Schlupflöcher im Vertragstext

RÜSTUNG Deutschland hat das Abkommen ratifiziert. Dennoch plant die Bundeswehr den Einsatz angeblich sicherer Streumunition

VON ANDREAS ZUMACH

Am Sonntag tritt die internationale Konvention über ein Verbot von Streumunition in Kraft. Doch die zügige Umsetzung ihrer Bestimmungen ist gefährdet. Denn die dafür erforderlichen Finanzmittel wollen viele Regierungen – darunter die Berliner Koalition – unter Verweis auf die angespannten öffentlichen Haushalte nicht bereitstellen.

Die Aushandlung und Unterzeichnung der Konvention im Dezember 2008 – durchgesetzt gegen den Willen der großen Mächte USA, China, Russland und Indien wie auch der deutschen Rüstungsindustrie – war ein großer Erfolg der Cluster Munition Coalition (CMC). Zu dieser weltweiten Koalition von rund 1.000 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gehört in Deutschland das Aktionsbündnis Landmine – bestehend aus Handicap International, Brot für die Welt, medico international, Caritas und Unicef.

Im Jahr 1997 hatte die CMC bereits das Verbot von Antipersonenminen durchsetzen können. Die am Boden verlegten Antipersonenminen und die per Flugzeugbomben, Raketen oder Artilleriegranaten verschossene Streumunition gehören zu den grausamsten und heimtückischsten aller modernen Waffensysteme, weil ein hoher Prozentsatz im unmittelbaren Kriegseinsatz nicht explodiert und zahlreiche Blindgänger auch noch Jahre später töten und verstümmeln. Opfer sind zu 98 Prozent Zivilisten.

Die Vertragsstaaten der Streumunition-Konvention müssen ihre eigenen Bestände innerhalb von acht Jahren vernichten. Doch die dafür erforderlichen Finanzmittel wollen viele der 107 Staaten, die die Konvention Anfang Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet hatten, zumindest derzeit nicht aufwenden. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass von den 107 Unterzeichnerstaaten bis heute erst 38 die Konvention ratifiziert haben und so zum Vertragsstaat wurden.

Diese ungewöhnlich hohe Diskrepanz fällt auch in Europa auf. Zwanzig der 27 EU-Staaten haben unterzeichnet, davon haben aber nur Deutschland und sechs weitere Länder bis heute die Konvention auch ratifiziert. Hinzu kommen die sieben EU-Mitglieder Finnland, Polen, Griechenland, Rumänien, Slowakei, Estland und Lettland, die erst gar nicht unterzeichnet haben. Sie halten Streumunition – zum Teil mit Verweis auf eine angebliche Bedrohung durch Russland – weiterhin militärisch für unverzichtbar, und/oder ihre nationale Rüstungsindustrie macht – wie im Fall Polen – mit der Munition noch einträgliche Exportgeschäfte.

Über die Vernichtung der eigenen Bestände hinaus müssen die Vertragsstaaten der Konvention andere Länder, auf deren Territorium Streumunition eingesetzt wurde, bei der Räumung der Blindgänger unterstützen. Doch unter dem in Deutschland und in fast allen anderen 37 Vertragsstaaten verordneten Spardruck werden die Budgets für Munitionsräumung und Opferhilfe nicht nur nicht in dem für eine zügige Umsetzung der Konvention erforderlichen Ausmaß erhöht, sondern sollen sogar gekürzt werden. In Berlin werden entsprechende Absichten im Außenministerium, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie im Haushaltsauschuss des Bundestags bestätigt.

Sorgen bereiten dem Aktionsbündnis Landmine auch die Schlupflöcher der Konvention für angeblich sichere und ungefährliche Streumunition, die bei den Vertragsverhandlungen ganz wesentlich von der Bundesregierung durchsetzt wurden, im Interesse der deutschen Rüstungsindustrie. Noch in diesem Jahr will die Bundeswehr die von der Nürnberger Rüstungsfirma Diehl entwickelte Streumunition „Smart 155“ in Afghanistan einsetzen. Sie wird verschossen mit der von der Düsseldorfer Rheinmetall hergestellten Panzerhaubitze 2000. Dabei werden pro Ladung innerhalb weniger Sekunden zwölf Artilleriegranaten abgefeuert – mit jeweils „nur“ vier Stück Submunition, welche angeblich mit „99-prozentiger Sicherheit“ sofort explodiert. Exakt diese technische Spezifikation für Ausnahmen aus dem Streumunitionsverbot setzte die Bundesregierung seinerzeit im Auftrag von Diehl und Rheinmetall durch. Diehl hatte im letzten Jahr vergeblich versucht, die Bezeichnung „Streumunition“ für die „Smart 155“ gerichtlich verbieten zu lassen.

Ein weiteres Schlupfloch enthält auch das im Juni 2009 in Kraft getretene Ratifikationsgesetz des Bundestags zur Streumunitionskonvention und die damit verbundene Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG). Das Gesetz verbietet die Herstellung von Streumunition lediglich auf deutschem Boden. „Grundsätzlich bleiben deutsche Hersteller von Streumunition unbehelligt, wenn die ihre Produktion in einen Nichtvertragsstaat verlagern“, kritisiert Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine. Das Bündnis hat den Bundestag aufgefordert, entsprechend Artikel 1 der Konvention ein ausdrückliches Verbot von Investionen in die Produktion von Streumunition zu beschließen, wie es in Belgien, Irland, Luxemburg und Neuseeland bereits existiert. Denn derzeit verdienen in Deutschland sechs Finanzdienstleister (Deutsche Bank, Commerzbank, Bayerische Landesbank, Allianz, WestLB und Union Investment) durch Investionen, Beteiligungen, Anleihen und Kredite an Herstellung und Vertrieb von Streumunition.