: Da steht ein Bier auf der Straße, nimm es mit
LESEBÜHNE Radio Hochsee sendete wieder: Falko Hennig und Doc Schoko blickten am Wochenende in der Z-Bar auf das vergangene Jahr zurück. Sie erzählten über Jean Pauls Liebe zum Bier und Joachim Gaucks Gerührtsein vom eigenen Text
Seinen schönsten Text hat Falko Hennig in der „Hochsee-Post“, dem Reklame-Faltblatt der „Radio Hochsee Gala“, abgedruckt. Das kann man mit nach Hause nehmen. Es geht um die Wechseljahre des Mannes, die früher begännen als die der Frau, dafür aber länger dauerten. Falko erzählt von Bockwurstzipfeln, Heulattacken und Falten. „Und um den Eindruck zunehmender Wunderlichkeit nicht noch zu forcieren, habe ich den Gedanken wieder verworfen, Nasen- und Ohrenhaare miteinander zu Zöpfen zu verflechten, um eine neue Kotelettenmode zu kreieren.“
Seit ungefähr 15 Jahren gibt es Radio Hochsee jetzt. Genau weiß das niemand. Die verschiedenen Berliner Lesebühnen sind gerade in den Anfangsjahren dermaßen hin- und hermetamorphisiert, dass man schlecht sagen kann, wo eine Bühne aufhörte und die andere anfing. Wie Zellteilung unterm Mikroskop.
Im Unterschied zu den Surfpoeten oder der Reformbühne Heim&Welt veranstalten Falko Hennig und Poesie-Punk-Rocker Doc Schoko aber nicht nur Lesungen mit Musik, sondern Themenabende mit Gastexperten. Vor zwei Jahren war ich selber mal als Jurek-Becker-Expertin eingeladen, zusammen mit Beckers Witwe Christine. Es war ein grandioser Abend. Leider bestand das Publikum lediglich aus einer Handvoll Leuten. Aber darunter war der ehemalige Deutschlehrer von Becker. Jawohl! Ein etwa 95-jähriger Herr, der erzählte, dass er schon damals von dem Sprachgefühl des Schülers beeindruckt war. Ich schweife ab.
Jean Paul trank gern
Am Samstag und Sonntag begingen Falko Hennig und Doc Schoko in der Z-Bar ihren Jahresrückblick: Ihre Veranstaltung mit dem Thema „Jean Paul und das Bier“ sei sehr erfolgreich gewesen, erzählen die beiden. Falko sagt, der romantische Dichter Jean Paul sei ein derart großer Freund des Gerstensafts gewesen, dass er mitunter umgezogen sei, weil das Bier in einer anderen Stadt besser schmeckte. „Manchmal hat er sich mit Bier bezahlen lassen“, erzählt Falko. Viele unserer Kollegen machen das bis heute, denke ich. Danach singt Doc Schoko: „Da steht ein Bier auf der Straße / Nimm es mit! / Es ist alt und es ist schal, / doch es ist Sprit.“
Das Programm ist voll, rappelvoll kann man sagen. Auf Falko Hennigs Schimpfwortkolumne folgt ein Gedenkblock für Almut Klotz, Lou Reed und Wolfgang Herrndorf. Mit Letzterem hat Falko Hennig in der Schriftstellernationalmannschaft Fußball gespielt. Doc Schoko singt: „Berlin könnt ihr haben, mich kriegt ihr nicht!“ Und: „Ich würde doch niemals und nie / so eine dumme Melodie …“ Leider habe ich schon wieder vergessen, wie das Lied weiterging. Jedenfalls heißt es „Sing nicht“.
Dann liest Falko einen offenen Brief an Joachim Gauck vor. Darin heißt es: „Worte können sehr berührend sein. Wir Schreibenden kennen das. Besonders berührend sind oft die eigenen Worte.“ Später müssen wir lachen, weil Falko mit seinem Wahlplakate-Diavortrag nicht fertig wird. „Wenn ich nach acht Minuten nicht fertig bin, dann kannst du ja mal dezent husten“, hat er im Bewusstsein seiner Tendenz zum unendlichen Weiterquatschen zu Doc Schoko gesagt. Doc Schoko macht Geräusche wie ein Lungensanatorium, eh Falko zum Schluss kommt.
Zuletzt gucken wir noch eine Schlagerfernsehsendungscollage, die beim erschöpften Publikum ein Gefühlschaos aus Lachkrämpfen und Ekelschütteln hervorruft. Und ganz zuletzt singen wir alle zusammen „La Paloma“. Was für ein Hochseeabend!
LEA STREISAND