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Archiv-Artikel

Handke im Stadtrecht

„Handke muss den Heine-Preis bekommen“, sagt der grüne Politiker Oliver Keymis. Und bezieht sich auf das Düsseldorfer Stadtrecht. Dort sei alles genau geregelt. Jedoch gibt es verschiedene Lesarten

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Weshalb diese Aufregung? Nach Auffassung des grünen Landtagsabgeordneten Oliver Keymis genügt im Getöse um die Vergabe des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises an den Dichter Peter Handke ein Blick ins Düsseldorfer Stadtrecht, um klar zu sehen. Dort steht: „Der Heine-Preis wird vom Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf aufgrund einer Entscheidung des Preisgerichts verliehen.“ Und an anderer Stelle heißt es weiter: „Das Preisgericht trifft seine Entscheidung unabhängig und endgültig.“

Für Keymis ist die Situation klar: „Wenn die Jury laut Stadtrecht ‚unabhängig und endgültig‘ entscheidet, muss der Preis an Handke vergeben werden“, sagt der Abgeordnete. Der Stadtrat habe sich ja der Entscheidungsfindung entledigt und sie in die Hände einer Jury gelegt. Deren Entscheidung nun kippen zu wollen, sei quasi eine Beleidigung der Jurymitglieder. „Lieber sollte man den offenen Diskurs suchen“, so Keymis zur taz.

Im Düsseldorfer Stadtrat wird das freilich anders gesehen. „Es kann ja wohl nicht sein, dass der Rat kein Mitspracherecht hat“, sagt die Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Annette Steller. Die Sozialdemokratin findet die Formulierung im Stadtrecht allerdings „zweideutig“. Bei der CDU wird indes nur noch von einer „Empfehlung“ der Jury gesprochen. „Der Rat hat das letzte Wort“, sagt ein Christdemokrat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Sonst bekomme ich ganz viel Ärger hier.“ Karin Trepke, Geschäftsführerin der grünen Ratsfraktion, sagt: „Über Satzungen kann man trefflich streiten.“ Der Einschätzung ihres Parteikollegen Keymis folgt Trepke aber nicht. Die Jury sei unabhängig, der Rat aber verleihe letztlich den Preis und müsse deshalb entscheiden.

Der Düsseldorfer Rechtswissenschaftler Martin Morlok liest das Stadtrecht ähnlich. Zwar sei die Satzung teilweise „schlampig gemacht“. Doch wie ein Gesetz im Ausschuss beraten, aber dann im Plenum verabschiedet werde, würden auch hier die gewählten Volksvertreter entscheiden.

Zwei Mitglieder der zwölfköpfigen Jury haben indes Konsequenzen gezogen. Seit der Österreicher Handke mit Zweidrittelmehrheit auserkoren wurde, entrüsten sich Politiker wie Feuilletonisten darüber, dass ausgerechnet ein Dichter den Preis erhalten soll, der wegen seiner Nähe zum serbischen Diktator Slobodan Milosevic umstritten ist. Weil immer mehr Details zum Juryentscheid bekannt wurden, sich gar einzelne Mitglieder vom gemeinsam unterzeichneten Votum distanzierten, haben am Donnerstag die Literaturkritikerin Sigrid Löffler und der Pariser Literaturprofessor Jean-Pierre Lefèbvre ihren Austritt aus dem Gremium bekannt gegeben: „Einer Jury, die nicht zu dem steht, was sie selbst beschlossen hat, wollen wir nicht mehr angehören“, schreiben die Ex-Juroren. Und stellen die Kompetenz der Jury in Frage: Fünf Autoren hätten zur Wahl gestanden. Etliche Juroren aber seien „unvorbereitet“ gewesen, hätten deren Bücher nicht gelesen. Die Satzung bezeichnen Löffler und Lefèbvre überdies als „schwammig“.