Familie kündigte prompt einen Besuch in Paris an, und er selbst begeisterte sich an der Aussicht, im Stade Roland Garros gegen den Besten der Welt zu spielen.
Das Turnier in Paris läuft für ihn fast zu gut, um wahr zu sein. Als Julian Reister, Nummer 20 in der Rangliste des Deutschen Tennisbundes und Nummer 165 in der aktuellen Weltrangliste der ATP, vor gut einer Woche in Paris landete, hatte vor allem eines im Sinn: Er wollte sich für das Hauptfeld qualifizieren. Dreimal hatte er das bisher vergeblich bei Grand-Slam-Turnieren versucht – in Wimbledon und bei den US Open im vergangenen Jahr und bei den Australian Open in diesem. Mit ein bisschen Glück hatte er diesmal Erfolg, allerdings unter nicht ganz einfachen Bedingungen, denn in der letzten Runde der Qualifikation plagten ihn 39 Grad Fieber.
Das Fieber sank, die Leistungskurve stieg. In der ersten Runde des Hauptfeldes gewann er souverän in drei Sätzen gegen den routinierten Spanier Feliciano Lopez (Nr. 27 der Setzliste). Und beim Sieg in der zweiten gegen den trickreichen kleinen Belgier Olivier Rochus (6:2, 6:2, 7:6) spielte er zwei Sätze lang so überzeugend, dass er hinterher meinte: „Das war wirklich richtig, richtig gut; ich weiß nicht, ob ich besser spielen kann.“
Dies ist der Beruf, den er immer haben wollte, und er glaubt auch, mit 24 allmählich für seine Mühen belohnt zu werden, aber der nächste Schritt ist riesig groß. Für einen wie ihn, der bisher einen einzigen Auftritt bei einem ATP-Turnier hatte, der gewöhnlich bei den Challenger-Turnieren zwischen Nordafrika und der russischen Provinz unterwegs ist, ist die Herausforderung eines Spiels mit Roger Federer in einer der großen Arenen der French Open wie ein Besuch in einem gleichermaßen unbekannten wie exotischen Land.
Auch rein buchungstechnisch ist eine gewisse Beschleunigung der Ereignisse festzustellen. Die bisher größte Einnahme in diesem Jahr waren jene 4.240 Dollar Preisgeld für die Finalteilnahme bei einem Challenger in Kazan (Russland) gegen einen polnischen Sportkameraden namens Michal Przysiezny. Das Spiel der dritten Runde mit Federer bringt Reister mehr als das Zehnfache ein – 42.000 Euro. „Das hilft jetzt natürlich ungemein“, sagt er. Damit soll jetzt ein neues iPhone her, das beste Modell; das alte tut’s nicht mehr.
Vor zwei Jahren hatte er schon mal das Vergnügen mit Federer, allerdings unter anderen Umständen. Bei den German Open in Hamburg durfte er seinerzeit sowohl den Meister als auch Rafael Nadal vorm Finale einschlagen; ein interessantes Erlebnis. Das mit Federer, sagt Reister, sei mehr so ein Geplänkel gewesen; der habe ganz entspannt gespielt. Nadal hingegen habe gleich Vollgas gegeben. Logisch, dass er sich daran erinnert, aber erinnert sich auch Federer? „Vage. Aber wenn ich sein Gesicht sehe, dann kommt es mir sicher wieder in den Sinn.“
Wie wird das nun werden mit den beiden ungleichen Kandidaten in diesem Spiel? Der gut gelaunte Außenseiter sagt: „Das will ich einfach nur genießen.“ Er weiß, dass es nicht von diesem Auftritt abhängen wird, ob er sein Ziel in diesem Jahr erreicht, unter den besten 100 der Weltrangliste zu landen. Wichtig ist ihm vor allem, ohne die Mühle der Qualifikation im Hauptfeld der Australian Open 2011 zu landen.
Wie wäre es einstweilen mit der Schlagzeile: Julian Reister schlägt Roger Federer? „Das wird sicher nicht passieren“, sagt er. „Ehrfurcht hab ich nicht, aber Respekt.“ Und dann schiebt er einen Satz hinterher, der vielleicht nicht zum Image eines knallharten Profis passt, aber sehr schön zum kurzen Selbstporträt: „Ich bin ein aufgeschlossener, netter Junge. Ein Hamburger Jung – uns kann nichts erschüttern.“
Irgendwie, sagt also dieser in der Tat nette Hamburger Jung mit Wohnsitz Reinbek in Schleswig-Holstein, wolle er auch gar nicht gewinnen gegen Federer. „Er ist mein absoluter Lieblingsspieler, da wäre ich ja traurig.“