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Archiv-Artikel

Hölle im mexikanischen Gefangenenbus

Bei einem Polizeieinsatz in dem Dorf Atenco misshandelten Beamte die Festgenommenen. Frauen wurden vergewaltigt. Jetzt muss sich die deutsche Justiz mit dem Fall befassen. Eine abgeschobene Fotojournalistin erstattete in Berlin Strafanzeige

AUS MEXIKO-STADT WOLF DIETER VOGEL

Ein brutaler Polizeieinsatz in Mexiko wird nun auch die deutsche Justiz beschäftigen. Anfang der Woche stellte die Fotojournalistin Samantha Dietmar bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen bisher unbekannte mexikanische Polizisten. Die Berlinerin war am Morgen des 4. Mai 2006 während eines Großeinsatzes von Sicherheitskräften in der Gemeinde San Salvador Atenco festgenommen und nach eigenen Angaben schwer misshandelt worden. Zudem habe man ihr Tasche samt Geld, Reisepass und teurem Fotomaterial abgenommen. Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck wirft den Polizisten Freiheitsberaubung, Körperverletzung, sexuelle Nötigung und Raub vor.

Zu der Polizeiaktion war es gekommen, nachdem Beamte versucht hatten, ambulante Blumenhändler in der Kleinstadt Texcoco zu vertreiben. Es entwickelte sich eine Straßenschlacht, an der Bewohner aus der Nachbargemeinde Atenco beteiligt waren. Die Polizei ging hart vor. Die Aktivisten verteidigten sich mit Macheten, Molotowcocktails und Steinen. Bei den Kämpfen starb ein 14-jähriger Junge durch eine Polizeikugel, ein Demonstrant erlag einen Monat später seinen Verletzungen. In der Nacht reisten Unterstützer aus Mexiko-Stadt an. Am nächsten Morgen stürmten 3.000 Polizeibeamte das Dorf. Viele Menschen wurden verletzt, über 200 Personen festgenommen. Auch Samantha Dietmar war aus der Hauptstadt gekommen. Kaum habe sie ihr Hotel verlassen, sei sie festgenommen worden. Ihr internationaler Presseausweis habe die Beamten nicht interessiert. Sie sei zu einem Gefangenenbus geführt worden, berichtet die Fotografin: Dann „begann die Hölle“. Menschen hätten stöhnend im Bus gelegen, alles sei blutig gewesen. Die Polizisten hätten mit Schlagstöcken auf die Festgenommenen eingeschlagen. „Ich spürte Hände an Gesäß und Rücken, die versuchten, mir mein Oberteil auszuziehen.“ Später habe man ihre Brüste betatscht. Andere berichteten von Vergewaltigungen. „Wir wurden mit Fingern und Gegenständen penetriert, andere wurden gezwungen, oralen Sex zu vollziehen“, schreiben Frauen in einem gemeinsamen Brief.

Die Vorwürfe sind mehrfach bestätigt. Der mexikanische Menschenrechtsbeauftragte José Luis Soberanes legte mehr als 200 Klagen vor, darunter 23 wegen sexueller Übergriffe. Die Internationale Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte fordert die Freilassung der Gefangenen und die Amtsenthebung der Beamten.

Mexikos Präsident Vicente Fox bestätigte der taz, die Verantwortlichen würden bestraft, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Anfang Juli stellte Generalstaatsanwalt Abel Villicaña Estrada jedoch alle Ermittlungen ein. „Es gibt keine zwingenden Beweise dafür, dass Sicherheitskräfte an den vermeintlichen Vergewaltigungen beteiligt waren“, erklärte er.

Dietrich und vier weitere ausländische Beteiligte wurden abgeschoben. Nach ihrer Anzeige in Deutschland müssen sich die mexikanischen Strafverfolger wieder mit den Vorwürfen befassen. Auch in Mexiko geben sich nicht alle mit der Entscheidung Villicañas zufrieden: Die Staatsanwaltschaft für Gewaltdelikte gegen Frauen ist mit den Vorfällen von Atenco beschäftigt.