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Archiv-Artikel

Fußball, raufen, vorlesen

PÄDAGOGIK Kaum noch männliche Lehrer an den deutschen Grundschulen. In Bremen will die Initiative „Rent a teacherman“ für Besserung sorgen – und schickt Studenten in die Primarstufe der Hansestadt. Bundesweite Programme fehlen immer noch

In Jungencliquen gilt es oft als uncool, mit Menschen statt mit Maschinen zu arbeiten

VON THOMAS GESTERKAMP

Frank Scherer hat einst Elektroinstallateur gelernt, später als Inneneinrichter bei großen Bauvorhaben mitgewirkt. Doch irgendwann hatte der heute 40-Jährige genug vom Handwerk: „Ich wollte gern mit Kindern arbeiten, weil man die noch richtig begeistern kann.“ Scherer sattelte um und begann ein Studium für das Grundschullehramt an der Universität Bremen. Am Fachbereich Bildungswissenschaften traf er auf Christoph Fantini. Der Hochschuldozent erzählte ihm von der Initiative „Rent a teacherman“ – zu deutsch: „Leih dir einen (männlichen) Lehrer“.

Der Anteil männlicher Pädagogen in der Primarstufe ist seit Mitte der 1980er Jahre stark gesunken. Vor drei Jahrzehnten lag der Männeranteil noch bei rund 40 Prozent, heute sind nur noch 12 Prozent der Lehrenden an deutschen Grundschulen Männer. In jüngster Zeit haben sich die Zahlen auf niedrigem Niveau stabilisiert.

Die niedrige Zahl männlicher Studienanfänger für das Lehramt in der Primarstufe macht aber keine Hoffnung auf eine Trendwende. Allein in Bremen gibt es 15 Grundschulen, an denen kein einziger Mann unterrichtet. So entstand in Fantinis Uniseminaren die Idee, Studierende an diese Schulen zu schicken. „Rent a teacherman“ läuft seit Herbst 2011 erfolgreich. Zurzeit sind acht Lehramtsstudenten ausgeliehen. Finanziert wird das Projekt über Honorarmittel der Senatorin für Bildung und Wissenschaft in der Hansestadt.

Frank Scherer macht zwei bis drei Stunden pro Woche eine Werk-AG an der Grundschule Fährer Flur in Bremen-Vegesack. „Für die Schüler bin ich etwas Besonderes“, sagt er, „nicht nur für die Jungen, ebenso für die Mädchen.“ Vielen Kindern etwa von alleinerziehenden Müttern fehle zu Hause ein männliches Vorbild. Scherers weibliche Kolleginnen sind von der ungewöhnlichen Initiative angetan. „Wir treffen ständig auf Lehrerinnen und Schulleiterinnen, die begeistert reagieren, wenn wir ihnen männliche Studenten vermitteln“, berichtet Projektleiter Fantini.

Manche Erziehungswissenschaftlerinnen fürchten, mit solchen Aktionen würden Rollenklischees verfestigt. Die Bremer Studenten halten das für eine eher theoretische Diskussion. „Ich raufe nicht die ganze Zeit mit den Jungs“, betont Hauke Heemann. Er hat sich an „Rent a teacherman“ beteiligt, obwohl er eigentlich für das Lehramt am Gymnasium studiert. Männliche Pädagogen machen gar nicht so viel anders, lautet seine Erfahrung an der Grundschule „Im Osterkop“ im Stadtteil Hemelingen: „Sie sind aber wichtige Identifikationsfiguren vor allem für die Jungen.“

Das Aushilfsprogramm sei keine Kritik an den weiblichen Lehrkräften, betont Fantini. Eine nennenswerte Zahl von Männern an den Grundschulen bilde einfach ein wichtiges Korrektiv. Nicht weil männliche Lehrer „besser“, sondern weil sie anders seien und die Schulsituation bereicherten. Und weil sie helfen, heikle Situationen zu vermeiden: „Beim Sportunterricht muss jetzt nicht mehr die Lehrerin in die Umkleidekabine der Jungen, das kann ich machen“, sagt Student Heemann: „So bleibt die Intimsphäre der Schüler gewahrt.“

Ein anderer „Teacherman“ führte im vergangenen Herbst ein Sexualkundeprojekt durch. „Wir haben getrennte Gruppen gebildet. Eine Lehrerin übernahm die Mädchen, ich die Jungen“, sagt Julian Cirkovic. Der Student war mit seinen Kindern von der Bremer Grundschule Horner Heerstraße auch schon auf Klassenfahrt – und dort keineswegs nur für das typisch „Männliche“ zuständig. „Klar, ich habe auch ein Fußballturnier organisiert, aber genauso selbstverständlich habe ich abends vor dem Einschlafen ein Buch vorgelesen.“

Warum studieren so wenig junge Männer das Grundschullehramt? Häufig wird das zu erwartende Einkommen als Grund genannt. Es liegt deutlich niedriger als das an den weiterführenden Schulen. Doch am Gehalt allein kann es nicht liegen, immerhin bietet der Beruf eine sichere Perspektive und relativ familienfreundliche Arbeitszeiten. Für wichtiger als die Bezahlung halten Experten die Identitätsfindungsprozesse unter Gleichaltrigen: In manchen Jungencliquen gilt es nach wie vor als wenig cool, mit Menschen und nicht mit Maschinen zu arbeiten. „Da ist leider immer noch das Bild vom Singen und Basteln im Kopf“, bedauert Fantini. Viele Studenten hätten ganz falsche Vorstellungen von der pädagogischen Arbeit. Man müsse deren Vielfalt und die Herausforderung in der Didaktik stärker herausstellen. „Unter dem Aspekt der Bildungsgerechtigkeit“, ist der Hochschullehrer ohnehin überzeugt, werden an der Grundschule entscheidende Weichen für den künftigen Bildungserfolg von Jungen und Mädchen gestellt. Das Unterrichten dort sei „alles andere als Kinderkram“.

Das Bremer Projekt ist eines der wenigen in Deutschland, das auf den Männermangel in der Primarstufe aufmerksam macht. Eine weitere Initiative arbeitet an der niedersächsischen Universität Hildesheim, in den meisten Bundesländern aber fehlen entsprechende Motivationskampagnen.

Fantini fordert eine bundesweite Förderung nach dem Vorbild des Programms „Mehr Männer in Kitas“, das in den letzten drei Jahren mit Geldern des Familienministeriums für den Erzieherberuf warb. Der Gründer von „Rent a teacherman“ ist es leid, „ständig neuen Projektmittelchen hinterherzulaufen, um solche spannenden Sachen überhaupt machen zu können“.

■ Weitere Informationen: Universität Bremen, Projekt „Männer in die Grundschule“, Christoph Fantini, Tel. (04 21) 21 86 91 23, cfantini@uni-bremen.de Universität Hildesheim, Projekt „Männer und Grundschullehramt“, Sabine Hastedt, Tel. (0 51 21) 88 31 95