COOLE GANG : Auf Draht
Beim Gang-of-Four-Konzert am Samstag auf dem Berlin-Festival hatte man sich schnell eingegroovt im Altenblock: Zu „To hell with poverty“, das mit diesem unnachahmlichen New-Wave-Industrial Rhythmus beginnt, nickten die weiß und silber durchwirkten Schöpfe von Anfang an im Takt. Wir sind nämlich immer noch „auf Draht“, wie es in „Arsen und Spitzenhäubchen“ so reizend heißt. Genau wie Gang-of-Four-Sänger Jon King, der eifrig seinen nicht vorhandenen Bauch unter einer zu kurzen, albern schillernden Bühnenjacke hervorblitzen ließ. Brite, Mann und über 50 sein muss also doch nicht zwingend mit Bierbäuchigkeit Hand in Hand gehen. Auch Gitarrist Andy Gill machte mit seiner desinteressierten Postpunkmine tüchtig was her. Der Trick liegt wie immer im Detail: Anstatt schnöder, leerer Bierkalorien pflanzten die Herren einen Champagnerkühler auf die Bühne, aus dem eine Flasche Weißwein lugte, und schlürften ihn zwischen den Stücken aus bauchigen Weingläsern. Denn das Leben ist zu kurz, und wir sind zu alt, um etwas Schlechtes zu trinken. Und Soundprobleme hin oder her, man hat verstanden, was Gang of Four wollten, trotz der in sekündlichem Abstand über die Bühne rasenden Mikrofonroadies: Ironische Kritik an allem, Menschen, System, Gesellschaft, Konsum, Kommerz. Chilly Gonzales übte das etwas später zwar auch, und er hatte definitiv das interessantere Line-up (Doppelklavier und Doppelschlagzeug), aber Gang of Four machen’s eben schon länger. Zu einem Song schlug King den Beat mit einem Baseballschläger auf einer Mikrowelle an, die auf einem Hardcase festgeklebt war, und schön dabei kaputtging, genau wie Gitarre, Melodica und Maracas, die King und Gill konsequent nach Gebrauch ohne hinzusehen hinter sich schmissen, wie ein Russe sein leeres Wodkastampferl: Das kann man guten Gewissens cool nennen. JENNI ZYLKA