„Da flippt die Ratio doch aus“

Doping-Aufklärer Werner Franke über die Nachlässigkeit von Staat und Justiz im Kampf gegen Doping und darüber, warum nicht extra ein neues Anti-Doping-Gesetz hermuss, um endlich Ernst zu machen

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Herr Franke, Sportfunktionäre sprechen sich in diesen Tagen gleich reihenweise für ein Anti-Doping-Gesetz aus. Braucht Deutschland ein solches Gesetz?

Werner Franke: Wenn man das bestehende Arzneimittelgesetz ernst nehmen würde, dann nicht. Aber das Arzneimittelgesetz wird ja wie ein minderes Recht betrachtet.

Tatsächlich?

Aber natürlich. Das geht schon über Jahrzehnte so, selbst nach der Verschärfung des Gesetzes im Jahre 1998, als die Strafen für Minderjährigen-Doping auf zehn Jahre Gefängnis heraufgesetzt wurden. Aber daran orientiert man sich nicht als Verstoß gegen Arzneimittelgesetze und als systematische Körperverletzung. Dabei hält das deutsche Recht im Kampf gegen Doping alle Möglichkeiten des Eingreifens bereit. Man könnte E-Mails kontrollieren, Telefone von Verdächtigen abhören, Hausdurchsuchungen durchführen – auch jetzt schon. Aber an die Hintermänner traut sich hierzulande anscheinend keiner ran. Der Leichtathletiktrainer Thomas Springstein ist mit ein paar Monaten Bewährung davongekommen. Pipifax ist das. Er hat einem 16-jährigen Mädchen androgene, also vermännlichende, Hormone verabreicht.

Die Rechtsmittel wären also vorhanden, um den Tätern auf die Spur zu kommen?

Es sind genügend Mittel da, sie müssen nur entsprechend eingesetzt werden, vor allem was Ermittlungen angeht. Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum ein Richter bei Verdacht auf Minderjährigen-Doping nicht die Erlaubnis geben sollte, Telefone abzuhören. Doping ist erhöhte Kriminalität. Das sagt auch der Bundesgerichtshof.

Nun fordert der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, ein Anti-Doping-Gesetz nach dem Vorbild Italiens oder Spaniens. Und die Präsidenten des Leichtathletik- bzw. des Radsportverbandes, Clemens Prokop und Rudolf Scharping, schließen sich an.

Die Herren haben ja keine Ahnung, was in den gepriesenen Mittelmeerstaaten wirklich abläuft. Wie sind denn die Prozesse in Italien ausgegangen? Wie das Hornberger Schießen. Es gab verschiedene Prozesse. In der ersten Instanz gab es Strafurteile, die sich sehen lassen könnten, aber in der Berufung wurden sie erheblich abgemildert oder sogar ganz aufgehoben, gerne auch wegen Verjährung.

Warum machen sich dennoch viele deutsche Sportfunktionäre plötzlich stark für ein solches Gesetz?

Das muss damit zu tun haben, dass sie keinen guten Einblick haben in die Wirklichkeit – um es vornehm auszudrücken. Ein solches Gesetz wäre unter Umständen sogar verheerend.

Warum?

Wenn Doping strafrechtlich verhandelt wird, wie Betrug etwa, dann müsste Doping nachgewiesen werden. Da können sie mit Sportrecht und Beweislastumkehr [Im Sport gilt das Strict-Liability-Prinzip, d. h., der Leistungssportler ist dafür verantwortlich, was in seinem Körper gefunden wird; d. Red.] nichts mehr anfangen.

Was heißt das?

Es könnte zu der grotesken Situation führen, dass ein Sportler, der zwei Jahre gesperrt worden ist, weil bei einer Dopingkontrolle in seinem Urin verbotene Substanzen gefunden wurden, vor einem ordentlichen Gericht freigesprochen wird, weil ihm weder Tat noch Tatvorsatz bewiesen werden kann. In der Mehrzahl der Fälle könnte das so laufen.

Das kann nicht das Ziel des DOSB sein?

Bach will wohl keinen Straftatbestand Doping. Daran hat er schon gedacht. Gäbe es diesen Straftatbestand, dann hätte man die Beweislast.

Der Sport pocht ganz gern auf sein Selbstbestimmungsrecht. Würde er das aufgeben bei veränderter Gesetzeslage?

Was soll das sein? Ein Selbstbestimmungsrecht zur eigenen Kriminalität? Man weiß doch, dass Doping seit 50 Jahren stattfindet. Und der Sport hat sich als unfähig herausgestellt, Doping zu bekämpfen. Auch während der vergangenen Tour de France. Was ich da beobachte, ist, dass nun auch viele staatliche Instrumente unbrauchbar gemacht werden.

Inwiefern?

Man hat während der Tour in den vergangenen Jahren nichts mehr von gelegentlichen Razzien in Hotels gehört, auch beim Giro d’Italia nicht.

Was, glauben Sie, ist der Grund dafür?

Weil dann bald in diesen Ländern keine großen Veranstaltungen des internationalen Radsports mehr vergeben werden.

Der Staat lässt sich in Sachen Doping erpressen?

Na, irgendwie gilt hier wohl noch die Maxime des aktuellen Innenministers Wolfgang Schäuble, der in einem Bundestag-Hearing 1977 sagte: „Wir wollen diese Mittel [Dopingsubstanzen; d. Red.] nur sehr eingeschränkt und nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner […] einsetzen […], weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann.“ Die Zeiten haben sich im Vergleich zu den Siebzigern zwar verändert, der Geist aber nicht wirklich: Es handelt sich immer noch um junge Sportler, die geschädigt werden.

Auf den Staat als der Souverän ist also nicht Verlass?

Das hat man doch früher bei Olympischen Spielen und jetzt während der Fußball-Weltmeisterschaft gesehen. Die Ratio flippt doch aus. Der Sport wird nur noch als Mittel zur Volksbefriedigung gesehen: Panem et circenses.

Gelten für den Sport somit Sonderrechte?

Das möchten einige so. Ich erinnere mich an das Schreiben eines Oberstaatsanwaltes aus München auf eine Anzeige meiner Frau [Brigitte Berendonk, mehrmalige Deutsche Meisterin im Diskuswurf und Kugelstoßen; d. Red.] aus dem Jahr 1979 gegen einen Kugelstoßtrainer des Leichtathletikverbandes. Da windet sich der Staatsanwalt seitenlang und versucht zu erklären, warum er nicht ermittelt. Es sei grundsätzlich fraglich, ob das Strafrecht geeignet sei, sportpolitische Ziele zu erreichen, führte er schließlich aus.

Müsste ein Mentalitätswandel in den Staatsanwaltschaften stattfinden?

Ja, im Staat und bei Staatsanwälten: Dopingmachenschaften dürfen nicht mehr als minderes Delikt eingestuft werden.

Geht das mit so genannten Schwerpunktstaatsanwaltschaften?

So eine gibt es ja praktisch bereits in Frankfurt am Main. Aber auch der Schwerpunktstaatsanwalt muss zum Richter tigern, wenn er entsprechend effektiv ermitteln will, und sich eine Unterschrift holen. Hier muss harte Ermittlung zum Schutz junger Menschen zur Selbstverständlichkeit werden.

Wie kann die Dopingbekämpfung letztlich effektiver werden?

Durch absolute Aufklärung und grundsätzliche Zweifel. Und: Man muss ermitteln wollen.