: Das Montagsinterview„Das Watt wird nicht untergehen“
Auch wenn der Meeresspiegel steigt: Das Wattenmeer wird bleiben, sagt der Chef des Wattenmeer-Büros in WilhelmshavenEBBE ODER FLUT Seit einem Jahr ist das Wattenmeer an der Nordsee Unesco-Weltnaturerbe. Verbessert habe sich seitdem nichts, sagt Jens Enemark, Chef des Wattenmeer-Büros von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden. Um die Veränderungen zu sehen, müsse man in längeren Zeiträumen denken
■ hat Geschichte und Politologie in Århus, Dänemark, studiert, ein paar Jahre als Lehrer gearbeitet und ist seit 1987 Leiter des gemeinsamen Wattenmeer-Sekretariats von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden mit Sitz in WilhelmshavenFoto: Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer
INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT
taz: Herr Enemark, vor einem Jahr wurde das Wattenmeer von der Unesco als Weltnaturerbe anerkannt. Was hat sich seitdem verbessert?
Jens Enemark: Nichts.
Nichts?
In einem Jahr verbessert sich kein Ökosystem im großem Maßstab. Da muss man in mindestens einer Generation denken. Wichtig ist: Man muss mit dem Schützen anfangen und es intensivieren, und das haben wir gemacht. Was sich geändert hat, ist die enorme Zustimmung und Stolz der Region über die Anerkennung.
Was ist denn an dieser schlickigen Einöde so besonders?
Das ist ein gängiges Vorurteil, man muss schon genau hinsehen. Es ist das größte zusammenhängende Watt weltweit. Bis zu 10.000 Tierarten von Bakterien über Fische und Vögel bis zu Schweinswalen und Kegelrobben leben dort. Diese Biodiversität ist so groß wie in tropischen Regenwäldern …
Also die Vielfalt der Arten und die Vielfalt innerhalb der einzelnen Arten?
Ja, es ist ein weltweit einzigartiges Ökosystem. Mehrere Hundert Arten sind endemisch, sie gibt es auf der ganzen Welt nur hier vor unserer Küste. Und die Schweinswale sind die einzigen heimischen Wale in der Nordsee. Das ist doch großartig.
Und Seehunde sind putzig, okay. Aber wozu sind Wattwürmer nutze?
Diese Frage stellt sich nicht. Die Wattwürmer sind eben da, sie gehören dahin, und sie erfüllen ihre Aufgabe im Ökosystem wie die anderen Arten auch, ob niedlich oder nicht. Ohne Würmer kämen viele Zugvögel nicht im Frühjahr und Herbst ins Watt. Es sind die ökologischen Zusammenhänge in dieser Übergangszone zwischen Land und Meer, die wir erkennen, begreifen und bewahren müssen.
Aber es scheint keine große Zukunft zu haben. Klimawandel und steigende Pegel bedrohen es. In 100 Jahren ist das Watt doch weg, oder?
Nein, bestimmt nicht.
Sie sind aber optimistisch.
Ich bin mir sicher. Der Pegel steigt, das ist unzweifelhaft. In 100 Jahren vielleicht 50 Zentimeter, die Pessimisten schätzen sogar einen Meter und mehr. Das führt zu Veränderungen, die Wattflächen werden abnehmen und sich verlagern. Die Frage ist sicherlich, ob das Watt mit dem Tempo des Klimawandels mithalten kann, aber es wird nicht untergehen. Auch noch nicht in 200 oder 1.000 Jahren.
Sonst würde es sich ja gar nicht lohnen, das zu schützen.
Unter diesem Aspekt kann man das nicht sehen. Das Watt ist ein Naturwert, keine Rubrik in einer Bilanz. Wie heißt es doch so schön? „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“ – die Hoffnung muss bleiben.
Wie schwierig ist es, die vielen unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bekommen? Drei Staaten, drei deutsche Bundesländer, Naturschutz, Industrie, Häfen, Hoteliers …
In den Details ist es immer kompliziert, im Grundsatz aber nicht. Nicht mehr. Wir sind einen langen Weg gegangen in den 25 Jahren, seit die Nationalparks im Wattenmeer gegründet wurden. Die heftigen Diskussionen waren in den 80er und 90er Jahren mit Fischern, Jägern, dem Küstenschutz, der Wirtschaft. Die Jagd ist größtenteils eingestellt und die Fischerei stark reguliert. Es gibt keine neuen Eindeichungen mehr im Watt, das war vor 30 Jahren noch fast undenkbar. Es gibt in vielen Bereichen einen breiten Konsens, das Prinzip des Naturschutzes stellt niemand mehr in Frage.
Aber es gibt Ausnahmen, so wie im Hamburger Wattenmeer-Nationalpark, der nicht Teil des Weltnaturerbes ist, weil Hamburg Probleme für seinen Hafen und die Elbvertiefung befürchtete.
Hamburg will seinen Anteil jetzt nachträglich anmelden bei der Unesco. Daran sieht man, dass die Überzeugungsarbeit gelungen ist. Aber Hamburg wird sich auch unabhängig davon anstrengen müssen, wenn es denn die nächste Elbvertiefung geben sollte, dass die Elbe dann kein Kanal wird, sondern ein noch lebendigerer Lebensraum als jetzt.
Hat Hamburg zu Unrecht befürchtet, der Titel Weltnaturerbe würde den Hafen gefährden?
Die Unesco hat erklärt, dass es keine Einschränkungen für die Hafenzufahrt geben wird, also ist das Thema erledigt und Hamburg kann sich ohne Angst um den Titel bewerben.
Dänemark hat das auch noch nicht getan.
Ja, da gab es heftige Diskussionen. Aber meine Landsleute wollen jetzt auch mitmachen bei der Bewerbung zum Weltnaturerbe.
Gab es da auch Befürchtungen seitens der Wirtschaft?
Das war überwiegend der Widerstreit zwischen der Region und der Regierung in Kopenhagen.
So wie damals in Schleswig-Holstein? Da sagten auch viele in Nordfriesland, die Politiker aus Kiel – von der Ostsee! – die haben doch keine Ahnung.
Ja, so ähnlich war es auch in Dänemark. Aber jetzt haben beide Seiten eingesehen, dass sie zusammenarbeiten müssen. Es geht nur im Dialog.
Sie sind Däne, verheiratet mit einer Niederländerin und arbeiten in Deutschland – die Personifizierung des trilateralen Wattenmeers?
Ach nein, aber es liegt mir schon sehr am Herzen. Ich bin an der dänischen Westküste aufgewachsen, nahe der Insel Rømø, so richtig verliebt in das Watt habe ich mich aber erst in den Niederlanden, als ich vor langer Zeit mit meiner Frau auf einer westfriesischen Insel war. Da fiel mir auf, das Watt hier sieht ja so aus wie das in meiner Jugend in Dänemark. Da fing die Faszination an.
Fällt es Ihnen durch die drei Herzen in Ihrer Brust leichter, mit allen Akteuren in den drei Ländern zu reden und sie zu überzeugen?
Das vielleicht schon. Ich kenne die kulturellen Eigenheiten, ich spreche alle drei Sprachen. Das macht mir die Arbeit sicher leichter. Es hat mich ja auch noch niemand vom Hof gejagt.
Sie sagen, durch den Titel Weltnaturerbe habe sich nichts verbessert. Was soll das dann alles?
Die Auszeichnung ist zunächst eine Belohnung für das, was bereits geschaffen und erreicht wurde, eine Anerkennung des Geleisteten. Das ist doch bei einem Bauwerk, das zum Weltkulturerbe ernannt wird, auch so. Und dann bedeutet es einen Imagegewinn für die gesamte Region und somit auch einen Anreiz für sanften Tourismus. Zugleich geht damit die Verpflichtung einher, diesen ökologischen Schatz zu hegen und zu pflegen.
Aber wenn das getan wird, muss sich doch die Situation verbessern?
Ja, wenn man einzelne Bereiche analysiert, lässt sich das oft belegen, aber diese Entwicklungen sind alle älter als ein Jahr. Die Einleitung von Schadstoffen aller Art ist deutlich zurückgegangen, es gibt mehr und größere Seegrasfelder und Salzwiesen. Viele Arten von Brut- und Rastvögeln nehmen im Bestand zu, bei den Seehunden ist er mit über 20.000 Tieren rekordverdächtig hoch. Andererseits gehen in einigen Gebieten aus noch unbekannten Gründen die Miesmuschelbänke zurück, der Schutz der Schweinswale ist ein wichtiges Thema, und bei einigen Strandbrütern gibt es deutliche Rückgänge.
Woran liegt das?
Überwiegend am Tourismus. Auch vorsichtige Menschen schrecken die Vögel häufig auf, das gefährdet den Bruterfolg.
Trotzdem sollen noch mehr Touristen ins Watt kommen?
Es wird keine signifikante Zunahme geben, darin sind wir uns auch mit den Tourismusverbänden einig. Es werden wohl neue Touristen kommen, auch aus dem Ausland, wegen des Titels Weltnaturerbe. Aber sie kommen wegen dieses hochsensiblen Naturraums, also besteht auch dort das Interesse, ihn zu bewahren. Tourismus und Naturschutz dürfen nicht in Konflikte geraten, sie sind Partner. Das muss zusammenpassen und sich gegenseitig verstärken.
Und die Küste verkraftet das?Ja. Absolut. Es muss aber naturverträglich sein, dafür müssen wir alle sorgen.
Und wie naturverträglich sind Ölförderung und Offshore-Windparks?
Die Ölförderung mit der Bohrinsel Mittelplate vor Dithmarschen ist ein Problem. Eigentlich darf in einem Weltnaturerbe keine Ressourcennutzung stattfinden. Aber die Konzession ist noch 30 Jahre gültig, es gibt Rechtsansprüche. Deshalb wurde die Mittelplate aus dem Naturerbegebiet ausgeschnitten. Das ist ein Problem, aber kein Grund, den großen Rest nicht zu schützen. Aber in der Perspektive muss das eingestellt werden.
Und die Offshore-Windparks?
Die Windparks stehen weit draußen außerhalb der Nationalparks, die sind kein Problem. Die Verlegung der Stromkabel zum Land muss aber deutlich verbessert werden. Da gibt es jetzt Auflagen, das ist vertretbar. Windkraft ist eine sanfte Energiegewinnung. Was eine ökologische Katastrophe ist, sehen wir ja im Golf von Mexiko.
Wie wird das Wattenmeer aussehen, wenn Sie in vier Jahren in Pension gehen?
Ich hoffe, es ist in einem besseren Zustand als ich es vor 23 Jahren vorgefunden habe.
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