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Archiv-Artikel

Die Linie 1 fährt in den Ruhestand

JUGENDTHEATER Lange war das Grips Theater mit seinem Gründer Volker Ludwig identisch. Der hat am Montag seinen Nachfolger Stefan Fischer-Fels vorgestellt. Ob der es schafft, mehr als ein Traditionsbewahrer zu werden?

„Man wünscht sich für das Grips, dass Stefan Fischer-Fels doch ein paar neue Farben einbringen kann“

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das sieht erst mal aus wie eine perfekte Geschichte von Vater und Sohn. Am Montag hat Volker Ludwig, Theaterautor und Gründer des Grips Theaters, seinen Nachfolger für die künstlerische Leitung ab der Spielzeit 2011/2012 vorgestellt: Stefan Fischer-Fels ist selbst schon mit Gripswasser getauft. Zehn Jahre lang war er hier Dramaturg. Dass er danach das Junge Schauspielhaus Düsseldorf zu einem erfolgreichen Jugendtheater mit 300 Vorstellungen im Jahr und fünf Premieren pro Spielzeit gemacht hat, kommentiert der 46-Jährige so: „Ich habe da nur das Konzept, was mich am Grips so überzeugt hat, ausgebaut. Und Theater für die Bedürfnisse der Zuschauer gemacht.“

Klar, dass Volker Ludwig, inzwischen 73, das behagt, seine eigenen Worte aus dem Munde eines jüngeren Mannes zu hören, der in seinen sieben Düsseldorfer Jahren schneller Preise gewonnen hat als Ludwig in seinem langen Leben. Ganz los lässt Ludwig sein Haus aber nicht. Er bleibt Geschäftsführer und steht als Theaterautor weiter zur Verfügung. Vor seinem Nachfolger stellte er den Spielplan seiner letzten Spielzeit vor. In der findet man alles wieder, was das Grips bisher ausgezeichnet hat. Dass ihn selbst diese Routine auch ein wenig müde macht, glaubt man inzwischen schon.

Der letzte der vielen Preise, die Ludwig in seinem Gripsleben bekommen hat, war der Friedrich-Luft-Preis, verliehen von der Berliner Morgenpost. Auf alte Feindschaften ist eben kein Verlass mehr. Es ist lange her, dass die Springerpresse das aus linken Kabarettgruppen herausgewachsene Grips Theater als politisch verdächtig bekämpfte. Den Preis bekam er im März für „Linie 2, der Alptraum“, in dem Ludwig selbstironisch auf seine Mission zurückblickt. So lange hat er dafür gekämpft, die Welt als veränderbare in den Herzen der Kinder zu verankern, und was kommt dabei heraus? Tommy, der Kindertheatermacher auf der Bühne, fragt ratlos: „Woher kommt das eigentlich, dass die Menschen ihren Arsch nicht hochkriegen, obwohl sie Bescheid wissen?“

Volker Ludwig hat nicht nur das Grips in Berlin erfunden, sondern damit auch eine internationale Bewegung von Kinder- und Jugendtheater angestoßen. In mehr als vierzig Ländern wurden Gripsstücke nachgespielt. „Das ist ein für ein Theater einzigartiges internationales Netzwerk“, sagt Stefan Fischer-Fels bewundernd und sieht es als Bestätigung für das Grips-Konzept.

Unterhaltend muss es sein, ob es nun um Leistungsdruck und Mobbing in der Schule geht, um Jugendgewalt, Rechtsradikale, Migration oder Vertreibung im Nationalsozialismus. Das Appellative bewirkte bisweilen auch eine kleinteilige Verengung.

Deshalb ist nun die interessante Frage: Schafft es Stefan Fischer-Fels, mehr als ein Traditionsbewahrer zu werden. Vorsichtig formuliert er den Wunsch, mit Autoren, Regisseuren und Schauspielern einer Generation um die dreißig mehr Spielweisen zu entwickeln, die „das Grips-Konzept interpretieren“.

Er übernimmt, und das war vermutlich kein einfacher Punkt des gestern unterschriebenen Vertrags, auch das Gremium der Mitbestimmung, hat sich aber ausbedungen, dass das neue Ensemble auch Stimmen erhält.

Nun gehören perfekte Vater-und-Sohn-Geschichten zu den langweiligsten, die man sich denken kann – und man wünscht sich für das Grips, dass Stefan Fischer-Fels doch ein paar neue Farben einbringen kann.

Schaut man sich das Repertoire in Düsseldorf an, fällt zumindest auf, dass der literarische Horizont weiter aufgespannt ist. Lewis Caroll, Hans Christian Anderson, Frank Wedekind, Hermann Hesse kommen vor, und auch die Formen der Recherche und der Zusammenarbeit mit Jugendlichen sind etwas weiter gefasst.

In Düsseldorf übrigens bedauert man die Rückkehr von Fischer-Fels nach Berlin. „Was für ein riesiger Verlust für alle Kinder und Jugendlichen in Düsseldorf“, sagt etwa Bertram Müller, Leiter des Tanzhaues NRW. Denn das Junge Schauspielhaus hatte sich auch dem Tanz und Tanztheater geöffnet, ebenso wie dem Objekttheater und der Improvisation. In Berlin sind alle diese Gattungen auf verschiedene Träger verteilt. Doch gerade aus ihrem Nebeneinander könnte jener Funke entstehen, der auch dem Grips wieder mehr Schwung verleihen könnte.

In seiner Zeit am Grips hat Stefan Fischer-Fels den notwendigen Kontakt zu den Schulen aufgebaut, denn damals musste sich das Grips zum ersten Mal Sorgen um sein Publikum machen; zunehmender Leistungsstress nahm den Lehrern die Lust, einen Tag in einen Ausflug ins Theater zu investieren. Das Feld wird auf jeden Fall weiter zu beackern sein: die Politik dazu zu bringen, den Schulen genügend Raum zu lassen, um Theater, Film, Kunst und Musik einzubeziehen. Auch in dieser Hinsicht weiß Volker Ludwig sein Lebenswerk in guten Händen.