Bau auf, bau auf!

OLYMPIA Wer vor den Spielen durch Sotschi wandert, kann sich nur wundern: Wie wollen die nur fertig werden?

AUS SOTSCHI JÜRN KRUSE

Natürlich darf in Sotschi während der Olympischen Spiele demonstriert werden, verspricht das Internationale Olympische Komitee – in extra dafür eingerichteten Protestzonen, wie 2008 in Peking. Stark! Vielleicht können die Organisatoren dafür den Freizeitpark freigeben, der direkt neben den olympischen Sportstätten im Stadtteil Adler entsteht. Dann könnten die Demonstranten zwischen ihren Protesten mal die neue Super-Achterbahn „Bumerang“ testen, ins Ritterland gehen, abends im zaristischen Restaurant speisen und nachts im parkeigenen Cinderella-Hotelschloss schlafen. Der „Sochi Park“ wird bis zu den Spielen eh nicht fertig. Da kann doch ein kleines Pre-Opening mit Besuchern aus Ost und West nicht schaden.

Die Winterspiele in Sotschi sind längst zum Politikum geworden, in Russland schon seit der Vergabe 2007, nach der Wladimir Putin schnell klarmachte, dass alle Fäden bei ihm und seiner staatlichen Firma Olympstroy zusammenlaufen werden; und im Ausland spätestens seit der Verabschiedung des Gesetzes gegen die „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ im Frühsommer.

Die einen werden deshalb die Spiele boykottieren, die anderen schicken besonders ungern gesehene Gäste nach Sotschi: Die US-amerikanische Delegation wird dort begleitet von der lesbischen früheren Weltklasse-Tennisspielerin Billie Jean King und der lesbischen Eishockey-Olympiasiegerin Caitlin Cahow.

Sie dürfen sich auf Winterspiele freuen, wie sie die Welt so noch nicht gesehen hat. Nicht nur wegen der Investitionssumme von rund 40 Milliarden Euro, sondern auch, weil es die ersten Ski- und Rodel- und Curling- und Eislaufwettbewerbe mit Swimmingpools im Freien sein werden. Sotschi liegt auf der Höhe von Nizza – und ebenso wie an der Côte d’Azur kann es auch in Sotschi im Winter noch reichlich warm werden. Und auch wenn einige Nationale Olympische Komitees schon darum gebeten haben, die Pools doch bitte abzudecken, weil die jungen SportlerInnen mit den Möglichkeiten des nächtlichen Badens womöglich allzu sorglos umgehen könnten (Erkältung, Übermüdung etc.), zeigt es, dass die Macher in Sotschi wirklich an alles gedacht haben, um deutlich zu machen, dass der subtropische Ort hier unten am Schwarzen Meer nun wirklich gar nichts mit Winterspielen zu tun hat.

Wenn nächtens die vielen schönen Palmen am Straßenrand nicht zu sehen sind, leuchten künstliche Exemplare an den Laternenmasten auf der neu gebauten Schnellstraße zwischen Sotschi-Zentrum und Adler. Und auf großen Werbeplakaten springt eine junge Dame im Bikini auf einem Snowboard vom schneebedeckten Berg Richtung Palmen und Meer.

Immerhin hängen die Plakate schon, und die Palmen leuchten auch. Ansonsten fragt man sich, ob bei all der Winterspiele-im-Sommerkurort-Euphorie vergessen wurde, dass hier in ein paar Wochen alles fertig sein muss. Baustellen im Stadtzentrum, Baustellen in Adler, wo die Eishockey-, Eisschnelllauf-, Curling- und sonstige Arenen stehen, Baustellen in Kransnaja Poljana, wo Ski, Snowboard, Biathlon, Skispringen, Rodeln und Co. stattfinden werden. Wer durchs Olympische Dorf schlendert, watet durch Schlamm. Nahezu jede Straße in Sotschi-Zentrum ist aufgerissen worden. Die Straße nach Krasnaja Poljana ist noch nicht endgültig freigegeben, der Bahnhof am Olympiazentrum in Adler auch noch nicht. Wer zum Langlauf- und Biathlonstadion fährt, passiert so viele schwere Baugeräte, dass es unvorstellbar erscheint, dass irgendwo anders in Russland auch nur noch ein einziger Bagger steht. Wie soll das noch fertig werden? Allein das Aufräumen muss doch Monate dauern.

Aber es ist wohl wie immer: Am Ende ist die Sorge unbegründet, am Ende – im Februar – ist dann doch alles fertig. Die Sportstätten sind es ja eh schon. Und wie das Drumherum noch finalisiert wird, ist jeden Morgen und jede Nacht in Adler zu erleben. Morgens stehen die Arbeiter an den Kontrollposten Schlange, um auf die Baustellen zu kommen, Pässe und Zugangsberechtigungen werden scharf überprüft, Autos teilweise mit Hunden durchsucht und der Unterboden mit Spiegeln kontrolliert. Hochsicherheitsbaustellen, auf denen auch nachts lautstark gebaggert, geschaufelt und abgeladen wird. 24 Stunden durchgehender Betrieb. Alles für Sotschi. Alles für Putin.