: Nichts Genaues weiß man nicht
Welche Kontakte hatten die mutmaßlichen Kofferbomber in NRW? Die Ermittler tappen im Dunkeln. Polizeigewerkschaft fordert mehr Migranten-Fahnder
VON PASCAL BEUCKER UND FRANK ÜBERALL
Nur ein Gefallen hatte es sein sollen. Mehr nicht. Farouk El-Hajj hat ihn bitter bereut. Spätestens als ein Einsatzkommando am Dienstag in Bergisch-Gladbach sein Auto stoppte und den 45-jährigen Autohändler festnahm. Der Grund: Der aus dem Libanon stammende Essener war derjenige, der dem gestern in Tripolis festgenommenen Jihad H. die Einreise nach Deutschland ermöglicht hatte.
Inzwischen ist El-Hajj wieder auf freiem Fuß – und kämpft um seine Reputation. Denn der Schwerbehinderte, der zwei Bein-Prothesen und mehere verstümmelte Finger hat, ist seit Jahren kommunalpolitisch aktiv, sitzt – gewählt als Einzelkandidat – seit 1999 als ordentliches Mitglied im Integrationsbeirat und gehört auch als Sachkundiger Einwohner dem Ausschuss für Zuwanderung und Integration des Rates der Stadt Essen an. Der Integrationsbeiratsvorsitzende Muhammet Balaban beschreibt ihn gegenüber der taz als recht isoliert, sehr schweigsam und zurückhaltend, aber gleichwohl auch als kollegial: „Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen, ich habe volles Vertrauen zu ihm.“
Und nun das! Auf Bitten des in Essen-Altenessen lebenden arbeitslosen Onkels von Jihad H. hatte El-Hajj jene Bürgschaft gegenüber der Ausländerbehörde abgegeben, die der mutmaßlichen Kofferbomberleger benötigte, um nach Deutschland zu gelangen. Ein Freundschaftsdienst, sei das gewesen, mehr nicht. Von den Absichten des 20-Jährigen habe er nichts geahnt, beteuert El-Hajj: „Ich bin nicht radikal, und ich bin gegen Fundamentalismus.“
5.000 Menschen libanesischer Herkunft leben in Essen. Die Stadt beherbergt damit nach Berlin die zweitgrößte libanesische Gemeinde in der Bundesrepublik. Hatte Jihad H. hier Verbindungen, außer den zu seinen Verwandten, bei denen er vor seinem Umzug nach Köln gewohnt haben soll? Gab es Kontakte in andere Städte, nach Mülheim beispielsweise, wo der Mitattentäter Youssef Mohamad E. H. eine zeitlang wohnte? Oder nach Oberhausen, wo Sicherheitskräfte Anfang der Woche ein Wohnhaus im Stadtteil Holten stürmten und einen Mann kurzzeitig festnahmen ? Noch tappen die Ermittler im Dunkeln.
„Selbst wenn einer oder beide der Attentäter im Libanon in einem islamistischen Milieu aufgewachsen sein sollten, deutet derzeit doch einiges darauf hin, dass auch in Deutschland eine Radikalisierung stattgefunden hat“, analysiert der Journalist Yassin Musharbash, der seit Jahren den Hintergründen des militanten Islamismus nachspürt. „Grundsätzlich haben wir es hier mit Tätern der sogenannten ‚dritten Generation‘ zu tun, die nie in einem Ausbildungscamp waren, und trotzdem, womöglich auf Eigeniunitiative, zu Terroristen werden“, so der frühere taz-Autor, dessen Buch „Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks“ in diesen Tagen bei Kiepenheuer & Witsch erscheint. Allerdings gebe es im Fall der beiden Kofferbomberleger zwei Besonderheiten, die die Täter vom Prototyp des „homegrown terrorist“, wie in London im Juli 2005 gesehen, unterschieden: „Sie sind nicht in Deutschland aufgewachsen und sie waren nicht zum Selbstmordattentat bereit“, so Musharbash.
Unterdessen forderte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Reiner Wendt, als Konsequenz aus den versuchten Kofferbombenanschlägen, dass Nordrhein-Westfalen jetzt eine „Führungsrolle“ bei der Bekämpfung des Terrorismus übernehmen müsse. Denn das Land stehe offenkundig im „Brennpunkt terroristischer Aktivitäten“. Notwendig seien speziell ausgebildete Fahnder mit Migrationshintergrund, die als verdeckte Ermittler auch mit eigenen Ermittlungs- und Fahndungskompetenzen ausgestattet werden sollten. Für deren Ausbildung sei auch die Hilfe muslimischer Organisationen und Gemeinden erforderlich, so Wendt.