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Archiv-Artikel

Wie einst die kleine Franzi

Silber für Deutschland, Silber über 200 Meter Freistil der Frauen. 1992 schlug Franziska van Almsick, ein damals 14-jähriges Mädchen aus Berlin, als Zweite im olympischen Schwimmbecken von Barcelona an. Eine unvergleichliche Karriere begann. Die ist längst vorbei, doch Franziska van Almsick ist noch immer Star, der einzige Popstar, den der Schwimmsport in Deutschland hervorgebracht hat. Silber über 200 Meter Freistil hat nun bei der Europameisterschaft in Budapest auch Silke Lippok gewonnen. 16 Jahre ist sie alt und für Franziska van Almsick „das größte Talent im deutschen Team“.

Silke soll die neue Franzi werden. Lange gab es keinen sportlichen Erfolg einer Schwimmerin mehr, der die Fantasie der Berichterstatter derart beflügelte. Die ersten Reporter sehen schon olympische Medaillen um den Hals von Silke Lippok baumeln, sehen Weltrekordzeiten nach dem Anschlag aufblinken. Ein Mädchen wird für Erfolge gefeiert, die sie erst noch erschwimmen soll. Es ist ihr zu wünschen, dass sie am Erwartungsdruck der Öffentlichkeit nicht zerbricht. Das ist einst Franziska van Almsick so ergangen. Die ganze Sportnation erwartete von ihr im Jahr 2000 olympisches Gold. Sie scheiterte und musste erleben, wie diejenigen, die sie über Jahre gefeiert hatten, nun regelrecht über sie herfielen. Unvergessen ist die Schlagzeile der Berliner Boulevard-Postille B.Z. aus diesen Tagen: „Franzi van Speck – als Molch holt man kein Gold“.

„Ich vergleiche mich nicht mit ihr. Ich bin ich.“ Das hat Silke Lippok gesagt, als sie unmittelbar nach ihrem Erfolg auf die Parallelen zu Franziska van Almsick angesprochen wurde. Und es ist in der Tat noch ein weiter Weg von der 11. Klasse des Theodor-Heuß-Gymnasiums in Pforzheim in die Klatschspalten. Weil sie ihr Umfeld, ihre Familie nicht verlassen wollte, trainiert Lippok auf einer 25-Meter-Bahn. Und weil sie ihm vertraut, lässt sie sich von einem Rentner trainieren. Der 70-jährige Rudi Schulz, der bis zu seiner Verrentung als Haustechniker im Karlsruher Freizeitbad gearbeitet hat, gilt als Entdecker von Silke Lippok. Es ist dies eine sehr private Erfolgsgeschichte. Bis dato. Jetzt gehört Silke Lippok der deutschen Sportnation. Ob sie sie selbst bleiben kann?

ANDREAS RÜTTENAUER