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Selbsthilfe in der fremden Heimat

Nach dem Vorbild der Frauen: In Kreuzberg haben sich arabische Migranten in einer Vätergruppe organisiert. Sie suchen Tipps für den deutschen Alltag und Hilfe in Erziehungsfragen. Denn mit ihrer neuen Rolle in Deutschland können viele nicht umgehen

„Viele Familien sind mit ihren Kindern – vor allem mit den Jungs – einfach überfordert“

von Kays Al-Khanak

Es ist, als stehe man an einer Grenze. Um in die Werner-Düttmann-Siedlung an der Urbanstraße in Kreuzberg zu gelangen, muss man zuerst einen Schlagbaum überwinden. 95 Prozent der hier lebenden Menschen sind Ausländer, 60 Prozent davon Araber. Sie wohnen in hohen Mehrfamilienhäusern mit Balkonen. Zahlreiche Satellitenschüsseln hängen an den Wänden – eine Verbindung zum Heimatland. Vor dem Mietertreff der Siedlung stehen drei arabische Männer. Sie reden und gestikulieren. Es ist Montag, kurz nach 17 Uhr. Gleich trifft sich die arabische Vätergruppe.

„Eigentlich war es ja die Idee der arabischen Frauengruppe, auch eine für Männer einzurichten“, sagt Raafat Matar. Damit die nicht den „ganzen Tag herumsitzen“, wie der Vorwurf der Frauen lautete, die sich seit 2002 bereits regelmäßig treffen. Matar ist Sozialpädagoge und arbeitet beim deutschen Verein Arbeitskreis Neue Erziehung. Damit eine solche Männergruppe auch bei den Arabern auf Glaubwürdigkeit stößt, wandte sich der 46-jährige Ägypter an Mahmoud El-Hussein, den Vorsitzenden der Arabischen Eltern Union. Schnell war man sich einig, das Projekt gemeinsam zu organisieren. Ins Leben gerufen wurde es schließlich im August 2005. Es gibt eine weitere Gruppe im Wedding, und eine dritte in Neukölln ist in Planung.

Nun treffen sich unter Leitung Matars acht bis zwölf arabische Väter alle zwei Wochen in dem kargen Raum des Mietertreffs. Die Tische stehen in einem Rechteck. An einer Wand hängen beschriftete Plakate. „Wie ernähre ich mich gesund?“, steht auf einem mit der Hand geschrieben. In der Ecke steht ein Regal. Es ist leer.

Die Väter kämen vor allem, sagt Matar, weil sie sich eine spezifische Fachberatung, zum Beispiel in Migrationsfragen, erhoffen. Deswegen lädt Matar regelmäßig Pädagogen, Islamwissenschaftler oder andere Experten ein. Sie sollen den arabischen Männern Tipps und Hilfen für den Alltag mit auf den Weg geben sollen. „Natürlich kommen auch einige, weil sie mit ihrer Zeit nichts anderes anfangen können“, sagt er. Da sei es eine Abwechslung, sich mit anderen Vätern zum Tee zu treffen. Besprochen werden in den Sitzungen meist Themen wie Kultur, Erziehung und Familie – aber auch konkrete politische Inhalte. Matar bereitet immer ein Thema für jede Sitzung vor, das dann diskutiert wird.

Dieses Mal soll es um die Frage gehen, ob Schlagen in der Erziehung nützlich ist. Gerade dieses Thema werde in der Debatte um Gewalt an Schulen immer wichtiger. „Viele Familien sind mit ihren Kindern – vor allem mit den Jungs – einfach überfordert“, sagt Matar. Der Grund: Die Eltern seien selbst genug mit ihren eigenen Problemen wie der ungewissen Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland beschäftigt. „Hinzu kommt, dass viele Migranten aus Flüchtlingslagern kommen“, sagt Matar. Dort gebe es eine ganz andere gesellschaftliche Situation. „Es herrscht dort mehr Gewalt. Sie ist nicht verpönt, sondern ein Mittel, um seine Interessen durchzusetzen“, so Matar. Resultat sei, dass auch die Jugendlichen Gewalt als notwendig ansehen und einsetzen würden.

Pünktlich kommt zum Vätertreff kaum jemand. Nach und nach trudeln die Männer ein. Jeder wird einzeln mit Handschlag und Schulterklopfen begrüßt. Es wird arabischer Tee serviert. Am Tisch sitzen schließlich zehn Männer mit Lebenswegen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Da ist Hassan Razouk, ein Mann mit lichtem Haarkranz. Der Palästinenser hat lange Zeit im Libanon in einem Flüchtlingslager verbracht. Seit 17 Jahren ist er in Deutschland geduldet. Sein Sohn darf nach langem Hin und Her mit den Behörden Mathematik in Deutschland studieren, erzählt er nicht ohne Stolz. Oder Samir Elsoutari. Er trägt eine große Brille, ein kariertes Stoffjackett und lächelt verschmitzt in die Runde. Früher war der Syrer Mathelehrer. Heute ist er arbeitslos. Oder Ali Kara. Er ist eigentlich kein Araber, sondern Türke. Er läuft an einer Krücke und schweigt die gesamten zwei Stunden. Als Letzter erscheint Mahmoud Khalil, ein kräftiger Mann mit Igelfrisur. Der Palästinenser ist seit sieben Jahren im Land.

“Die Rolle der arabischen Männer ändert sich meist grundlegend, wenn sie nach Deutschland kommen“, erklärt Matar. Sie würden häufig vom Ernährer zum Arbeitslosen werden. „Viele leiden unter diesen Bedingungen, wenn sie nicht gebraucht werden“, sagt er. Da sei es notwendig, neue Sichtweisen zu gewinnen, um mit der neuen Lage zurechtzukommen. Und da könne die arabische Vätergruppe helfen.

Die Männer sollten eine Gruppe gründen, damit sie nicht den ganzen Tag zu Hause herumsitzen

Es gibt Vorwürfe, dass sich unter anderem Araber nicht ausreichend integrieren, sich abkapseln würden. Matar will dies nicht abstreiten, bittet aber um Verständnis für die Immigranten. „Jeder hat seine eigene Geschichte“, betont er. Manche hätten Krieg und Vertreibung erlebt. Anderen wiederum mache der ungesicherte Aufenthaltsstatus zu schaffen. „Der Aufenthalt wird meist alle sechs Monate verlängert“, sagt Matar. Da könne keine Familie vernünftig planen. Ein weiteres Manko: Es fehle an Vorbildern und Ansprechpartnern. „Es gibt nicht einen einzigen Araber, der bei den Ausländerbehörden als Beamter arbeitet“, stellt der Pädagoge fest.

Bei der Diskussion zwischen den Männern geht es munter zu, bisweilen wird es sogar laut. Matar übersetzt: Thema sei der Streit um die Rütli-Schule im März. Einer der Väter, Ibrahim El Fares, sieht drei Hauptschuldige für die Situation. „Es liegt an der Schule, den Familien und der Stadt“, schimpft er. Die Schule habe es verpasst, bei Problemen die Eltern sofort zu informieren. Die Familie sei meist kein gutes Vorbild für die Jugendlichen. „Viele sind arbeitslos, sitzen den ganzen Tag vor dem Fernseher.“ Und die Stadt trage ihre Mitschuld, weil sie durch ihre Aufenthaltspolitik den Familien keine langfristigen Planungen ermögliche.

Der Jüngste in der Runde, Khalil, hat bisher kaum etwas gesagt. Doch nun wird er laut, bekommt feuchte Augen. „Diese Regelung, dass wir die Stadtgrenze nicht überqueren dürfen, schränkt unsere Freiheit ein.“ Sein Nachwuchs würde die Erfahrung machen, nicht das Gleiche machen zu dürfen wie deutsche Kinder . „Welcher Mensch kann sich dann noch motivieren?“, fragt er in die Runde und erntet ein zustimmendes Nicken. Wenn sein Kind auf Klassenfahrt fahren wolle, müsse es zuerst eine Sondergenehmigung einholen. Seine Stimme überschlägt sich, während er das erzählt.

Kurz vor Ende des Treffens, um 19 Uhr, wird dann doch noch über das Thema geredet, das Matar vorbereitet hat: Ist Schlagen in der Erziehung nützlich? „Wir sind alle keine Engel“, sagt Khalil. Schlagen passiere in jeder Familie – „auch in deutschen“. Aber besser sei es, das wie die Stadt zu handhaben“, glaubt er. Soll heißen: Wer nicht spurt, bekommt die Mittel gekürzt. „Dann gibt es statt einer teuren Markenhose eben nur eine Billigmarke“, sagt er und lacht. Zumindest bei den Erziehungsmethoden verwischen die Grenzen zwischen Arabern und Deutschen.

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