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Archiv-Artikel

Jenseits des Geheimtipps

Wie lebt es sich eigentlich als ewiger Geheimtipp? Die Antwort: nicht so gut. Denn Geheimtipp kann man nicht ewig bleiben, irgendwann ist man entweder erfolgreich oder nur noch ein ehemaliger Geheimtipp. Dieser zweite Zustand ist einerseits frustrierend, andererseits aber auch sehr befreiend. Alexander Krohn ist schon so lange nicht mal mehr ein Geheimtipp, dass seine Musik eine ganz neue Qualität erreicht: Sie scheint vollkommen frei von allen Erwartungen und unbeeindruckt von allen Moden.

Krohn hat schon vieles hinter sich gebracht, eine Elvis-Coverband, eine Punk-Kapelle, die von einigen wenigen sehr geschätzte, aber schlussendlich weitgehend ignorierte Band Britannia Theatre, Unglücksschläge und Unfälle, eigenes Label und Verlag, ein Philosophiestudium, eine versandete Solokarriere, Versuche als Künstler und Schriftsteller und jede Menge Gelegenheitsjobs. Aber trotzdem macht er – zum Glück – unverdrossen immer weiter und jedes weitere Lebenszeichen ist ein Sieg: „Dear Mister Singing Club“ hat der mittlerweile 42-jährige Krohn aufgenommen mit Bernd Jestram und Ronald Lippok, die sonst als Tarwater fungieren. Es ist aber vor allem eine Krohn-Platte geworden, also eine Platte, auf der alles möglich ist, was dem Künstler gerade in den Sinn kommt: seien es englische oder deutsche Texte, Dada-Zeilen oder tiefgründelnde Rezitative, ein herzerwärmend krepeliges Blues-Intro oder seltsames Geklimper, Sumpfrock oder fein ziselierte Balladen, Kindermördergesang oder Kinderliedmelodien. Das Tollste aber ist, wie Krohn immer wieder Melancholie mit Humor versetzt: In einem Moment schwelgt er in suizidaler Stimmung, im nächsten kippt das in höheren Blödsinn, ohne dass einem ein Bruch aufstoßen würde. Große Kunst, die garantiert niemals groß raus kommen wird.

Auch Frank Schültge hat den Status als Geheimtipp lange schon hinter sich gelassen. Als F.S. Blumm fertigt er trotzdem und ebenso unbeeinflusst von popmusikalischen Strömungen wie Krohn seine ganz spezielle Form von Gitarrenmusik. Auch auf „Up Up And Astray“ entlockt er – nur unterstützt von Kalimba, Kontrabass, Tröten und der eigenen Stimme – seiner akustischen Gitarre wieder einmal wundervolle Klänge und liebliche Melodien. Das könnte zu gefällig sein, wenn F.S. Blumm nicht so konsequent alle Genregrenzen ignorieren – und so – Unerhörtes schaffen würde. THOMAS WINKLER

■ Krohn Jestram Lippok: „Dear Mister Singing Club“ (www.distillerypress.de), Alexander Krohn live am 29.11. beim Literaturfestival in der WABE

■ F.S. Blumm: „Up Up And Astray“ (Pingipung/ Kompakt/ A-Musik)