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Archiv-Artikel

Ein Prozent Unordnung

1968 machten sich zwei Künstler auf, Kunst mit dem Computer zu erzeugen. Die Ergebnisse sind derzeit in der Bremer Kunsthalle zu sehen. Sie schicken den Betrachter zurück in eine Zeit, in der Computer noch ganze Räume füllten

Dabei entstanden Bilder, die einen heute an Bildschirmschoner erinnern. Oder an Unterwasserpflanzen

von Jan Zier

Die rote Linie ist reichlich verpixelt, aber das soll wohl so. Zu schier endlos aneinander gereihten Vierecken verschachtelt, schwankt sie zwischen totaler Unordnung und perfekter Ordnung. „Eine Linie, Mäander nach Erdbeben“ nennt sich dieses Werk von Vera Molnar, momentan empfängt es einen in der Bremer Kunsthalle. Ein Computerdruck auf Leinwand – und genau darauf kommt es in diesem Falle an.

Was hier hängt ist: Computerkunst. Eine junge Kunstform zwar, doch das Wort „zeitgenössisch“ benutzt man an dieser Stelle nur sehr ungern. Denn was die Bremer Kunsthalle derzeit in zwei parallel laufenden Ausstellungen zelebriert, ist eher eine Archäologie der digitalen Bildverarbeitung. Sie geht zurück in Zeiten, in denen Computer noch ganze Räume füllten und grafische Benutzeroberflächen noch ein Fremdwort waren.

1968 war das, als Vera Molnar und der ebenfalls mit einer kleinen Werkschau gewürdigte Otto Beckmann erste Computerarbeiten schufen. Unabhängig voneinander, wie sich auch dem Ergebnis entnehmen lässt. Molnar huldigt der Ästhetik exakt gedruckter, indes einfacher geometrischer Formen. Eine Computergrafik „ohne Titel“, noch ohne die durchdachte Ordnung ihrer späteren Werke.

Otto Beckmann hingegen bedient sich in seiner ersten Computergrafik eher amorpher Strukturen und architektonischer Silhouetten. Entfernt erinnern sie an den analogen Oszillographen, mit dessen Hilfe sie entstanden sind. Über die Genauigkeit einer herkömmlichen Zeichnung reichen sie jedoch kaum hinaus. Bei Beckmanns „Elektronischer Computergrafik“ handelt es sich vielmehr um ein abfotografiertes Monitorbild, übertragen auf eine Aluminiumdruckplatte. Kurvenschreibern, wie sie Molnar und andere Pioniere der digitalen Kunst verwendeten, mochte sich Beckmann nicht bedienen.

Für ihn verbat sich das, denn seine Computerkunst entsprang einem eher barocken Gedanken. Beckmann wollte die Künste wieder vereinen und verstand sich darin als Anhänger der Ideen des Bauhauses. Von einer möglichen Synthese von Kunst und Technik überzeugt, arbeitete Beckmann an einer Umsetzung dieser Visionen – mittels des Computers. Dabei entstanden Bilder, die einen heute an Bildschirmschoner erinnern. Oder an Unterwasserpflanzen. Dazu Plastiken, ebenso wie Filme oder futuristische Architekturszenarien.

Sogar vor E-Gedichten machte seine Computerkunst nicht halt: „Autopoem“ nennt sich etwas, was mit Hilfe eines 200 Begriffe umfassenden elektronischen Wörterbuches entstand – und eben einer Rechenmaschine. Heraus kamen Sätze wie diese: „Alle zierlichen Haine sprechen“, heißt es da etwa in Autopoem Nummer 83, und: „Morgen ist ein Glück groß“. Auch „Sinn ist fern“ steht da zu lesen. Wie passend. Aber schließlich war Beckmann ja auch gelernter Bildhauer.

Und weil das so war, suchte sich der 1908 in Wladiwostok geborene Wahl-Österreicher schon alsbald den Expertenrat. 1966 gründete er sogar eine eigene Kommission, ganz für sich alleine: die „Experimentalarbeitsgruppe ars intermedia“. Ein Beratergremium, überwiegend mit Ingenieuren besetzt, darunter auch Beckmanns Sohn Oskar.

Der war es auch, der 1970 den ersten Kunstcomputer in Szene setzte, den a.i.70. Ein Gerät, das zwar nur einen sehr kleinen Bildschirm besaß, dafür aber unzählige Regler, Schalter und Messanzeigen. Es war dies der wohl einzige Computer weltweit, der zu rein künstlerischen Zwecken gebaut war. Er sollte den „Echtzeit-Dialog zwischen Künstler und Maschine“ bewerkstelligen, sprich: ganz ohne langes Warten auf ein mögliches Ergebnis auskommen. Ein Ergebnis allerdings, dass abfotografiert werden musste. Von einem angeschlossenen Drucker konnte ja auch noch keine Rede sein.

Der a.i.70 wurde, was er bis heute ist: ein Kuriosum. Nachahmer fand er keine. Und außer Otto Beckmann selbst konnte ohnehin keiner so recht ein Bild damit erzeugen. Selbst Oskar Beckmann sagt heute, ihm sei das „nie geglückt“. Vom Vater ist zumindest ein so genannter „3D-Entwurf“ überliefert – etwas, was einmal eine Plastik hätte werden können oder sollen. Er hängt heute ebenfalls im alten Kupferstichkabinett der Bremer Kunsthalle: Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die einem Lichtspiel gleicht, etwas länger belichtet.

Vera Molnar, die sie heute die Grande Dame der Computerkunst nennen, traute dem Computer viel weniger zu als ihr männlicher Kollege. Für sie war er nicht mehr als ein Werkzeug, das die Arbeit erleichtert. Insbesondere dann, wenn man sich, wie Molnar, auf die Ästhetik geometrischer Formen versteift hat, „auf die Logik der Quadrate“. Der Computer gilt ihr nur als „ein sehr guter Assistent. Aber er ist ein bisschen dumm, man muss ihm viel erklären.“

Versucht hat sie das 1968 trotzdem: Als erste Künstlerin und einzige Frau bekam sie im Forschungslabor des französischen Computerherstellers Bull Zugang zu einem Großrechner eingeräumt. Zuvor hatte sich die gelernte Künstlerin die Programmiersprache Fortran angeeignet, sowie später das auch vom Commodore C 64 bekannte Basic. „Damals hatten die Männer alle das Gefühl, ich sei ein wenig verrückt“, erzählt die heute 82-jährige Französin ungarischer Herkunft. Feindlich sei man ihr nicht begegnet, versichert sie. So war das 1968.

Und so wohnte Molnars digitaler Kunst zugleich etwas von dem damaligen Befreiungsideal inne: Der Computer galt ihr als ein „Wundergerät“. Was für ein Wunder das sein sollte, war ihr auch klar: Die Emanzipation der Kunst von der klassischen Malerei. Schon 1959 ersann sie eine „machine imaginaire“, die nach selbst erdachten Algorithmen Bilder schuf. „Ich stellte mir vor, ich hätte einen Computer. Ich entwarf ein Programm und realisierte einfache, begrenzte Serien, die aber in sich geschlossen waren, also keine Farbkombination ausließen.“

Wenn bei Molnar von Computern die Rede ist, dann ist Ordnung gemeint. Formale Strenge also, und mathematische Präzision. Nur ein Prozent Unordnung braucht ein Bild, will sie einmal errechnet haben. Nicht mehr, nicht weniger. Ein Bild, besagt ihre Philosophie, ist umso schöner, je ordentlicher es ist. „Nur die Natur kann sich Verschwendung in allem erlauben“, zitiert sie Paul Klee. „Der Künstler aber muss bis ins Letzte sparsam sein.“

Doch während Vera Molnar 2005 den mit 20.000 Euro dotierten Preis für digitale Kunst entgegennahm, war selbige für Otto Beckmann nicht mehr als eine kurze Episode. Ende der Siebziger schon wendet er sich von seiner Computervision ab – um fortan dem Naturmystischen zu verfallen. Und Fundstücke aus dem Wald zu sammeln.

Vera Molnar: „monotonie, symétrie, surprise“ – bis 13. August in der Kunsthalle Bremen. „Otto Beckmanns Kunstcomputer und die Anfänge der Computerkunst – bis 3. September im Kupferstichkabinett der Kunsthalle