piwik no script img

Archiv-Artikel

Entbierung schreitet voran!

Eine Kostprobenfahrt durch das Bier-Dreieck Rottweil – Tuttlingen – Donaueschingen

„Brauerei seit zehn Jahrrre zu“, erklären die italienischen Musterkellner in der Pizzeria

„Also“, begrüßt mich Peter Burri im Rottweil-Hausener „Gasthaus Adler“, „da hätten wir laut Gelben Seiten im näheren oder etwas weiteren Umkreis acht, wenn nicht neun eigenständige, kleine Brauereien. Wo fangen wir an?“ – „Das Gute liegt so nah“, sage ich mit Blick auf die Landkarte. „Erst mal nach Flözlingen, in die Hirschbrauerei, oder?“ – „Einwandfrei! Die behaupten zwar, die kleinste gewerbliche Braustätte Deutschlands zu sein, was natürlich grober Unfug ist, aber das Bier ist prima.“

Peter Burri muss es wissen. Er wuchs in der Nähe von Rottweil auf, lebt hier seit über 40 Jahren, kennt jeden Ackerrain und ist deshalb der bestmögliche Führer auf einer Exkursion durch das sagenumwobene Bierterrain im Dreieck Rottweil – Tuttlingen – Donaueschingen. 186 Brauereien soll es in Baden-Württemberg geben, versichert www.deutschlands-brauereien.de, einen beachtlichen Teil davon in dem von uns zum Leertrinken auserkorenen Gebiet. Auslassen wollen wir zunächst nur die Produkte der bundesweit reüssierenden Fürstenbergischen Brauerei in Donaueschingen.

Im Fenster des Flözlinger Sudhauses blinkt löckend eine Batterie Bügelverschlussflaschen. In der Wirtschaft fragt Wolfgang Hundler, unser Fachmann für sämtliche Haftungsfragen rund um die Bierverköstigung und deren Folgen, welche Sorten das hiesige Haus denn vorrätig halte. „Wir haben 0,3 und 0,5“, sagt die Bedienung. Danach schmeckt es auch. Ich rufe „Moooorastig! Fantastisch!“ aus, Peter dreht zwei Schwarze-Hand-Kippen auf einmal, um nicht mehr zum Krug greifen zu müssen. „Ich sag dann mal: Aldingen“, sagt Wolfgang. „Da wirste sehn, was schwäbische Brauer wirklich draufhaben!“, meint Peter.

Etwa 15 Kilometer südöstlich, gewissermaßen am Fuße des beeindruckenden Dreifaltigkeitsberges, verantwortet Georg Scheffold in der Rosenbrauerei ein exquisites Pils. In der Pizzeria treffen wir drei italienische Musterkellner an, die bereitwillig Auskunft geben: „Brauerei seit zehn Jahrrre zu“, heißt es. „Letzte Aktualisierung“, steht auf meinem Ausdruck von www.deutschlands-brauereien.de, „10. 03. 2005.“ – „Gelbe Seiten“, murmelt Peter, „gut, da schleicht sich auch mal ein Fehler ein. Drei Dörfer weiter aber wird uns die Lammbrauerei doppelt und dreifach entlohnen!“

Als wir Wurmlingen passieren, wo die gemeinhin verachtete Hirsch-Brauerei Honer residiert, die „vor zehn Jahren“ (Peter) die Rottweiler Pflug-Bräu und dann zwei weitere lokale Größen übernommen und anschließend plattgemacht hat (Wehle und Oberndorfer), dämmert uns, dass wir die Lammbrauerei übersehen haben müssen. „Wahrscheinlich dicht“, grummelt Peter. „Scheiß doch die Wand an! In Möhringen gibt’s definitiv zwei prima Kleinbrauereien! Ist ja eine berühmte Bierstadt!“ Wir lassen Tuttlingen hinter uns und brausen auf den Parkplatz der Link-Bräu. Drinnen bietet man uns Fürstenberger an. „Link ist seit zehn Jahren zu“, sagt die Wirtin des auf edel getrimmten Ladens. „Und die Kronenbrauerei hier im Ort?“, presst Peter hervor. „Geschlossen worden. Vor zehn Jahren.“

Weil das Zapfen eines zweiten Fürstenbergers zehn Jahre zu dauern scheint, brettern wir über die legendäre B 14 zurück. Peter schmiedet Anschlagpläne, Wolfgang rechnet ihm die Haftungskosten vor, als ich in Rietheim-Weilheim das vorhin nicht wahrgenommene „Gasthaus Lamm“ erspähe. Peter springt aus dem Wagen, und keine zehn Sekunden später ist er wieder da: „Der Ausschank der Lammbrauerei!“ Der Wirt schwärmt, eine Fuhre Pils nach der anderen herankarrend, vom Beharrungsvermögen des alten Familienbetriebs, von den „treuen Kunden“, vom Brauereifest im September, vom Engagement eines jungen Werbemenschen, der die Website kostenlos gestalte. Das allgemein freundliche Gebaren hindert den Nebentisch nicht daran, eine original alemannische Keilerei anzubahnen. Beseelt von seinem nicht mehr für möglich gehaltenen Erfolg als Chefscout der ein Jahr lang vorbereiteten Brauereienrundreise, ordnet Peter den Ausritt ins nördlich von Rottweil gelegene Rosenfeld an. „Hab erst letztes Jahr auf einem Volksfest eine Werbung für Lehner Pils gesehen!“, triumphiert er. „Nicht vor zehn Jahren?“, fragt Wolfgang. „Fresse!“

An der Straßenfront des blassgelben Brauereikomplexes prangt ein gewaltiges grün-weißes Schild: „Weinverkauf“. „Na bitte!“, sage ich. Wolfgang sagt: „Sag ich’s doch.“ Peter erläutert spontan ein Konzept zur Errichtung von Warntafeln an der nahen A 81 („Sie durchfahren eine brauereienfreie Zone!“), entdeckt jedoch vis-à-vis von einem Geschäft namens „Eberhard Maurer“ ein Gasthaus. Mit der in Rosenfeld durch Straßenschilder vorgeschriebenen „Schrittgeschwindigkeit 7 km/h“ hechten wir auf das Etablissement zu. Die Karte verspricht „Spitzen-Bier vom Land“ aus der „Schussenrieder Erlebnisbrauerei“. „Mit dem, was immer das sein soll, geben wir uns den Rest!“, stöhnt Peter, kübelt zwei Weizen rein und fragt dann doch noch matt nach dem Lehner-Zeugs. „Ja, haben wir“, erwidert die Bedienung. „Lehner Export. Wollen Sie erst mal eine Probe? Hier trinkt das niemand. Wenn’s schlecht ist, schmeißen wir’s weg.“

Dass in Tuttlingen mal Löwen-Bräu und Pfauen-Bräu existiert haben, erzähle ich Peter nach meiner Rückkehr am Telefon. Zugesperrt wurden sie, informiert das Internet, vor zehn Jahren. Peter will die Gelben Seiten nie mehr lesen und Baden-Württemberg in Schutt und Asche legen. „Das wird prima.“

JÜRGEN ROTH