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Die Tennisspielerin, die raucht

Es geschah in New York, Anfang der Dreißigerjahre: Martin Munkácsi war der Fotograf, der Mode in Bewegung setzte und dem Sehen auf die Sprünge half. Sein Weg von Berlin in die USA war Flucht und Karriere zugleich. Im Martin-Gropius-Bau ist eine Werkschau des Meisters der Antizipation zu sehen

von MARCUS WOELLER

Mehr als sechzig Jahre nach dem Debüt des ersten Modemagazins in Amerika war es höchste Zeit für einen Relaunch. 1929 wurde Harper's Bazar zu Harper's Bazaar. Kurz darauf gelang es dem Verleger und Medienmogul William Randolph Hearst, dem Konkurrenzblatt Vogue dessen beste Redakteurin abspenstig zu machen, und die selbstbewusste Carmel Snow begann sofort, die etwas betuliche Frauenzeitschrift umzukrempeln. Ihr wichtigster Coup war es, als Modefotografen einen Ungarn zu verpflichten, der die letzten Jahre in Berlin verbracht hatte. Der kam auf die Idee, man könne Badeanzüge am Meer fotografieren, Strandkleider am Strand, überhaupt Mode und Modelle in Bewegung: Das war damals geradezu sensationell.

Während seiner Zeit in Berlin war der 1896 im damals ungarischen Kolozsvár geborene Martin Munkácsi noch nicht als Modefotograf aufgefallen. Seine Spezialität waren eben Menschen in Bewegung, Sportler beim Fußballspiel, Motorradfahrer, Tänzer, aber auch die zwanglos badende Freizeitgesellschaft an den Berliner Seen oder den Ferienorten der Ostseeküste. 1928 war der ästhetisch gebildete Autodidakt von Budapest in die deutsche Hauptstadt und Pressemetropole übergesiedelt. Er fand sofort Anstellung als Bildjournalist und Reportagefotograf beim Ullstein Verlag und fotografierte bis 1934 für die Berliner Illustrirte Zeitung, die Dame oder den Uhu. 1933, als mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland der Untergang der kulturellen und publizistischen Blüte besiegelt wurde, war Munkácsi gerade auf einer Reise in den USA unterwegs und schlug das erste Angebot Carmel Snows, bei Harper's Bazaar einzusteigen, aus. Einige Monate später ging er doch darauf ein und kehrte Berlin den Rücken.

Im Martin-Gropius-Bau gastiert nun eine Retrospektive auf das Werk Munkácsis, die der Hamburger Fotograf, Sammler und Museumsgründer F. C. Gundlach zusammengetragen hat. Die Ausstellung zeigt deutlich die Qualitäten und die Kompositionsstrategien des lange halbvergessenen Munkácsi. „Bewegung und Diagonale“, davon spricht er selbst, und davon, dass „man denken müsse, während man schießt“.

Den diagonalen Bildaufbau hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Gern verbindet Munkásci die schräge Achse mit einer Sicht von oben oder dem Blick aus der Froschperspektive. Das verleiht den Fotos den Charakter von Schnappschüssen. Einige sind es sicherlich auch, doch war sich Munkácsi vollkommen bewusst, dass Schnappschüsse nur dann gelingen, wenn der Fotograf gleichsam voraussieht, was geschehen wird, und deshalb schon vorher weiß, wann der Auslöser betätigt werden muss. Viele der ausgestellten Werke beweisen, dass Munkácsi ein Meister der Antizipation war. Besonders die Sportfotografien oder Bilder von Tänzerinnen fangen die Bewegung der Person ein, ohne sie nur in grotesker Weise einzufrieren.

„Zehn Tänzerinnen, schwebend“ startet geradezu einen Film im Kopf, um die Bewegung, die im Foto festgehalten ist, nachträglich wieder als Handlung freizusetzen. Die Serie der in der Luft strampelnden Revuetänzerin Rosi Barsony erzeugt augenblicklich eine Ahnung von der mythisch verklärten Abendunterhaltung im Berlin der Zwanzigerjahre. Dass tänzerisches Genie auch im Foto noch wirkt, dokumentiert Munkácsi in der Reihe „Fred Astaire on his toes“. Mit diesem Gespür für menschliche Bewegung im Fluss war es kein Wunder, dass er die in „freudloser, liebloser, lügnerischer Kunst“ (Richard Avedon) erstarrte Modefotografie Amerikas revolutionierte.

Munkácsi war kein Avantgardist, aber ein unbedingter Zeitgenosse, der den Stil seiner Zeit aufnahm und in seiner Arbeit verarbeitete. Als 1934 seine zweite Karriere in New York begann, gelang es ihm trotz rudimentärster Englischkenntnisse blitzschnell, umzuschalten und sich auf den veränderten Style einzulassen. In Berlin porträtierte er den späteren Wimbledon-Finalisten „Gottfried von Cramm mit seiner Gattin Elisabeth“ noch als konturiertes Profilbildnis à la Neue Sachlichkeit. Christian Schad hätte das akkurat gescheitelte Pärchen nicht strenger malen können. In den Vereinigten Staaten fotografierte er ein paar Jahre später eine Tennisspielerin als All-American Girl, die sich kurz vor der Aufschlaglinie ganz leger eine Zigarette anzündet.

Die Ausstellung präsentiert mehr als 350 Bilder, hauptsächlich Vintage-Fotos, also Originalabzüge. Das Ullstein-Archiv beherbergt noch eine große Sammlung von Fotos aus Munkácsis Berliner Zeit. Der größte Teil seines amerikanischen Nachlasses ging dagegen verloren. Denn trotz seines Erfolges – er war mit einem Jahresgehalt von 100.000 Dollar in den 30er- und 40er-Jahren der wohl bestbezahlte Fotograf weltweit – ging es mit der Karriere von Martin Munkácsi nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rapide bergab. Nach persönlichen Krisen und Krankheiten starb er 1963 verarmt und beruflich bedeutungslos.

„Martin Munkácsi. Budapest – Berlin – New York!“ Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 9. 11., Mi. bis Mo. 10–20 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Steidl-Verlag erschienen

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