: Große Not, kleiner Mann!
Karussell fahren und mit den Hüften wackeln: Herzlich und texttreu, mit viel Musik und wenig mehr inszeniert der Filmregisseur Andreas Dresen „Kasimir und Karoline“ am Deutschen Theater in Berlin
VON HANNAH PILARCZYK
Wenn man im Theater mitten in einer Aufführung die Inszenierung vergisst und sich nur noch darüber freut, wie schön das Stück doch ist, muss das nicht immer etwas Gutes heißen. Zum Beispiel bei Andreas Dresens Inszenierung von „Kasimir und Karoline“, die am Samstag am Deutschen Theater in Berlin Premiere hatte. So gänzlich unoriginell war die Arbeit von Filmregisseur Dresen („Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“), dass der zeitlose Sprachwitz und das immer wieder überraschende Tempo von Ödön von Horváths Text umso deutlicher zu Tage traten.
Gleich zu Beginn stellt von Horváth sein Thema vor, indem er es von Karoline, seiner Hauptfigur, verneinen lässt: „Die allgemeine Krise und das Private trennen“ möchte die Büroangestellte (Inka Friedrich) auf ihrem Oktoberfest-Besuch mit Verlobtem Kasimir (Sven Lehmann). Genau das tut das 1932 uraufgeführte Stück natürlich dann doch, führt große Not und kleinen Mann zusammen und lässt – angetrieben durch die self-fulfilling prophecy von Karolines Zufallsbekanntschaft, dem Schürzinger – die Karoline ihren Kasimir kaum zwei Tage nach dessen Kündigung verlassen.
Wie Karoline daraufhin versucht, ihre Balance zwischen Egotrip und Anbiederung an die mit Geld zu finden, wird von Inka Friedrich charmant erzählt. Im Zusammenspiel mit Thorsten Mertens Schürzinger zeigt sich hier Dresens Qualität als Schauspielerführer: Obwohl Friedrich („Sommer vorm Balkon“) und Merten („Halbe Treppe“) längst zu Dresens inoffiziellem Ensemble gehören, wirken sie als vom Opportunismus zusammengetriebenes Paar neu und frisch. Allein DT-Schauspieler Sven Lehmann fällt dagegen ab, weil er die Nuancen des immer im falschen Moment kämpferischen Kasimirs vor allem in Lautstärke übersetzt.
Doch die Chemie zwischen den Darstellern reicht nicht aus, um die Moleküle des Stückes in Bewegung zu bringen, geschweige denn sie neu anzuordnen. Zugegeben: Von Horváth lässt seinen Regisseuren wenig Lücken, so starr ist sein Text in der sprachlichen Konzentration und der örtlichen Bindung an das Oktoberfest. Aber diese Lücken mit Musik zu füllen, wie es Dresen mit seiner Leib-und-Magen-Band „17 Hippies“ (ebenfalls bekannt aus „Halbe Treppe“) tut und sie sowohl Begleit- als auch Pausenmusik spielen lässt, ist für ein Stück, das auf einem Volksfest spielt, ohnehin nicht originell. Und überdies als Konzept von Christoph Marthaler in seiner epochalen Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus wirklich erschöpfend – und durch ausgedehnte Gastspiele auch bundesweit – ausgereizt.
Dennoch ist ein Lied der Höhepunkt von Dresens Inszenierung. Das grotesk beharrte „Gorillamädchen“ Juanita (Anke von Eckstaedt) soll im Rahmen einer Freakshow die Gäste mit ihrem Gesang unterhalten. Verhalten stimmt von Eckstaedt ihr Lied von „der süßen Nacht“, einer Mischung aus Jacques Offenbach und „17 Hippies“ an, um es so dann von zarter Sehnsucht zu grölender Geilheit steigern zu lassen. Hier ist Dresen von Horváth am nächsten, weil er die Volkstümlichkeit in die Satire überführt – und dabei sogar ein bisschen wehtut.
Doch dieser Moment der Brechung bleibt ein einsamer. Während in Dresens Filmen die formale Zurückhaltung eine große Realitätsnähe erzeugt, wirkt dies auf der Bühne furchtbar uninspiriert – als künstliches Element, das Theater als Theater markiert, fällt einem nur Inka Friedrichs ungelenker bayrischer Akzent ein. In beherzter Nichtbeachtung der Abstraktionsmöglichkeiten des Theaters zeigt Dresen, was der Text vermeintlich vorschreibt. Wenn Karussell gefahren wird, wird auch Karussell gefahren, der Liliputaner aus der Freakshow ist tatsächlich ein Kleinwüchsiger und wenn sich die altersgeilen Galane Rauch und Speer vorgeblich über Pferde unterhalten, sich aber eigentlich über die Verfügbarkeit von Fräulein Karoline verständigen, müssen sie auch noch mit den Hüften Reitbewegungen vollführen. Und natürlich muss der Luftballon zum Schluss auch noch zum Platzen gebracht werden. Da gibt es einfach nichts zu sehen, was nicht der Text schon erzählt, und der ist, anders als die Drehbücher der Filme, eben schon bekannt.
Allein Katharina Schmalenberg bekommt als „Dem Merkl Franz seine Erna“ ein paar sehr hübsche komödiantische Ausreißer zugestanden – nach einer Szene muss man sich sogar fragen, ob eine Tuba vielleicht Bier trinken kann. Zu Recht wird Schmalenberg deswegen vom Premieren-Publikum am meisten gefeiert, doch das ist ohnehin sehr gutmütig gestimmt – hat es doch nichts vorgesetzt bekommen, was nicht erwartbar war.