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Archiv-Artikel

Das System der vielen Fallbeile

TÄTER Unter den Nazis wurden immer mehr Scharfrichter gebraucht

Von KLH
Ihr Festgehalt betrug 3.000 Reichsmark im Jahr, hinzu kamen Sondervergütungen

So wie die Nazis mit großer Effektivität Autobahnen und Panzer bauten, politische Gegner folterten und Juden ermordeten, so effektiv regelten sie auch die Vollstreckung der Todesstrafe. Zu Beginn der NS-Herrschaft gab es im ganzen Reich sieben Scharfrichter, von denen die meisten aber bereits pensioniert waren. Die Hinrichtungsmethode war traditionell Ländersache: In Norddeutschland richtete man per Handbeil, im Süden mittels der Guillotine. Hängen war unüblich. Vollzogen wurde die Todesstrafe in den jeweiligen Haftanstalten, weshalb der Scharfrichter mit seinen Instrumenten anreisen musste.

Das NS-Regime sorgte für Vereinheitlichung. „Ist die Todesstrafe durch Enthaupten zu vollziehen, so ist das Fallbeil anzuwenden“, hieß es 1936 aus dem Reichsjustizministerium. Zugleich wurden „zentrale Hinrichtungsstätten“ errichtet, wo der Henker ohne lange Anfahrten seines Amtes walten konnte.

Mit der Zunahme von Todesurteilen wuchs entsprechend die Zahl dieser Hinrichtungsstätten wie auch die der Scharfrichter. 1937 existierten drei „Scharfrichterbezirke“. Bis 1944 war der Mordbetrieb auf zehn „Vollstreckungsbezirke“ expandiert – von Kattowitz im annektierten Teil Polens bis nach Köln im Westen. Da jeder Scharfrichter drei bis vier Gehilfen beschäftigte, waren zuletzt insgesamt 48 Männer mit dem Töten befasst.

Angesichts der rasant steigenden Zahl von Todesurteilen wurden Scharfrichter zu wohlhabenden Männern. Bestellt und bezahlt vom jeweils zuständigen Gericht betrug ihr Festgehalt 3.000 Reichsmark im Jahr. Hinzu kamen Sondervergütungen für jeden Hingerichteten: 40 Mark für den ersten Getöteten des Tages, 30 für die folgenden. Fand die Hinrichtung außerhalb des Wohnbezirks des Henkers statt, erhöhten sich die Bezüge auf 60 beziehungsweise 40 Reichsmark.

Wie viel Geld der staatlich verfügte Mord einbrachte, zeigt das Beispiel der Prager Scharfrichters Alois Weiss, der dort ab Frühjahr 1943 tätig war. Bis zum 26. April 1945 hat der ehemalige Straßenbahnreiniger aus München mehr als 1.200 Menschen umgebracht. Einschließlich Protektoratszulage betrug sein Verdienst in dieser Zeit über 45.000 Reichsmark.

Kein einziger NS-Scharfrichter musste sich nach dem Krieg für seine Taten verantworten. Schließlich hatten sie im Dienst von Recht und Gesetz gehandelt – und das war nicht strafbar. Mit Alois Weiss, dem Scharfrichter von Prag, hatten die bayerischen Justizbehörden 1947 Großes vor: Er sollte im Freistaat wieder als Henker eingestellt werden. Doch das Vorhaben zerschlug sich, 1949 schaffte das Grundgesetz die Todesstrafe in der Bundesrepublik ab. KLH