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PROVOKATION Pastor Terry Jones sucht mit seinem „Burn a Koran Day“ nach Aufmerksamkeit. Mitmachen muss keiner
■ Meinungsfreiheit I: Ein evangelikaler Provinzpastor aus Florida hat weltweite Empörung ausgelöst: Terry Jones hatte angekündigt, am 11. September einen Koran zu verbrennen. Zwar räumte der Führer einer radikalen Mini-Gemeinde in der Kleinstadt Gainesville ein, seine Aktion könne gewaltsame Übergriffe etwa auf US-Soldaten in Afghanistan provozieren. Dennoch meinte er im TV-Sender CBS: „Wir sind entschlossen, es zu tun.“ US-Außenministerin Hillary Clinton verurteilte den Plan in Washington als einen „respektlosen, schändlichen Akt“. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte, diese Art von Aktionen könnten von keiner Religion geduldet werden.
■ Meinungsfreiheit II: Nach der Ehrung des Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard durch Bundeskanzlerin Angela Merkel hält die Kritik von deutschen Muslimen an der Kanzlerin an. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, warf Merkel einen Mangel an „interkultureller Kompetenz“ vor. „Natürlich muss die Pressefreiheit verteidigt werden, aber der Zeitpunkt der Preisverleihung war mehr als unglücklich“, sagte Kolat mit Blick auf die aktuelle Integrationsdebatte zur Begründung seiner Kritik. Die Veröffentlichung der Karikaturen 2005 führte zu wütenden Protesten von Vertretern des Islam.
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Was tun, um seine kleine unbedeutende Kirche in einem unbekannten Nest in Florida mit ein paar Dutzend Mitgliedern ein wenig bekannter zu machen? Pastor Terry Jones hatte eine einfache zündende Idee. Wir verbrennen am Jahrestag des 11. September einfach ein paar Exemplare des Korans. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien ist uns mit dieser Provokation sicher, ebenso die wutentbrannte Reaktion der muslimischen Welt.
Seit dem dänischen Karikaturenstreit, losgetreten von Kurt Westergaard, der soeben von Bundeskanzlerin Merkel ausgezeichnet wurde, ist der Mechanismus stets der gleiche. Dabei übte sich die Kanzlerin in dem Spagat, die von den fundamentalistischen US-Christen angekündigte Koran-Verbrennung als „respektlos, sogar abstoßend und einfach falsch“ zu bezeichnen, den dänischen Karikaturisten aber mit den Worten „das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“ zu würdigen. Für muslimische Ohren, die in beiden eine Beleidigung sehen, klingt es irgendwie inkonsequent, die eine gezielte Provokation im Namen der Meinungsfreiheit zu zelebrieren und die andere als „geschmacklos“ zu verurteilen
Vollkommen berechenbar sind hingegen die Medien. Egal ob Pastor Terry oder Merkel: Ein Showdown in der islamischen Welt wird erwartet. Pastor Terrys Rechnung ist aufgegangen. Die Medien nicht nur in seinem Bezirk, nicht nur in Florida oder in den US-Medien, nein, in der ganzen Welt berichten darüber. Die US-Regierung, die Nato, der Vatikan verurteilen den Pastor mit seinem „Burn a Koran Day“. Also 1:0 für Terry.
Was ist denn aber nun mit dem Showdown? Bisher ist die Reaktion in der islamischen Welt abgesehen von den paar üblichen Verdächtigen in Afghanistan und Indonesien verhalten. Die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo warnt genauso wie der US-Oberbefehlshaber General David Petraeus in Afghanistan, dass die ganze Angelegenheit den Terror schüren könnte. Die Muslimbrüder, die älteste islamistische Organisation weltweit, erklärte, dass die Koranverbrennung an die Zeit der Inquisition erinnere. In einem Kommentar beschwert sich die überregionale arabische Tageszeitung al-Quds al-Arabi. Es sei etwas unglücklich, dass die US-Regierung die Affäre hauptsächlich unter dem Blickwinkel der Sicherheit ihrer Soldaten betrachte und nicht als Respektlosigkeit gegenüber einer Religion.
Der oberste US-Staatsanwalt Eric Holder hatte die Idee der Koranverbrennung als „idiotisch und gefährlich“ bezeichnet. Während das „idiotisch“ sich von selbst erklärt, bleibt die Frage, was diese Aktion wirklich gefährlich macht. Spielen hier nicht in erster Linie die Medien eine unheilvolle Rolle, indem sie einer unbedeutenden Kirche an einem unbedeutenden Ort viel mehr Aufmerksamkeit schenken, als sie verdient?
Kollektive Verantwortung
Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Eine kleine rechte christliche Gruppe versucht den 11. September für sich zu vereinnahmen und will durch eine idiotische islamfeindliche Aktion in die Schlagzeilen geraten. Der Vatikan, die US-Regierung und die Nato setzen alles daran, dass dabei in der islamischen Welt nur nicht der Eindruck entsteht, dass das gesamte Christentum und der Westen hinter einer solchen Aktion stehen. Sie kommen damit in die gleiche Lage, in die viele Muslime nach dem 11. September gerieten, als sie mancherorten kollektiv für die Anschläge verantwortlich gemacht wurden und seitdem stets beweisen sollen, dass sie keine Terroristen sind. Zugegeben, die Proportionen sind nicht ganz richtig. Es gibt im Westen wahrscheinlich weniger Koranzündler als in der islamischen Welt Bin-Laden-Fans, und die Anschläge des 11. September haben eine völlig andere Dimension als eine Koranverbrennungszermonie.
Am 11. September werden sie alle da sein. Die Weltpresse, die Kameras werden den kleinen Ort Gainesville belagern. Sie werden dafür sorgen, dass die Bilder der brennenden Korane um die Welt gehen, während ein paar durchgeknallte rechtsradikale Christen ums Feuer tanzen. Bleibt zu hoffen, dass die Medien und die Muslime doch nicht wie pawlowsche Hunde reagieren und mal etwas ganz Unvorhersehbares machen: Man stelle sich vor, es gibt eine Koranverbrennung und keiner geht hin.