: Geometrie einer Niederkunft
Nach dem 1:0-Sieg im EM Qualifikationsspiel gegen Irland lobt Bundestrainer Joachim Löw das Rollenspiel seiner Defensive, erkennt aber gleichzeitig systematische Mängel. „Auch eine schwere Geburt kann ein schönes Kind hervorbringen“, sagt er
AUS STUTTGARTANDREAS RÜTTENAUER
Es waren gerade einmal 21 Minuten gespielt in Stuttgart, als Jens Lehmann nicht mehr weiter wusste. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben im Spiel einer deutschen Fußballnationalmannschaft. Es herrschte Ratlosigkeit. Statt den Ball gezielt noch vorne zu spielen, drosch Lehmann ihn in des Gegners Hälfte. Keine Minute später zeigte er mit seinen riesigen Torwarthandschuhen erneut an, dass er nicht weiß, wohin mit dem Ball. Es sind Szenen, die Bundestrainer Joachim Löw nicht gefallen. Nach dem 1:0 gegen Irland im ersten Qualifikationsspiel der Deutschen für die Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich kann er sich indes erst einmal zurücklehnen. Er lobte seine Mannschaft und ließ dennoch keinen Zweifel daran, dass die Nationalmannschaft kein „Selbstläufer“ ist, dass er weiter an ihr und ihrem System zu arbeiten hat.
Joachim Löw leidet am Spielfeldrand, wenn seine Mannschaft beginnt, Bälle hoch nach vorne zu schlagen. Man habe gesehen, dass die Mannschaft zum Erfolg kommen kann, wenn sie den Ball gezielt und flach nach vorne spielt. Dass der Wille, ein Spiel nach einem vorgegeben System aufzuziehen, nicht zwangsläufig in einen Hurrastil mündet, das muss der Spielgeometriker der Fußballnation erst noch erklären. Und so saß er wie der Dozent einer Schule für Fußballkonsum vor den Pressevertretern und redete von der Geduld, die man haben müsse, wenn man gegen Gegner spiele, die es verstehen, die Räume eng zu machen. Sein Team hatte Geduld, die seltenen Situationen, in denen sich Räume in der Hälfte der Iren öffneten zu nutzen. Es erspielte sich Chancen, war die dominante Mannschaft auf dem Platz und stets darum bemüht, das Spielgeschehen selbst zu bestimmen. Das war es, was Löw nach dem Spiel zu Recht lobte. „Auch eine schwere Geburt kann ein schönes Kind hervorbringen“, sagte er.
Schwer zu tun hatte der Bundestrainer vor allem bei der Formierung seiner Innenverteidigung. Damit war der Trainerstab, zu dem erstmals auch der neue Kotrainer Hans-Dieter Flick gehörte, in der Vorbereitung auf das Spiel gegen die Iren vor allem beschäftigt. Die WM-erfahrenen Stammkräfte in den zentralen Abwehrpositionen standen ihm allesamt wegen Verletzungen nicht zur Verfügung. Arne und Manuel Friedrich bildeten das zentrale Defensivduo. Der Mainzer Manuel Friedrich gab einen aufmerksamen Aufräumer und zeigte in seinem ersten Länderspiel über 90 Minuten, dass er wahrscheinlich nicht das letzte Mal in Schwarz-Weiß gespielt hat. Schon in der ersten Hälfte hatte er Probleme mit einer Kapselverletzung im Fuß, die ihm in der letzten Zeit immer wieder Probleme bereitet hatte. Er spielte mit Schmerzen durch, für das Team – und wohl auch für seine persönliche Zukunft im Nationalteam. Ob er gegen San Marino, im nächsten Qualifikationsspiel am Mittwoch, wird spielen können, steht noch nicht fest. Löw blieb gelassen. Sollte Manuel Friedrich ausfallen, „dann muss man das Problem halt lösen“. Er sagte es so, als wäre das nicht schwer.
Arne, der Berliner Friedrich, der auf der rechten Abwehrseite eines der wenigen Sorgenkinder der Deutschen während der Weltmeisterschaft war, bewies, dass er ein zuverlässiger Rollenspieler ist. An die Luftduelle gegen die Iren musste er sich zunächst noch gewöhnen. Mit zunehmender Spieldauer jedoch hatte er immer weniger Probleme mit Irlands Angreifer Robbie Keane. Die langen, hohen Bälle, die die Iren immer wieder nach vorne schlugen, kamen selten an. Abpraller, die deutsche Abwehrreihen in den vergangenen Jahren immer wieder vor massive Probleme gestellt hatten, sicherte sich Arne Friedrich ein ums andere Mal und war nur selten auf die Hilfe von Torsten Frings angewiesen, der sich in der Rolle des ungestümen Ausputzers sehr gut zu gefallen schien. Nicht einmal an der Spieleröffnung Arne Friedrichs, die über Jahre im sicheren Abspiel auf einen hinter ihm postierten Spieler bestand, war etwas zu bemängeln. Das jedoch lag nicht nur an ihm.
Michael Ballack zeigte wieder einmal, wie wichtig seine Präsenz auf dem Platz ist. Er bot sich ständig an. Ihm liefen immer zwei Iren hinterher, die ihn zu bedrängen versuchten, sobald er angespielt wurde. Die eifrigen grünen Männchen mühten sich meist vergeblich. Ballack ist als ballsichere Anspielstation derzeit wohl unersetzlich. Als Philipp Lahm, der wie schon im Spiel gegen Schweden auf der rechten Abwehrseite eingesetzt wurde, zu Beginn des Spiels seine liebe Not mit dem Irlands Angreifer Damien Duff hatte, half der Kapitän einfach aus und spielte den Ersatzaußenverteidiger. Der Dienst am Team ließ wenig Raum für Kreatives. Und so waren die, die sich Ballack immer noch als Spielmacher wünschen, einmal mehr enttäuscht. Die Kreativität kam dennoch nicht zu kurz. Bernd Schneider und – seltener – Bastian Schweinsteiger wussten Miroslaw Klose und den einmal mehr äußerst unglücklich agierenden Lukas Podolski durchaus in Szene zu setzen. Irlands starker Torwart Shay Given verhinderte, dass die Deutschen mehr Treffer erzielten als jenes glückliche Freistoßtor in der 57. Minute. Podolskis Schuss konnte er nicht mehr erreichen, nachdem er von Robbie Keane abgefälscht worden war.
Sein Gegenüber Jens Lehmann dürfte am Ende auch ganz zufrieden gewesen sein mit seinen Kollegen. Nach dem ersten mühsamen Viertel des Spiels, brauchte seine weißen Handschuhe nicht mehr besonders oft, um einen Ball abzufangen. Um seine Ratlosigkeit anzuzeigen, brauchte er sie gar nicht mehr.
Deutschland: Lehmann – Lahm, Arne Friedrich, Manuel Friedrich, Jansen – Schneider (84. Borowski), Ballack, Frings, Schweinsteiger – Klose, Podolski (76. Neuville)Irland: Given – Carr, Andrew O’Brian, Dunne, Finnan – Reid, O’Shea, Kilbane (83. Alan O’Brian) – Keane, Duff (77. McGeady) – Doyle (79. Elliott)Zuschauer: 53.198 (ausverkauft)Tor: 1:0 Podolski (57.)