: Der Mann mit der Sprühschablone
STREETART Bronco ist nachts unterwegs, um Hausfassaden zu gestalten. Er klebt Plakate mit lakonischen, rätselhaften Slogans. Seine Signatur: die einfache Arial-Schrift, Großbuchstaben und fehlende Punzen
VON STEFAN OTTO
Bronco sitzt auf einem Postkasten und lässt die Passanten auf dem Gehweg an sich vorbeiziehen. Die Brückenstraße unweit des U-Bahnhofs Heinrich-Heine-Straße ist laut, die Häuser sind unsaniert und alles andere als schick. Jemand hat auf eine Brandmauer ein Farbei geschmissen. Bronco achtet auf solche Details. Hausfassaden sind seine Spielwiesen, Aktionsflächen für urbane Straßenkunst.
„Graffiti sind ja überall, wie ein Grundrauschen auf den Wänden“, sagt er. Doch neben dem Dosensprühen kamen in den letzten Jahren eine Reihe neuer Techniken hinzu: Die einen kleben Styroporbuchstaben; die anderen schießen Paintballpatronen auf die Fassaden, so dass pointillistische Muster entstehen. Bronco plakatiert. Er kleistert große, schlichte Poster mit seinen Sprüchen auf die Wände; sie sind ein lakonischer Spott auf die Welt.
Ungezähmtes Pferd
Der Mittdreißiger erlebt die Stadt wie ein Flaneur und kommentiert, was ihm in den Sinn kommt. Am Ostkreuz ahnt er bereits, dass der neue Bahnhof einmal die Proportionen sprengen wird. Die Brücken schneiden die Sicht auf umliegende Gebäude ab, der Wasserturm wird von einer Bahntrasse eingebaut. Auf der Metallplatte in einer Fensteröffnung des maroden Nachbarhauses plakatiert er: „Man tut, was man kann“, in Großbuchstaben, darunter steht sein Name. Langsam wird das Haus von einer olivgrünen Lärmschutzwand eingebaut. Auf einem weiteren Poster steht: „Muss ja, muss ja.“
Streetart zählt gemeinhin nicht zu den hohen Künsten. Bronco kümmert sich nicht um den schlechten Ruf. Er trägt Jeans und Turnschuhe, kein Künstlerschwarz. Er verweist darauf, dass junge Streetartisten einst Pioniere in den runtergekommenen Altbauvierteln waren. Zusammen mit den Studenten zogen sie in die billigen Wohnquartiere, in die sonst niemand wollte. Viertel, in denen die Arbeitslosigkeit grassierte und wo die Eckkneipen mit ihren vergilbten Gardinen ebenso zum Alltag gehörten wie die rauchenden Männer im Unterhemd am Fenster. Urbane Kunst brachte den Tapetenwechsel; die Straßenzüge wurden salonfähig.
Als Bronco vor vier Jahren seine ersten Plakate klebte und einen Künstlernamen brauchte, dachte er nicht viel darüber nach. Er sollte „nach einem festen Händedruck“ klingen, während im Gegensatz dazu seine Slogans emotional sind. „I feel strange when my 11 year old sister dances like Shakira in front of my stepfather“ – das war einer seiner ersten Sprüche. Es folgten Dutzende weitere. „Bronco“ ist im Amerikanischen ein Ausdruck für ein ungezähmtes Pferd. Mittlerweile ist sein Pseudonym bekannter als sein Name im Pass.
Ohne Bedeutung
Broncos Plakate betonen das Selbstgemachte; er verwendet immer die einfache Arial-Schrift. Bei den Buchstaben fehlen die Punzen, die Innenräume der bauchigen Lettern, das ist der Sprühschablone geschuldet, mit denen er die Poster beschriftet. Die schlichte Machart soll das Augenmerk auf den Inhalt lenken. Dennoch pflegt Bronco seinen eigenen Stil und wählt die Orte für seine Plakate mit Bedacht aus.
Denn die Pionierzeiten für Streetart sind längst vorbei, in den Kiezen überlagern sich Farben und Figuren auf den Wänden. Urbane Kunst hat sich etabliert, und Bronco stellt fest, dass sie auch einen anderen Charakter angenommen hat: „Gestern war die Sprühschablone, die einen Soldaten mit Gasmaske zeigt, noch sozialkritisch, heute hat der Inhalt an Bedeutung verloren“, sagt er ohne Wehmut. Straßenkunst könne ohnehin keine Lösungen anbieten, für die müsste man an anderer Stelle hart arbeiten.
Streetart ist Pop geworden und gehört in Berlin zum Flair der Stadt. Dabei sind Farbsprühereien nach wie vor eine Straftat, das Plakatieren wird wie Falschparken geahndet. Bronco behauptet dennoch, dass urbane Künstler längst nur noch scheinbar Outlaws seien. „Wir alle spielen halt nur eine Rolle in einer sich unheimlich schnell verändernden Stadt.“
In Friedrichshain, wo er lebt, wurde zuletzt ein Altbau nach dem anderen saniert. „Neue Spätis und Kneipen haben hier im Minutentakt eröffnet. Kaum etwas ist mehr natürlich gewachsen.“ Solche Beschreibungen sind typisch für ihn. In seinem Kiez mache es gerade keiner keinem recht, findet er. Dabei wünscht er sich nichts sehnlicher als ein bisschen mehr Gelassenheit.
Ein paar Tage später war er nachts mit einem Freund unterwegs. Vier Plakate haben sie aufgehängt. Auf Türkisch und in Neukölln. Der Migrantenkiez ist nicht gerade eine Hochburg für Streetart. „Hätte uns jemand gefragt, was wir da kleben, hätte ich sagen müssen: Moment mal, ich muss erst mal auf den Zettel gucken.“ Er spricht kein Türkisch und hat sich die Slogans übersetzen lassen, in dieser Serie war der Shakira-Spruch auch dabei. Bronco will mit dieser türkischen Plakatserie herausfinden, ob Streetart auch jenseits einer Subkultur ankommt.
Ihm fehlten allerdings die Kontakte zur türkischen Community, deshalb war es schwierig für ihn, überhaupt einen Übersetzer zu finden. Er merkte, wie separiert Berlin ist. „In dem Club ‚Monarch‘ am Kottbusser Tor siehst du keinen türkischen Rapper. Die haben da nichts verloren. Jeder kocht halt seine eigene Suppe, und man lässt sich in Ruhe.“
Am Tag, nachdem er die Plakate geklebt hatte, fuhr er noch einmal daran vorbei, um sie zu fotografieren. Für all jene, die nicht nach Neukölln kommen, hat er ein Fotoalbum bei Flickr angelegt. Losgelöst vom Putz und Mauerwerk bekommt seine Arbeit eine digitale Facette. Bronco folgt dem Trend in der urbanen Kunst, sich auch im Internet zu präsentieren.
Verträgliche Subversion
Das dürfte nicht nur der Polizei gefallen, sondern auch den Werbeagenturen der weltweit operierenden Sportausrüster. Sie beobachten seit einiger Zeit die Szene und suchen nach einer kreativen Straßenatmosphäre für ihre jugendliche Zielgruppe. Bronco kennt die Entwicklung: „Die Agenturen wollen Streetart nur weichgespült“, sagt er: „Sie brauchen das Gefühl, da rüttelt wer am System, aber bitte nur symbolisch. Was übrigbleibt, sind Abziehbilder, ein Look der Straße mit Klecksen und witzigen Characters.“ Er nennt das „Subversionsfetischismus“.
Der lässt sich auch auf die Kieze übertragen. Von den wilden Anfängen, als die Viertel entdeckt wurden, bleibt nicht mehr viel übrig. Bronco malt einen Abgesang aus: „Am Ende reichen ein paar schöne, legale Wandbilder als Relikte völlig aus, um den Anwohnern dieses angenehme kreative Feeling zu vermitteln.“ Es sei naiv zu glauben, dass den anarchischen Künstlern, die einst die Viertel mitentdeckten, nachgetrauert werde.
Die Szene ist weitergezogen. Bronco sieht diese Entwicklung; er kennt einige Künstler, die geblieben sind, andere haben kommerziellen Erfolg. An ihm ging dieser Hype bis jetzt vorbei; bislang wollte noch keine Firma mit seinen Arbeiten werben. Unglücklich ist er nicht darüber.
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