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Archiv-Artikel

Das Empire schlägt zurück

UNTERNEHMEN MAGDALA Der Konfliktforscher Volker Matthies analysiert eine fast vergessene britische Militäraktionen im 19. Jahrhundert, die in vielerlei Hinsicht an heute denken lässt

„Unternehmen Magdala“ zeugt von einer im 19. Jahrhundert massiv einsetzenden Industrialisierung und Privatisierung des Krieges

VON JAN SCHEPER

Das Spektakel beginnt mit einem Missverständnis. 1862 schreibt der in Äthiopien amtierende christliche Kaiser Theodor II. einen Brief an Queen Victoria. Er bittet um Unterstützung im Kampf gegen den Islam, vor allem gegen die offensiv in den Regionen um das Rote Meer agierenden Türken. Die Briten halten nichts von einem „christlichen Kreuzzug“ in Zentralafrika und sind ohnehin mehr an politischen Bündnissen mit dem Osmanischen Reich, Ägypten und dem Sudan interessiert.

Victoria ignoriert den Brief und schickt den äthiopischen Botschafter kurzerhand in den Sudan. Theodor II. versteht das als Affront. Im Frühjahr 1867 setzt er den zeitweilig zurückgekehrten britischen Diplomaten James Cameron fest und sperrt eine vom Empire entsandte Verhandlungsgruppe gleich dazu.

Der Konflikt verschärft sich. Der Monarch stellt die restlichen Europäer im Dunstkreis des Hofes, unter ihnen auch deutsche Missionare und Naturforscher mit ihren Familien, unter Arrest. Das Schicksal der Geiseln wird in Großbritannien publik, der öffentliche Druck nimmt zu. Die Regierung in London entschließt sich zu handeln.

Das Empire schickt ein rund 60.000 Mann starkes britisch-indisches Heer zur Befreiung der Inhaftierten. Doch hinter dem auch heute beliebten Mantel der humanitären Intervention steckt „eine der merkwürdigsten Militärexpeditionen in der Geschichte europäisch-afrikanischer Beziehungen“, schreibt Volker Matthies. Der 1945 geborene Experte für Frieden- und Konfliktforschung, Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, hat im Berliner Christoph Links Verlag eine umfassend recherchierte Analyse der Geschehnisse vorgelegt.

Eine große Expedition

„Unternehmen Magdala. Strafexpedition in Äthiopien“ erzählt, wie das Expeditionsheer in Bombay unter der Führung des erfahrenen Generals Sir Robert Napier zusammengestellt wird. Wie Unmengen von Packtieren, Ausrüstung und Munition organisiert und verschifft werden. Einige ausländische Offiziere sowie ein Dutzend renommierter Journalisten sind als Militärbeobachter zugelassen. Das ganze Unterfangen soll den Anstrich einer groß angelegten Expedition bekommen, nicht zuletzt dank einer ordentlichen wissenschaftlichen Entourage.

Im Oktober 1867 beginnen die Briten mit der Landung in der Küstenstadt Massawa auf dem heutigen Staatsgebiet von Eritrea. Der Ort wird zum Basislager ausgebaut, eine Eisenbahnstrecke ins Hinterland angelegt. Im Januar 1868 verlässt die Truppe Massawa in Richtung der Bergfestung Magdala, dem Rückzugsort des Kaisers. Nach einem Marsch von fast 600 Kilometern kommt es auf einem Hochplateau im nordäthiopischen Gebirgsmassiv am 10. April 1868 zur Schlacht. Die dort seit Wochen stationierten Truppen Theodors werden vernichtend geschlagen. Einen Tag später fällt die Bergfestung Magdala. Der Kaiser nimmt sich das Leben. Das Empire jubelt angesichts des großen Sieges über den dickköpfigen Monarchen.

Humanitäre Gründe

Man rechtfertigte den Feldzug mit humanitären Gründen, der zudem allerhand Wissenswertes über Zentralafrika zu Tage fördere. So will es zumindest die offizielle Version. Dennoch bleiben viele Fragen offen, die Matthies schlüssig in seinem Buch aneinanderreiht: Die humanitären Gründe der Mission scheinen höchst zweifelhaft, zumal ein Großteil der befreiten europäischen Geiseln im Land verbleiben will. Die meisten verstehen sich nach jahrzehntelangem Aufenthalt längst als Afrikaner. Auch die schonungslose Plünderung der in Magdala gehorteten Kunst- und Kulturschätze zeugt nicht von „humanitärem“ Fingerspitzengefühl. Auf die vollständige Rückgabe wartet Äthiopien bis heute vergebens.

Der Autor bemüht sich, alle verfügbaren Quellen zu berücksichtigen, und verläuft sich dabei gelegentlich im Wiederholen von ungezählten Biografien, die eher verwirren als erläutern. Dennoch gelingt es Matthies, den Verlauf der Expedition, auch dank einiger Schautafeln und Skizzen, prägnant und nachvollziehbar darzustellen. Ein Gewinn des Buchs ist das Kapitel „Embedded Journalists“, das die schon im 19. Jahrhundert ausgeprägte Verflechtung von Presse und Militär anschaulich macht.

Letztlich zeugt das „Unternehmen Magdala“ von einer im 19. Jahrhundert massiv einsetzenden „Industrialisierung und Privatisierung des Krieges“, welche heute erschreckend normal wirkt. So betrachtet, hat die britische Strafexpedition in Äthiopien von 1867/68 historischen Modellcharakter.

■ Volker Matthies: „Unternehmen Magdala. Strafexpedition nach Äthiopien“. Christoph Links, Berlin 2010, 195 Seiten, 24,90 Euro