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Archiv-Artikel

Wohliger Anachronismus

US-PUNK Alles beim Alten bei den kalifornischen Hardcore-Bands Lagwagon und No Use For A Name bei ihrem Doppelkonzert im gut gefüllten SO 36

Publikum und Bands wirken so traut wie Ehemalige bei einem Klassentreffen

Der Typ im klatschnassen NOFX-T-Shirt lächelt. Er hat es gerade so zur Bar geschafft. Gar nicht einfach, denn das SO 36 ist gerammelt voll. Also hat der Crowdsurfer die Abkürzung über die Köpfe des Publikums genommen und die Kollegen am Boden tragen ihn fröhlich und routiniert.

Gut, wenn man sich fast bis zum Bier tragen lassen kann. Daran hat sich in den letzten 15 Jahren nichts geändert. Als Lagwagon 1995 ihr drittes Album „Hoss“ mit dem bulligen Bonanza-Bruder Dan Blocker auf dem Cover veröffentlichten, erlebte der New School Punk gerade seine Hochzeit, und der Band um Frontmann Joey Cape gelang hier der Durchbruch. Zwei Jahre später erschien „Double Platinum“. Die Hits der beiden Platten sind, bei allem Respekt vor den ab da folgenden Tonträgern, der eigentliche Grund, warum der Großteil der Endzwanziger-Fangemeinde noch heute die Konzerthallen füllt.

Am späten Mittwochabend im SO 36 liefern die Kalifornier das ab, was sie am besten können: melodischen Punk mit Hardcore- und Popreminiszensen. Live sind Lagwagon eine sichere Sache. Songs wie „Violins“, „Razor Burn“ oder „Choke“ werden fleißig mitgegrölt, ein Setting, das wirkt, als sei die Zeit stehengeblieben. Schwarzbemützt krallt sich Sänger Joey Cape wie gewohnt an sein Mikro, hadert mit der Technik und treibt seine Späße mit dem fast doppelt so großen Gitarristen Chris Flippin. Das harmonische David-und-Goliath-Verhältnis hat nach wie vor Unterhaltungswert.

Das Ganze wirkt mit zunehmender Zeit wie ein munteres Klassentreffen. Daran haben auch No Use For A Name, kurz Nufan, Anteil, die im Vorprogramm von Lagwagon ran dürfen. Vor drei Jahren ist die Compilation „All The Best Songs“ pünktlich zum 20. Geburtstag der ebenfalls aus Kalifornien stammenden Band um Sänger Tony Sly erschienen und dieses Motto gilt auch für den Gig in der Kreuzberger Röhre.

Beide Bands sind beim Label Fat Wreck Chords zu Hause, das der NOFX-Sänger und Bassist Fat Mike Anfang der 90er Jahre gründete. Neben zahlreichen anderen Punk-, Scar- und Hardcorebands veröffentlichten auch die seit 2009 auf die Bühne zurückgekehrten deutschen Szeneveteranen von Wizo ihre Platten bei Fat Wreck Chords. Das Label aus San Francisco machte vor den letzten Wahlen in den USA kräftig Front gegen die Wiederwahl von George W. Bush. Mit der Aktion „Punk Voter“ wandte man sich an junge Punkfans mit der Aufforderung, wählen zu gehen. Musikalisch gesehen feierten Fat Wreck Chords allerdings die größten Erfolge in der ersten Amtsperiode von Bill Clinton.

Das gilt auch für Lagwagon und No Use For A Name, die ihre große Zeit längst hinter sich haben. Nur stört das keinen, der gekommen ist. Es gibt keine Überraschungen oder Experimente auf der Bühne. Und davor auch nicht. Alles bleibt beim Alten. So wirken beide Bands wie ein wohliger Melodic-Punk-Anachronismus aus den Neunzigern. Dafür liefert auch das kürzlich vor dem Kollaps gerettete SO 36 den richtigen Rahmen. Im Jahr 2009 wurden die Kreuzberger als Club des Jahres ausgezeichnet. All das hat etwas Befriedendes, etwas das überdauert, ganz egal, wie beharrlich wütend sich die Akkorde der kalifornischen Punkfraktion in das Trommelfell graben. Lange schien die Zukunft des Berliner Traditionsclubs ungewiss. Im April wurde dann schließlich der Mietvertrag bis 2020 verlängert. Allerdings muss aufgrund einer Anwohnerbeschwerde eine Lärmschutzwand eingebaut werden. Das ist so gar nicht Punk.

Der Typ im NOFX-T-Shirt ist indes das zweite Mal auf den Händen der Konzertbesucher unterwegs und schafft es diesmal noch ein Stück weiter. „Practice makes perfect“, ruft ihm Tony Sly nach und stimmt den nächsten Song an.JAN SCHEPER