: Des Försters Albtraum
Der Asiatische Laubholzbockkäfer ist nicht wählerisch. Ob Ulme, Pappel, Ahorn oder Apfelbaum, die Larven des aus China eingeschleppten Käfers fressen alles. Um den Schädling zu bekämpfen, müssen alle befallenen Bäume vernichtet werden
VON BARBARA KERNECK
Der Asiatische Laubholzbockkäfer (ALB) ist wieder im Lande. Eigentlich in China und Korea zu Hause, wurde er in unseren Breiten seit dem Jahre 2000 als Mitfahrer in billigen Holzverpackungen für Granit, Eisenteile oder Steingut aus diesen Ländern gesichtet. Ende Mai fanden Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen zwei von ihm befallene Bäume in einer Baumschule in Oberhausen. Schon im vergangenen Herbst war das Insekt in der Region aktiv geworden, in Bornheim. Dort rückten die Mitarbeiter des Bauhofs der Stadt im Oktober rund 30 Bäumen mit Kettensägen und Scheiterhaufen zu Leibe. Bis heute suchen die Leute von der Landwirtschaftskammer auch dort nach neuen Spuren.
Ein Käfer also, und auf den ersten Blick ein flotter: zweieinhalb bis vier Zentimeter lang, schwarz glänzend, wie lackiert und mit unregelmäßig verteilten, dekorativen weißen Punkten auf den Flügeln. Aber ihn anfassen? Ein Blick auf seine Antennen, und man fühlt es auf der Haut kitzeln. Die Fühler sind schwarz-weiß gebändert. Bei den Männchen erreichen sie an Länge das Zweieinhalbfache des Körpers, also bis zu zehn Zentimeter.
Die offizielle Abkürzung ALB entspricht der Wirkung dieses Tieres auf das Gemüt von Waldschützern: ein Albtraum. Was das bei den befallenen Bäumen angerichtete Unheil betrifft, so ist im Vergleich zu diesem Superschädling die viel monierte Miniermotte das reinste Waisenkind. Sie schwächt die Bäume nur und beschränkt sich auf wenige Sorten. Die Larven des Asiatischen Laubholzbockkäfers haben dagegen einen unbändigen Appetit auf Weichholz generell: Ahorn, Ulmen, Weiden, Rosskastanien, Pappeln. Bisweilen versteigt sich das Insekt sogar auf Obstbäume, und damit ist die Liste noch lange nicht erschöpft. Die befallenen Bäume sterben vollständig ab. Sofern sie einen Weg oder eine Straße säumen, können sie gleich noch menschliche Passanten mit in den Tod reißen, wenn sie nämlich bei Sturm umstürzen.
Während viele deutsche Holzkäfer geschwächte Bäume bevorzugen, befallen die Asiatischen Laubholzböcke völlig gesunde. Eine Käfermutter dieser Spezies flattert im Hochsommer los, um sich einen Baum zur Ablage für ihre etwa 50 Eier zu suchen. Dann leistet sie Fressarbeit. Für jedes Ei nagt sie eine kleine Nische in die Rinde. Die Larve fräst sich ihren Weg erst unter der Rinde und schließlich vorwärts bis ins Kernholz des Baumes.
Dabei nimmt sie bis zur Verpuppung tief im Bauminneren im Laufe von etwa zwei Jahren die Ausmaße einer Garnele an, drei bis vier Zentimeter lang und einen Zentimeter dick. Entsprechend groß sind auch ihre Gänge im Baumholz, mit einem Durchmesser bis zu drei Zentimetern. Diese unterbrechen den Flüssigkeitsstoffwechsel des Baumes. Seine Säfte können nicht mehr steigen, erst welkt das Laub, dann vertrocknet das Holz. Außerdem sind die Bohrgänge Eintrittspforten für Fäulnispilze.
Die Abkürzung ALB, auch für den deutschen Namen gut tauglich, stammt ursprünglich aus dem Englischen. Der Asian Longhorned Beetle befiel 1996 den Central Park in New York. Sein Hauptangriff galt einem nationalen Heiligtum, dem Ahorn. Ohne seine sich feurigrot färbenden Blätter wären die Monate September und Oktober in Nordamerika nur noch ein schnöder Herbst, kein „Indian Summer“ mehr. Bis Ende vergangenen Jahres rodete man in der Metropole über 5.000 befallene Bäume. Denn schon bei den ersten Anzeichen von Befall helfen nur noch drakonische Methoden: die befallenen Bäume mit Stumpf, Stiel und Wurzeln aus der Erde ziehen und verbrennen. Die Bekämpfungsmaßnahmen in New York verschlangen bisher pro Jahr 3,5 Millionen Dollar. Der Wert der vernichteten Bäume ist kaum schätzbar.
Inzwischen hat sich der Käfer auch in Chicago und anderen nordamerikanischen Großstädten breit gemacht. Seine bisherige Vorliebe für städtisches Ambiente erklärt sich einmal aus der Nähe zu Häfen und Speditionen. US-Wissenschaftler hoffen, dass die weitläufigen Wälder verschont bleiben, da das zweifellos winterharte Insekt sich vermutlich nur bei viel Sonnenlicht wohl fühlt.
Im deutschsprachigen Raum hatte man vereinzelte Exemplare der Käfer seit der Jahrtausendwende auf Hafenarbeiterschultern und in Speditionsfuhren mit chinesischer Ware gesichtet. Häuslich nieder ließ sich das Insekt allerdings erstmals 2001 im österreichischen Braunau. Dort wurden 60 ALB-befallene Bäume gefällt und verbrannt. Dank eines dichtmaschigen Überwachungssystems mit Hilfe der Bevölkerung konnten die meisten bereits aus den Larvengängen geflogenen Käfer wieder eingefangen werden. Im Jahr 2004 waren nur noch fünf Bäume befallen. Dafür trat das Insekt nun in Bayern auf den Plan. In Neukirchen am Inn entdeckte ein Spediteur, der Granit aus China importiert, einige befallene Bäume auf dem Gelände seiner Firma.
Erfolgreich eindämmen ließ sich der Befall in Braunau und Neukirchen vor allem deshalb, weil der ALB kein guter Flieger ist. Das Weibchen der dort aufgetauchten Species Anoplophora glabripennis schafft im Leben maximal einen Kilometer. Noch flugfauler ist die eng verwandte Art Anoplophora chinensis, welche man jetzt in der Oberhausener Baumschule gefunden hat. Wie die Mitarbeiter der nordrheinwestfälischen Landwirtschaftskammer meinen, könnte sie dorthin am ehesten aus Oberitalien gelangt sein.
Mit chinesischen Bonsai-Gewächsen eingeschleppt, macht es sich diese Unterart in lombardischen Baumschulen schon seit einigen Jahren gemütlich. Ihre Weibchen steuern nur die erdnahen Teile der Baumstämme an oder nehmen gleich die nächste freiliegende Wurzel zur Eiablage. Ein Nachteil für uns Menschen: der Befall ist schwerer zu orten. Denn sehr dicht über dem Boden liegen dann auch die Ausfluglöcher mit etwa einem Zentimeter Durchmesser, welche die aus den Larven geschlüpften Käfer sich auf dem Weg ins Freie in die Baumstämme fräsen. Neben kleinen Häufchen von Spänen, „Genagsel“ genannt, sind sie oft erste Anzeichen für das Schädlingsunwesen.
Dank seiner Flugschwäche ist der Asiatische Laubholzbockkäfer für seine weitere Verbreitung geradezu darauf angewiesen, dass wir Menschen ihn zu neuen Weidegründen transportieren. Dies macht seine Abwehr für uns zu einem Heimspiel, bei dem es lohnt, sich auf die Tore zu konzentrieren. Für den Normalbürger gilt: Holzauge sei wachsam und melde alle Anzeichen für Erstbefall. Was aber die Zollbeamten betrifft, so haben sie neue gesetzliche Instrumente in die Hand bekommen. Schon 1999 stufte die EU-Kommission den Käfer als Quarantäneschädling ein und erließ neue Vorschriften gegenüber China.
Seit Frühjahr 2005 gelten weltweit im Rahmen der FAO (Food and Agriculture Organisation der UNO) Standards für pflanzengesundheitliche Maßnahmen. Ihnen zufolge müssen alle Holzverpackungen mindestens 30 Minuten lang einer Kerntemperatur von mindestens 56 Grad Celcius ausgesetzt oder mit Methylbromid begast worden sein. Beides tötet die Larven.
Bisher haben die Behörden allerdings kaum das notwendige Personal, um diese Vorschriften zu nutzen. So fordern die Experten von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig, dass Kontrolleure in allen europäischen Häfen die Feuchtigkeit der Hölzer messen. Bisher werden pro Jahr schätzungsweise 150 Stichproben unter mindestens 300.000 aus China eintreffenden Containern genommen. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Was die Einschleppmöglichkeiten für den Asiatischen Laubholzbockkäfer als blinden Passagier in chinesischen Holzverpackungen betrifft, so sind wir in der EU von beidem weit entfernt.