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Archiv-Artikel

„Unsere Hilfe ist eine Zumutung“

ARMUT Der oberste Entwicklungspolitiker der OECD kritisiert Zusammenarbeit mit den armen Ländern. FDP-Minister Niebel sei auf dem falschen Weg

Eckhard Deutscher

■ 61, ist Vorsitzender des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) in Paris.

taz: Auch Deutschland zahlt weniger Entwicklungshilfe als zugesagt. Kann die Bundesregierung ihre finanziellen Versprechen in den kommenden fünf Jahren noch einhalten, Herr Deutscher?

Eckhard Deutscher: Die Bundesregierung hält erfreulicherweise an ihrem Ziel fest, bis 2015 die Mittel für Entwicklungspolitik auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Wenn das erreicht werden soll, muss aber jährlich etwa eine Milliarde Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt werden – was gegenwärtig nicht geplant ist. Außerdem hoffe ich, dass die Regierung ihre versprochenen Gelder zur Abwehr des Klimawandels zusätzlich zahlt und nicht mit der Entwicklungshilfe verrechnet.

Eine Milliarde Euro mehr pro Jahr ist nicht viel Geld. Ist die Belastbarkeitsgrenze einer reichen Gesellschaft wie Deutschland inzwischen erreicht?

Nicht nur Deutschland liegt zurück. Auch in anderen Staaten hinterlassen Finanzkrise und öffentliche Verschuldung deutliche Spuren. Aber es gibt auch Länder wie Großbritannien, die trotz Sparmaßnahmen ihre Zusagen einhalten. Frankreich versucht, mehr Geld aufzubringen, indem es innovative Finanzierungsinstrumente, beispielsweise die Einnahmen aus der Flugticketsteuer, für Entwicklungspolitik nutzt. Solche neuen Mechanismen sollte auch Deutschland in Erwägung ziehen.

Nimmt die Bereitschaft der Bürger der reichen Staaten ab, Hilfe für arme Länder zu leisten?

Die Bürger fragen, welche Ergebnisse die Entwicklungspolitik bringt. Und diese Fragen haben ihre Berechtigung. Denn wir müssen die Wirksamkeit der Hilfe verbessern. Heute gibt es international rund 900 Hilfsorganisationen, die ihre Arbeit oft schlecht oder gar nicht koordinieren. Manchmal arbeiten 45 Agenturen verschiedener Geberländer in einem einzigen Entwicklungsland nebeneinander her. Dieses Durcheinander ist ein Teil des Problems, nicht der Lösung. Unsere Hilfe ist oft eine Zumutung für die Entwicklungsländer.

Wie könnte die Hilfe effektiver werden?

Vor drei Jahren hat die EU den Vorschlag gemacht, dass jedes europäische Geberland nur noch bestimmte Entwicklungsländer unterstützen solle. Durch eine entsprechende Koordinierung ließen sich Geld und Expertise konzentrieren. Die EU-Länder sollten mittel- und langfristige Pläne entwickeln, um ihre nationalstaatliche Entwicklungspolitik aufzugeben und diese unter Einschluss von Mechanismen wirksamer Effizienzkontrolle nach Europa zu verlagern. Wenn uns so etwas nicht gelingt, ist die globale Entwicklungszusammenarbeit ein Auslaufmodell.

Entwicklungsminister Niebel hat Sie vom Vorsitz des OECD-Entwicklungsausschusses abberufen. Liegt der Konflikt darin, dass Sie mehr internationale Zusammenarbeit fordern, während Niebel Entwicklungspolitik nationalisieren will?

Wer die Globalisierung gestalten will, muss auch die Politik globalisieren. Das heißt, Deutschland sollte in multilateralen Organisationen konzeptionell mitarbeiten. Wirksam wird die Entwicklungspolitik nur dann, wenn es der Gebergemeinschaft gelingt, mittels Koordination wirksame Mechanismen zu definieren.

INTERVIEW: HANNES KOCH